Konrad Beikircher, Jahrgang 1945, stammt aus Bruneck in Südtirol, einst Österreich, heute Italien, und verbrachte dort auch seine Kindheit. Mit elf Jahren kam er nach Bozen und besuchte dort die weiterführende Schule. 1964 ging er zum Studium der Musikwissenschaften und Psychologie nach Wien, wechselte bald nach Bonn und war ab 1971 Psychologe in einem Jugendgefängnis. Seit 1986 wirkt er als Kabarettist, Komponist, Musiker, Moderator und Buchautor. Und…er hat auch zur Kirche etwas zu sagen.
* Herr Beikircher, Sie sind ein begnadeter Vortragskünstler und Meister in der
Weitergabe von Weisheiten - und das ununterbrochen schon seit einigen Jahrzehnten.
Welche sind denn die Voraussetzungen, dass Ihnen nie der Stoff ausgeht, dass Ihre
Fantasie sozusagen ohne Unterlass wie eine unversiegbare Quelle weitersprudelt?
„Ich glaube, das hat ein bisschen mit Südtirol zu tun. Die Südtiroler, um das mal
kabarettistisch zu beantworten, die Südtiroler sind ein Volk, das gewohnt ist, dass
seit dreitausend Jahren Völkerscharen immer durchgewandert sind, entweder nach Italien
oder von Italien ins Transalpine. Da lernt man beobachten. Wenn man zweisprachig aufgewachsen
ist, Italienisch und Deutsch - ist das nochmal ein Moment, das einen, glaube ich,
sensibler macht für Menschen, für Situationen, für Beobachtungen, als wenn man so
linear irgendwo in Braunschweig so vor sich hin aufgewachsen wäre. Ich glaube, das
hat damit zu tun. Dazu kommt ein bisschen Intelligenz, ein paar Hirnwendungen, die
funktionieren, ein Elternhaus, das anregend war - mein Papa war sehr anregend in der
Hinsicht – und ein Elternhaus, das Mut macht, nach vorne und nach draußen zu schauen.
Das ist mir alles geschenkt worden und dafür bin ich dankbar.“
* Sie sehen gerne im Ernst das Heitere und im Heiteren den Ernst. Wann ist Ihnen diese
intelligente und wunderbare Lebenshaltung so bewusst geworden, dass Sie sie zu Ihrem
Lebensmotto und zugleich Berufsziel erwählt haben?
„Das ist schwer zu beantworten, weil ich glaube, das ist mir tatsächlich einfach in
die Wiege gelegt worden. Mein Papa hat Menschen mit sehr viel Humor gesehen. Und beim
Mittagessen, bei den Abendessen, hat er immer sehr humorvoll, gleichzeitig aber nie
verurteilend, nie mit Häme, von Menschen erzählt, von Geschäftspartnern erzählt. Er
hat witzige Anekdoten erzählt. Das war schon alles etwas, das den Blick für das Heitere
im Ernst geprägt hat, glaube ich. Es sind so die kleinen Facetten, die Kleinigkeiten,
die einen fürs Leben prägen.“
* Eigentlich, Herr Beikircher, hatten Sie als Beruf zunächst ja die Wissenschaft auserwählt.
Sie sind gelernter Diplom-Psychologe und hatten in der Beamtenlaufbahn bereits beachtliche
Ziele erreicht. Dann aber erwies sich Ihre musische Seele als stärker als die einkommenssichere
Karriere und Sie wurden Kabarettist, Musiker und Schriftsteller. Tragen Sie zwei Seelen
in Ihrer Brust?
„Mindestens, mindestens, ich bitte Sie. (lacht) Ja, schon. Ich hab allerdings immer
so ein bisschen die, wie soll ich sagen, Tendenz gehabt, das miteinander zu verbinden.
Ich war im Gefängnis, im Justizvollzugsdienst, ich war ja 15 Jahre lang da, bei Jugendlichen
im Gefängnis und hab viel in Nordrhein-Westfalen gearbeitet. Da war ich immer so ein
bisschen die exotische Figur, weil ich mit dem Minister genauso umgegangen bin wie
mit einem „Knacki“, ohne mir darüber bewusst zu sein – normal. Ich war immer so ein
bisschen „Crossover“. Ich durfte auch. Ich hatte gefärbte Haarspitzen, rote Haare.
