2016-04-22 14:08:00

Türkei: Enteignungen seit über 80 Jahren


Die Aktionen vom türkischen Präsidenten Erdogan scheinen sich zu überschlagen. Erst die Anklage gegen den Satiriker Böhmermann, dann die Festsetzung eines ARD-Korrespondenten und jetzt wurde ein christliches Kloster auf der Insel Chalki in der Nähe von Istanbul enteignet.

Nun wird befürchtet, ob sich der Ton gegenüber Christen verschärft. Doch der Theologe Timo Güzelmansur, Geschäftsführer der christlich-islamischen Begegnungs- und Dokumentationsstelle in Frankfurt, gibt im Interview mit dem Kölner Domradio Entwarnung. Es sei eine langwierige Entwicklung, die massenhaften Enteignungen haben bereits in den 1930er Jahren begonnen. „Da hat der Staat sehr viele kirchliche Gebäude und Liegenschaften konfisziert. Vor ein paar Jahren hatte der damalige Ministerpräsident Erdogan gesagt, dass eine Gesetzesänderung stattfinden und der Staat die Gebäude zurückgeben wird.“

Zum Teil ist dies auch geschehen. Dennoch gebe es noch viele Liegenschaften, bei denen die Nutzungsrechte eben noch nicht klar geregelt seien und der türkische Staat die Oberhand habe. „In diesem Fall vom Kloster in Chalki läuft bereits seit 2007 ein Verfahren bzw. eine Auseinandersetzung. Anfang April ist die Entscheidung gefallen, da musste die Kirche wieder bzw. ein Mitglied der Gemeinde aus dem Kloster ausziehen und der Fall wurde bekannt.“  Und somit sollte das Kloster wieder in staatlichen Besitz übergehen.

Nach einem ausgeglichenen Verhältnis zwischen den christlichen und islamischen Religionen klingt das nicht, findet Güzelmansur. Er selbst ist in der Türkei geboren und weiß, mit welchen Schwierigkeiten die Bistümer, Gemeinden und Orden vor Ort zu kämpfen haben. Weil sie keinen geregelten Rechtsstatus haben, können sie keine Mitarbeiter einstellen oder sich in Rechtsfragen beteiligen. Dazu komme der immer stärker werdende türkische Nationalismus, der vor allem durch die Politik und durch Erdogan beeinflusst werde und für eine angespannte Stimmung sorge, weiß Güzelmansur. „Vieles, was nicht mit islamisch oder eindeutig mit dem Türkentum zu identifizieren ist, wird als Feind gesehen. Das wird kritisch betrachtet. Es kommen Verschwörungstheorien dazu, die Christen werden als Spione der ausländischen Mächte gesehen und das verunsichert natürlich auch die christliche Bevölkerung, verunsichert die Minderheiten. Das beobachte ich immer mehr, wenn ich in der Türkei unterwegs bin, dass die Menschen unsicher sind, wie es mit dem Land weitergehen soll.“

Seiner Meinung nach kann es nicht sein, dass die Europäische Union sich der Türkei gegenüber so zurückhält. Gerade auch mit Blick auf einen möglichen Beitritt der Türkei in die EU, solle diese auf die Grundrechte im Land beharren, wie Religions- oder Meinungsfreiheit und Menschenrechte. „Und wenn die Europäische Union sich selbst treu bleiben möchte, dann muss sie diesen Wunsch auch gegenüber der Türkei äußern und die Türkei drängen, entsprechende Gesetze und Abkommen einzuhalten. Gesetze zu erlassen und den Menschen diese Rechte zu gewähren.“ Genau diese Bedingungen sind für Güzelmansur unumgänglich.

(domradio 22.04.2016 pdy)








All the contents on this site are copyrighted ©.