2016-04-08 12:00:00

Der heimliche Star von Amoris Laetitia: Unterscheidung


„Unterscheidung“ ist einer der zentralen Begriffe geworden, die seit der letzten Synodenversammlung in der Debatte zum Umgang mit komplexen Situationen immer häufiger genannt werden. Gleichzeitig ist das vielleicht der Begriff, der am weitesten weg ist von unserer normalen Umgangssprache. Wir alle wissen, was „unterscheiden“ bedeutet, aber das ist nicht sofort dasselbe wie das, was die christliche Tradition damit meint. Deswegen hier eine kurze Vorstellung dieses heimlichen ,Stars´ der Exhortation.

 

Das Wort „Unterscheidung“ geht auf die Bibel zurück, wo es im ersten Thessalonicherbrief heißt, dass wir alles prüfen sollen und das Gute behalten (5:21). Genau das ist damit gemeint: Für eine Unterscheidung darf man keine bestimmte Formulierung einer Wahrheit für die zu treffende Wahl voraussetzen, sondern muss sich die konkreten Dinge ansehen. Es ist das Gegenteil zum Aufrufen abstrakter Sätze oder Regeln, denn vielmehr soll alles, was uns begegnet - innerlich und äußerlich - betend und denkend geprüft werden.

 

Im Gebet und im Denken

 

Unterscheidung ist auch nicht nur ein Instrument für die ungewöhnlichen oder komplexen Situationen, sozusagen ein Werkzeug für die Krise. Es ist ein dauernder Prozess des sich selbst im Gebet und im Denken Öffnens für Gottes Geist. Wo steckt hier der Wille Gottes? Wo sind hier Funken seines Geistes? Was will Gott hier von mir? „Die geistliche Unterscheidung sucht, die Anwesenheit des Heiligen Geistes in der menschlichen und kulturellen Wirklichkeit zu erkennen, den Samen seines Wirkens in den Ereignissen der Welt, im Gefühl, in den Wünschen, in den tiefen Spannungen im Herzen und in den sozialen, kulturellen und geistlichen Zusammenhängen“ (Papst Franziskus, Audienz für die Civiltà Cattolica, 14.3.2013). Oder in Amoris Laetitia selbst: „Die Unterscheidung muss dazu verhelfen, die möglichen Wege der Antwort auf Gott und des Wachstums inmitten der Begrenzungen zu finden“ (AL 305). Inmitten der Begrenzungen, also inmitten des Konkreten, nicht im Ideal.

 

Damit ist die Unterscheidung gar nicht so weit weg von dem, was wir im Gewissen tun, also dem Ort, an dem wir mit Gott alleine sind, wie es der Papst mit den Worten des Konzils (Gaudium et Spes 16) sagt. Nur dass die Unterscheidung eben nicht notwendigerweise in unserem Inneren stattfindet, sondern auch gemeinsam geschehen kann. Dann wird daraus eine gemeinsame Unterscheidung im Paar, in der Familie, im Pfarrgemeinderat oder andernorts. Die Unterscheidung ist dann sozusagen das Gewissen der Gemeinschaft.

 

47 Mal kommt das Wort in AL vor, in ganz verschiedenen Zusammenhängen. So bedeutet es auch „erkennen“, „voneinander getrennt halten“ (also den umgangssprachlichen Gebrauch), und identifizieren, alles Bedeutungen, die beim Verstehen des geistlichen Vorgangs der ‚Unterscheidung‘, wie ihn Papst Franziskus in AL gebraucht, helfen können.

 

 

(rv 08.04.2016 ord)








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