Ich war kein Punker natürlich, aber ich war der bunte Papagei. Ich war immer gut für
Bemerkungen. Ich weiß noch, ich habe eine Tagung geleitet für den gehobenen Dienst,
Inspektoren. Da kam ein ganz wichtiger – was weiß ich – Manager von ThyssenKrupp,
also ein ganz hohes Tier. Der kommt um 9 Uhr morgens in die Tagungsstätte zu einem
Vortrag. Er stellt sich vor. Er ist der Herr Soundso und alles ehrfürchtiges Schweigen
und sagt dann – 9 Uhr früh – „Ja, Sie wissen, ich komme aus der Wirtschaft“ und mir
ist es entschlüpft, zu sagen „Wie? So früh schon?“ Wirtschaft ist hier das Wort für
Kneipe, Gasthaus. „Wie? So früh schon?“ Riesengebrüll und die ganze Dicke, die ganze
Aufgeblasenheit dieses Menschen war in dem Moment erledigt. Er musste dann auch selber
lachen. So etwas ist mir mein Leben lang immer so ein bisschen herausgerutscht und
ich bin sehr froh darüber. Also ich hab schon mehrere Seelen in meiner Brust, auch
bei der Tagung und beim Psychologen war der Kabarettist dabei.“
* Herr Beikircher, welche Eigenschaft spielt in Ihrem Beruf eigentlich die wichtigste
Rolle? Ist es das Improvisationstalent oder die Fähigkeit, aus dem Augenblick heraus
zu wirken? Ist es Disziplin? Fleiß? Oder ist es tagelanges oder nächtelanges Nachdenken
über Form, Gestaltung und Verlauf Ihrer Auftritte?
„Nein, das überhaupt nicht. Das ist bei mir sehr spontan. Also, ich finde, man muss
in meinem Beruf schon sprechen könne, man sollte keine Angst vor Leuten haben. Aber
was ich am Wichtigsten finde: man sollte auf der Bühne nur Dinge tun, von denen man
selber überzeugt ist, an die man glaubt, die einen in meinem Fall Freude oder Spaß
machen. Man sollte nichts anderes machen. Ich wäre kein guter Schauspieler, also ich
kann keine Fremdtexte machen. Das andere aber ist, wenn man auf der Bühne steht, darf
man nicht in die Falle der Überheblichkeit fallen, finde ich. Man darf nicht denken:
,Weil ich auf der Bühne stehe, bin ich intelligenter als die Deppen da unten und weiß
mehr und kann die Welt erklären.´ Nein. Bescheidenheit in der Hinsicht finde ich eine
ganz wichtige Eigenschaft. Ich kenne so viele Kolleginnen und Kollegen, denen das
fehlt und das finde ich ganz furchtbar. Also, Selbstüberheblichkeit ist sowieso eine
Eigenschaft, die ich nicht sehr schätze.“
* Herr Beikircher, Musikwissenschaftler und Literaten weisen Ihnen ein immenses Fachwissen
auf den Gebieten der Musik und Literatur nach, basierend auf einer unerschütterlichen
Liebe und Leidenschaft zu beiden Kunstrichtungen. Ihr großartiger, zweibändiger Konzertführer
über die großen Musiker unserer Zeit zum Beispiel, Scherzo Furioso, ein Klassiker,
liefert dazu wohl den besten Beweis. Was verbindet die beiden Kunstrichtungen, Musik
und Literatur?
„Dass sie beide auf ihre Art versuchen, die Welt zu interpretieren, uns Menschen an
die Hand zu nehmen und uns etwas ins Herz zu legen. Musik ganz besonders und Literatur
natürlich auch. Dass beide versuchen, uns Menschen ernst zu nehmen und zuversichtlich
zu machen. Ich kenne viele Lyriker und Schriftsteller, natürlich solche und solche,
aber dieser Impetus, ich sage mal, Menschen etwas Gutes zu tun oder etwas Schönes
zu schenken, den haben sie fast alle. Das finde ich eine ganz, ganz wunderbare Geschichte.
