2016-04-13 13:37:00

Amoris Laetitia: „Papst griff vieles von deutscher Sprachgruppe auf“


Papst Franziskus hat bei der Abfassung von „Amoris Laetitia“ besonders viele Vorschläge des deutschen Sprachzirkels aufgegriffen. Das sagt im Gespräch mit Radio Vatikan Abt Jeremias Schröder, der als gewählter Ordensvertreter an der Synode 2015 teilnahm. Der deutschsprachige Zirkel war theologisch besonders breit zusammengesetzt, in ihm erarbeiteten unter anderem die Kardinäle Gerhard Ludwig Müller, Walter Kasper und Christoph Schönborn als Moderator einstimmig verabschiedete Texte. Abt Jeremias hält „Amoris Laetitia“ für einen Meilenstein, manche Passagen hätten ihn nicht nur vieles gelehrt, sondern auch emotional bewegt; er fragt sich, inwieweit das Dokument ein innervatikanischer Kompromiss sein könnte, und wünscht ihm viele Leser.

Gudrun Sailer sprach mit Abt Jeremias und fragte ihn zunächst, warum für ihn „Amoris Laetitia“ kein „Paukenschlag“ sei, wie er das in einer ersten Einschätzung geschrieben hatte.

„Es ist für mich schon ein Meilenstein. Ich wollte mit dem Wort vom ,Paukenschlag´ zum Ausdruck bringen, dass es relativ subtil argumentiert und nicht mit der Fast geschlagene neue Breschen aufweist, sondern dass da diese schwierigen Themen sehr gründlich durchgearbeitet worden sind. Und ich denke schon, dass wir nach ,Amoris Laetitia´ anders über Ehe und Familie sprechen als vorher. Das war im Grunde auch das, was wir in der Synode erlebt haben. Aber es ist nicht die von manchen erhoffte, durchbruchartige Wegräumung aller möglichen Situationen.“

RV: Was ist neu an diesem Dokument, das dieses „neue Sprechen“ über Ehe und Familie auslöst?

„Zum einen tatsächlich die Sprache selber. Dass grundsätzlich wertschätzend gesprochen wird, offen, pastoral, sorgfältig und nicht urteilend. Es sind keine Passagen mehr drin, wo verurteilt wird, sondern die Synode und der Papst versuchen wertzuschätzen, was in den schweren und bedrohlichen Situationen der Menschen schon da ist an Gutem, um darauf aufzubauen und es weiter zu entwickeln. Das war wirklich eine Wende, denn noch im Vorfeld dieses langen Prozesses war die Hauptfrage ja noch, was ist denn für uns überhaupt eine richtige Ehe, was können wir da anerkennen. Jetzt wird nicht mehr juristisch draufgeschaut, sondern pastoral, offen, erwartungsvoll und auch mit Verständnis für Schwächen der Menschen und ihrem Bedürfnis nach Barmherzigkeit.“

RV: Einige Kritiker beanstanden an dem Dokument, dass es katholische Gesetze relativiere. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?

„Ich kann das an dem Dokument nicht erkennen. Was ich sehe, ist die deutliche seelsorgerliche Besorgnis. Es wird da in manchen Teilen auch das beschrieben, was oft schon seelsorgerliches Handeln war, aber jetzt sagt der Papst selber, wir müssen uns immer wieder im Einzelfall darum bemühen, dass die Gesetze, die wir haben, nicht wie Felsblöcke den Menschen draufgeworfen werden, das sagt er ja genau so, sondern dass eben die Regeln und Normen als Lebensspendendes, als etwas Positives wahrgenommen und gelebt werden können. Er hat immer wieder bekräftigt, was grundsätzlich die Lehre der Kirche war, er sagt auch deutlich, es muss nicht immer alles gleich vom Lehramt und von Rom her entschieden werden. Das hat mir sehr gut gefallen in der Einleitung, nach dem Motto: Mut zur Lücke. Er sagt, es wird hier nicht alles drinstehen, was alle erwarten.“

Kuriale Einwände gegen den ursprünglichen Papst-Text?

RV: Sie mutmaßen, das Dokument sei an bestimmten Stellen deshalb so offen, weil Kurienbehörden Einwände gegen den ursprünglichen Papsttext hatten. Woran würden Sie das festmachen?

„Mir fällt auf, dass im achten Kapitel, wo es um das dornige Thema der Zulassung zur Kommunion für die Wiederverheirateten Geschiedenen geht, auf einmal Fußnoten eine wichtige Rolle spielen. Die Synode, die ja schon damit gerungen hatte, noch möglichst viele mitnehmen zu können in diesen Positionen, hat sehr vorsichtig formuliert. Der Papst hat manchmal durchblicken lassen, dass er sich da etwas Mutiges wünscht. Dass da nichts wirklich Kraftvolles zu dem Thema kommt, sondern dass es in dem sehr verhaltenen Tonfall der Synode bleibt, dann aber in den Fußnoten präzisiert wird, lässt mich schon vermuten, dass da ein Kompromissprozess gelaufen ist und es hinterher nur noch in der Fußnote möglich war, deutlicher zu sagen, worum es gehen soll. Es ist vom Textformat her ungewöhnlich, dass nirgendwo im Dokument Fußnoten eine Rolle spielen und dann auf einmal in der Fußnote inhaltliche Themen vertieft werden. Man merkt, das achte Kapitel hat sozusagen mehr Sorgfalt genossen, und das spricht meines Erachtens dafür, dass es schwierig war, mit diesem Thema im Zusammenspiel mit den Dikasterien umzugehen. Das ist aber Spekulation.“

RV: Sie waren 2015 als einziger deutschsprachiger Synodenteilnehmer nicht im deutschen Sprachzirkel vertreten, sondern in einem der englischen Sprachzirkel. Was daraus haben Sie im Papstdokument wiedererkannt?

