2016-05-03 10:29:00

Wirtschaftsethiker: TTIP bietet Chancen für höhere Standards


Die Veröffentlichung des TTIP-Verfahrenstands durch Greenpeace hat in der Öffentlichkeit die Debatte zwischen Gegnern und Befürwortern des Freihandelsabkomen mit den USA neu entfacht. Doch wo es eine Chance für eine reflektierte Debatte gäbe, wird die Diskussion leider nicht sachlich geführt, meint der Wirtschaftsethiker Johannes Wallacher im Interview mit Radio Vatikan. Wallacher ist Professor für Sozialwissenschaften und Wirtschaftsethik und Präsident der Hochschule für Philosophie der Jesuiten in München. Unsere Kollegin Gudrun Sailer hat mit ihm gesprochen.

RV: Die von Greenpeace publizierten Papiere über die Verhandlungen zum transatlantischen Freihandelsabkommen haben umgehend neue Debatten über TTIP entfacht. Sie sind der Meinung, dass die Debatte zu dem Abkommen auf beiden Seiten mit einer falschen Haltung geführt wird. Inwiefern denn falsch?

„Weil sie hochemotional geführt wird. Die Befürworter betonen die rein ökonomische Perspektive, die Chancen, die damit verbunden sind. Ich denke, das ist ein wichtiger Aspekt. Sie übersehen dabei aber auch, dass ein Abkommen, richtig verhandelt und richtig in Kraft gesetzt, eine große Chance bietet, einen Ordnungsrahmen, den wir dringend im internationalen Austausch brauchen. Andererseits hat die Veröffentlichung gezeigt, dass hier massive Interessen im Spiel sind. Das allein spricht aber noch nicht gegen den Abschluss eines Abkommens. Ich denke, man darf das Kind nicht mit dem Bad ausschütten, sondern sollte wirklich daran gehen, die europäische Position zu stärken, entsprechende Schutzstandards auf beiden Seiten, auf dem höheren und nicht niedrigeren Niveau zu vereinbaren und dann zu Ordnungsstrukturen zu kommen, die für den internationalen Handel insgesamt einen Ordnungscharakter haben und damit auch eine Lokomotivfunktion haben können.“

RV: Man hat bei manchen TTIP-Protesten in Europa den Eindruck, die USA kommen dabei besonders schlecht weg, als geldgierige Übervorteiler ohne soziales Gewissen gegenüber allen Nicht-Amerikanern. Welche Gefahr ist damit verbunden?

„Ich denke eine generelle Ablehnung von Freihandel spielt all denen in die Karten, die stark nationalistische Tendenzen befördern. Der österreichische Rechtspopulist Hofer hat letzte Woche die Ablehnung von TTIP als erstes Argument genannt, und das zeigt, dass eine vorschnelle Verurteilung des Abkommens den Nationalisten in die Hand spielt, und zwar nicht nur in Europa, sondern auch in den USA selber. Donald Trump ist ein ähnliches Beispiel. Es gibt auf beiden Seiten große Vorbehalte und man muss schauen, wo die Konfliktlinien verlaufen. Sie verlaufen, glaube ich, nicht zwischen den USA und Europa, sondern zwischen bestimmten Interessengruppen in den USA und Europa, die versuchen, ihre Interessen gegenüber der Allgemeinheit durchzusetzen.“

RV: Können Sie sehen, ob in den vergangenen Monaten die Proteste und der dadurch entstehende öffentliche Druck die TTIP-Verhandlungen zum Positiven verändert haben?

„Ich denke, dass jetzt die Notwendigkeit gekommen ist – der letzte Schritt war die Veröffentlichung des Verhandlungsstandes – , dass die Interessen und Perspektiven auf beiden Seiten des Atlantiks auf den Tisch gebracht werden und demokratisch legitimiert werden müssen. Es dürfen nicht einfach Partikularinteressen bedient werden wie die der US-Agrar-Lobby, die für bestimmte Praktiken wirbt und den Druck erhöht. Auf der EU-Seite darf es nicht darum gehen, lediglich der Automobilindustrie größere Absatzmärkte zu verschaffen. Es muss darum gehen, wieder eine politische Gestaltungsfähigkeit in einer globalen Welt zurückzugewinnen. Man muss sich auf gemeinsame Schutzstandards einigen. Es ist nämlich nicht so, dass die in allen Bereichen auf der EU-Seite höher sind. Teilweise gibt es auch in den USA höhere Verbraucherschutzstandards. Es wäre wünschenswert, wenn man sich auf den höheren gemeinsamen Standard und nicht auf den niedrigsten gemeinsamen Standard einigen würde.“

RV: Sie haben zusammen mit weiteren Wirtschaftsethikern im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz die Studie „Gerechte Regeln für den freien Handel“ zu TTIP erarbeitet, die im vergangenen Jahr erschienen ist. Die Studie kommt zu dem Schluss: Das Freihandelsabkommen ist zu begrüßen, wenn gewisse Bedingungen erfüllt werden. Unter welchen Bedingungen ist TTIP denn positiv für das Gemeinwohl, also für alle?

„Wenn es unter transparenten Bedingungen verhandelt wird, wenn die Standards auf gleicher Ebene verhandelt werden und wenn es vor allem dazu führt, dass höhere Standards in Entwicklungs- und Schwellenländern erreicht werden können, und wenn man diesen Investitionsschutz-Mechanismus so verbessert, dass er demokratischen und völkerrechtlichen Regeln auch standhält. Ganz wichtig scheint mir, dass man das Abkommen so verhandelt, dass eine regelmäßige Regelevaluation stattfindet und eine Auswertung der Folgen, auf deren Basis man auch Korrekturen vornehmen muss. Ein regelmäßiger Überprüfungsmechanismus muss in dem Vertrag mitverhandelt werden.“

(rv 03.05.2016 gs)








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