Bei der Musik, ob ein Komponist daran denkt oder nicht, und bei der Literatur ist
es genauso, dass es ein Geschenk sein soll für offene Ohren und damit für offene Herzen.
Das ist die Gemeinsamkeit. Vielleicht sollte das die Gemeinsamkeit sein.“
* Sie sind gebürtiger Südtiroler. Jeder weiß, dass im Land Tirol der Herrgott zu Hause
ist. Sie sind aber mittlerweile auch Rheinländer geworden und jeder weiß, dass das
Rheinland gut katholisch ist. Ist auch Konrad Beikircher ein Katholik geblieben?
„Ja, aber selbstverständlich. Aber ja. Je älter ich werde, umso mehr. Ich bin in meiner
Seele sehr, sehr Katholik geblieben. Das allerdings verdanke ich einigen Patres im
Franziskaner-Gymnasium in Bozen und dem Antonianum, dem Schülerwohnheim. Da war eine
Generation von Patres da, die souverän waren, die aufgeklärt waren, die weltaufgeschlossen
waren und die eine unglaubliche Herzensgüte hatten. Das ist etwas, das prägt Dich.
Also mich hat das fürs ganze Leben geprägt. Ich war vielleicht ein Sonnenkind, weil
ich hab einige Mitschüler, die heute noch schimpfen über die Franziskaner, deren Engstirnigkeit.
Ich kann das überhaupt nicht bestätigen. Dazu kommt auch eine gewisse Freiheit im
Denken vom Vater. Mein Papa hat immer gesagt: ,Das muss ein armseliger Herrgott sein,
wenn er zwischen Protestanten und Katholiken unterscheide.´ Das hat mir auch so ein
bisschen einen offenen Blick gegeben. Ich bin christlich geblieben und das schon in
der schönen, italienischen, warmherzigen, diesseitigen katholischen Prägung.
* Herr Beikircher, was bedeutet Ihnen das Wort Seelsorge? Ist es für Sie ein Beruf
wie jeder andere oder eine besondere Gabe und Begabung? Oder ein erlernbarer Wissenschaftszweig?
„Nein, kein erlernbarer Wissenschaftszweig. Wenn ich Menschen nicht liebe, kann ich
kein Seelsorger sein. Seelsorge ist Berufung. Seelsorge setzt voraus, dass ich selber
wirklich daran glaube, sonst bin ich Psychotherapeut oder Analytiker oder sonst irgendetwas.
Seelsorge bedeutet ja auch, die Ewigkeit im Auge zu haben, das ewige Leben im Blick
zu haben, zu wissen und das vermitteln zu können, dass unser Leben eine Station ist,
aber nicht mehr. Also Seelsorge ist für mich schon eine Berufung. Dazu kommen Techniken,
das kann man dann dazu lernen natürlich, aber Seelsorge ist eine Berufung und eine
ganz, ganz gewaltige Aufgabe. Ich hab im Gefängnis oft erlebt, dass der katholische
Geistliche mit zwei Worten, mit zwei drei Sätzen ein Herz öffnen konnte. Das hab ich
oft erlebt. Das waren seelsorgerische Sätze, das war entwaffnende Offenheit. Also,
Seelsorge ist Berufung, möchte ich sagen, nicht Begabung. Natürlich auch Begabung,
aber vor allem Berufung und wenn die auch mit ein paar Techniken unterfüttert ist
- aber ohne die Berufung geht da doch gar nichts.“
* Wo liegt einer der Gründe, Herr Beikircher, zur Enttäuschung bei Menschen, die sich
von der Kirche abgewendet haben? Es sind ja nicht wenige.
„Sicher das Geld. Je älter ich werde desto mehr sehe ich, welche ungeheuerliche Macht
Geld hat. Ich bin im Moment eher Opfer, weil ich ein paar Schwierigkeiten mit der
Finanzierung und dem Krediteabzahlen habe. Da bin ich ein bisschen in der Opferrolle,
aber das macht nichts. Geld spielt eine viel größere Rolle, als ich jemals dachte.
