Der Wiener Theologe Gerhard Marschütz plädiert für eine tiefere und differenziertere Auseinandersetzung der Kirche mit der Gender-Frage und spricht sich gegen eine rein biologistische Sicht auf die Geschlechterrollen aus. „Ich habe das Gefühl, viele äußern sich zu Themen der Geschlechtergerechtigkeit, ohne sich wirklich mit der Theorie dahinter auseinandergesetzt zu haben“, gab Marschütz bei einem Vortrag in Wien zu bedenken. Innerhalb der Kirche ortete er hier einen „großen Aufholbedarf“.
Die Gender-Wissenschaften würden heutzutage von vielen Seiten als Ideologie verunglimpft,
welche die vollständige Gleichmachung der Geschlechter zum Ziel habe. Besonders aus
konservativen Kreisen werde Kritik laut, wonach die Gender-Theorie Naturgesetze infrage
stelle, die seit Menschengedenken Gültigkeit hätten. Marschütz nannte in diesem Zusammenhang
die Gruppe der „neuen Feministinnen“, die sich für traditionsorientierte Familiensysteme
einsetzten. Diese Gruppe negiere wissenschaftliche Erkenntnisse der Geschlechterforschung
und halte sie für gefährlich.
Marschütz ortete ein hohes Maß an „Ungenauigkeiten und Falschinformationen“ in Büchern
zum Thema Gender. „Diese Autorinnen picken sich Halbsätze und Aussagen heraus und
zimmern sich damit ihre eigene ganz spezielle Wahrheit“. Dies entspreche in keiner
Weise wissenschaftlichen und journalistischen Standards und diene nur der gezielten
Verunglimpfung der Gender-Forschung. Problematisch sei, dass solche Autorinnen auch
in manchen kirchlichen Kreise hohes Ansehen genössen und wenig hinterfragt würden.
Wenn dies soweit gehe, dass diese Ideen in offizielle Schreiben Einzug hielten, „tut
sich die Kirche damit keinen Gefallen“, so Marschütz.
Soziale Dimension der Geschlechter nicht negieren
Die Kirche habe mit ihrem tief sitzenden Wunsch, die Familie als Ideal zu schützen,
große Angst davor, die Gender-Theorie wolle das biologische Geschlecht vollständig
durch ein soziales ersetzen. Dabei versteiften sich von Seiten der Kirche einige darauf,
dass die soziale Dimension der Geschlechtlichkeit vollständig negiert werden könne
und nur das Naturgegebene als unverrückbares Faktum anerkannt werden solle.
Marschütz hielt dem entgegen, dass auch soziale Faktoren unser Mann- und Frausein
prägten. Diese würden in einer reduzierten Sicht vollständig „unter den Tisch gekehrt“.
Der Gender-Wissenschaft gehe es in erster Linie darum, aufzuzeigen, dass unser Verständnis
von Mann und Frau immer kulturell aufgeladen sei. Letztendlich stelle auch unsere
Sicht auf die Natur selbst eine kulturelle Interpretation dar.
Marschütz hatte sich unter anderem bereits 2014 in der Zeitschrift Herder-Korrespondenz
mit einem langen Artikel „Zur
Kritik an der vermeintlichen Gender-Ideologie" zu Wort gemeldet. Daraufhin veröffentlichte
die Zeitschrift eine Entgegnung
der katholischen Publizistin Gabriele Kuby, deren Buch „Die globale sexuelle Revolution“
im Zentrum der Kritik von Marschütz an der vermeintlichen Ideologie-Kritik stand.
(kap 10.03.2016 sk)
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