„In unserem Zirkel war ein großes Thema die Sprache. Der Versuch, positiv umzugehen mit den komplizierten Situationen. Das erkenne ich stark wieder – obwohl das in der Synode so ausgeprägt war, dass ich es nicht unserem Sprachzirkel zuschreiben will. Vieles, womit wir uns beschäftigt haben, ist letztlich nicht ins Dokument hineingekommen, da merkt man, dass andere Gruppen produktiver weiter gewirkt haben.“

„Gerade von der deutschen Sprachgruppe ist viel eingeflossen“

RV: Die Vorschläge welcher Sprachgruppen hat Papst Franziskus bei seinem Schreiben mehr berücksichtigt, Ihrer Einschätzung nach?

„Die Synode hat 1.600 Verbesserungsvorschläge produziert, die dann auch nie im Überblick vorgelegt worden sind. Wir haben aber gelegentlich Zusammenschauen bekommen, und vor allem die deutsche Sprachgruppe, die sich mit dem Thema Gewissen, mit Normen und deren Anwendung im konkreten Einzelfall beschäftigt hat, von der Denkweise der deutschen Sprachgruppe ist sehr viel eingeflossen in den Text. Das kann man richtig erkennen, wie das im Ganzen, vor allem im achten Kapitel zum Umgang mit schwierigen Situationen, immer wieder darauf zurückgegriffen wird, bis hin zu einigen Zitaten vom Heiligen Thomas, die die deutsche Sprachgruppe ausgegraben hatte. Das war das Faszinierende, dass dann diese Gruppe so einen wichtigen Beitrag für den ganzen Verlauf der Synode leisten konnte, und es hat offenbar den Papst auch so beeindruckt, dass er davon viel übernommen hat.“

RV: Ordensmänner sind gewohnheitsmäßig und statutengemäß zu Bischofssynoden eingeladen, auch dann, wenn es um Ehe und Familie geht, ein Thema, das rein lebenspraktisch betrachtet parallel zum Ordensleben verläuft. Das gilt etwas weniger für Bischöfe, die immerhin als Hirten und Seelsorger mit den Lebensrealitäten von Familien besser vertraut sind oder zumindest sein sollten. Welchen Beitrag konnten Ordensleute aus ihrer Perspektive in diesem synodalen Prozess leisten, der vielleicht in „Amoris Laetitia“ Eingang gefunden hat?

„Ich habe das Thema Dezentralisierung wiedererkannt, die Verlegung der Zuständigkeiten auf andere Ebenen, das war ein Thema, das die Ordensleute formuliert haben; auch die Vermutung, dass letztlich Rom ja so konkret gar nicht wird entscheiden können, dass das immer die Situation vor Ort trifft, das ist auch deutlich von Ordensleuten formuliert worden und findet sich in der Einleitung von ,Amoris Laetitia´ wieder. Vermisst habe ich, das muss ich auch sagen, dass Ordensleute darauf hingewiesen haben, dass Jesus nicht nur von der Familie predigt und relativ oft Menschen auffordert, die Familie hinter sich zu lassen, die natürliche Familie auch zu relativieren zugunsten der geistlichen Familie, die die Gemeinde Jesu bildet. Dieser Gedanke findet sich praktisch überhaupt nicht in ,Amoris Laetitia´.“

RV: Sie schreiben, „Amoris Laetitia“ ist das Ende des Synodalen Prozesses, völlig richtig, aber ist es nicht zugleich mindestens ebenso sehr der Anfang eines neuen Gesprächsprozesses?

„Unbedingt! Der Papst hat ja das Wort vom synodalen Prozess wirklich eingeführt und ausführlich behandelt, den er in drei Schritten sieht, Hören aufs Volk, Hören auf die Hirten und dann das Umgehen des Papstes mit diesen Fragen. In diesem Sinn ist der Prozess zum Ende gekommen. Jetzt ist das Dokument da, und das wird jetzt hineingehen, hoffentlich, in Diözesen und Gemeinden. Es ist auch ein wirklich lesenswertes Dokument – ich war richtig gerührt, auch emotional bewegt bei manchen dieser Passagen, die mit so großer Feinfühligkeit vom Papst geschrieben worden sind. Mir sind selber noch Dinge neu klar geworden zur Familie. Es rentiert sich unbedingt, mit diesem Text umzugehen, und damit er die Seelsorge befruchten kann, muss er in die Hand genommen werden, und das geht weiter.“

(rv 13.04.2016 gs)

 

 








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