Ich glaube, hauptsächlich Geld.“
* Wenn man bekannt ist, so wie Sie, Herr Beikircher, ist man sozusagen auch verpflichtet,
irgendwie und irgendwo Vorbild zu sein. Wo sind Sie und für wen glauben Sie, Vorbild
zu sein?
„Ich bin es gerne für andere Prominente, die sich nicht sozial engagieren. Ich engagiere
mich, ich mach Benefizauftritte und und und, weil ich finde, dass Prominenz verpflichtet.
Da bin ich völlig Ihrer Meinung und stimme dem zu. Ich sehe so viele, die das nicht
machen. Da möchte ich schon Vorbild sein. Ich möchte ein bisschen auch Vorbild dafür
sein, dass es ein Miteinander ist, die Demokratie und unser Leben und nicht ein Gegeneinander
oder ein Jederfürsichallein. Nur im Miteinander gibt es Möglichkeiten zur Menschwerdung.
Es gibt einen schönen Satz, ich komme jetzt nicht mehr drauf, Lasker-Schüler glaube
ich: „Wir sind Engel mit nur einem Flügel. Wir müssen einander umarmen, wenn wir fliegen
wollen.“ Das genau ist doch der Punkt.“
* Guten Humoristen wird nicht selten auch etwas Schwermut nachgesagt, das heißt, in
der Regel sind Komiker auch etwas melancholisch. Das heißt, dass sie auch einen Hang
zur Elegie haben. Sie verbreiten Frohsinn, Heiterkeit und Kultur durch ihr besonderes
Talent, mit Ihren persönlichen, eigenen Mitteln. Vielleicht aber sind Sie in Wirklichkeit
ein eher pessimistischer Mensch? Was sehen Sie, wenn sie in die Zukunft schauen, Herr
Beikircher?
„Pessimistisch bin ich nicht. Ich bin in Bezug auf die Menschheit eigentlich optimistisch,
vor allen Dingen deshalb, weil ich sie nicht für die Ultima Ratio halte. Die Menschheit
ist eine Lebensform wie viele andere auch. Wenn wir so weiter machen, sehe ich nicht
wirklich rosig in die Zukunft. Aber ich glaube, wir Menschen sind auch unglaubliche
Improvisationsheroen. Ich glaube, irgendwie werden sich Wege finden, dass es irgendwie
geht. Daran glaube ich tatsächlich. Ansonsten bin ich eher ein bisschen melancholisch.
Pessimistisch nicht wirklich, aber so ein bisschen.. elegisch ist ein sehr schönes
Wort. Ich kann stundenlang wo sitzen und aufs Meer schauen, in den Wald schauen, in
den ich jetzt auch schau bei uns auf dem Katherinenhof oder Menschen beobachten, zuschauen.
Ja, da bin ich elegisch.“
* Herr Beikircher, Sie leben ja auf einer Drehscheibe der europäischen Hochkultur
kann man sagen, nach der Sie sich richten müssen oder wollen. Was ersehnt sich Beikircher
in der Zukunft? Also in seinem Innersten?
„Also ich freue mich, das ist wirklich so, ich freue mich, meine Eltern wieder zu
sehen. Ich freue mich auf das Leben danach. Ich weiß, dass.. also ich überlege gerade
über das Wort „weiß“, weil „weiß“, das ist ein rationales Wort, aber nein, ich bleibe
dabei: Ich weiß, dass das so sein wird und ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich kann
es eigentlich kaum erwarten.“
* Also, das ist ein wunderbarer Schluss, finde ich, obwohl ich eigentlich noch fragen
wollte: Was muss man wissen, um Konrad Beikircher wirklich richtig kennenzulernen?
„Das weiß ich nicht. (lacht)“
* Das ist auch eine schwierige Frage, ich gebe es zu.
„Ja, das ist schon schwierig. Das weiß ich wirklich nicht. Muss man das wissen? Jemand
soll herkommen und wir geben einander die Hand, schauen einander in die Augen und
dann gibt sich das schon.“
Aldo Parmeggiani
(rv 08.05.2016 ap)
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