2016-02-15 00:20:00

Mexiko: „Die Indigenen sind die Ärmsten dieses Kontinents“


Mexikos Indigene liegen dem Papst am Herzen. Deshalb besucht er - am Montag - den Bundesstaat Chiapas, der heute noch stark von den Indigenenkulturen geprägt ist. Zugleich ist Chiapas im äußersten Süden das Armenhaus des Landes. Gudrun Sailer sprach mit dem Mexiko-Kenner Prälat Bernd Klaschka vom bischöflichen Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat.

RV: Franziskus will in San Cristobal de las Casas in Chiapas die Indigenensprache Nahuatl zur Liturgiesprache erheben. Inwiefern ist dieser Akt Teil einer kirchlichen Entwicklung, die schon länger andauert?

„Wenn er die Nahuatl-Sprache zur Liturgiesprache erhebt, kommt er den Menschen in Mexiko sehr entgegen. Hier ist auch eine Verbindung zur Erscheinung der Jungfrau von Guadalupe. Die hat sich Juan Diego in Nahuatl mitgeteilt. Die Erscheinungserzählung ist in Nahuatl verfasst. Im Oktober vergangenen Jahres ist erstmals in der Basilika von Guadalupe eine Eucharistie gefeiert worden nur in Nahuatl, vom Bischof von San Cristobal de las Casa, Felipe Arizmendi. Der Papst hat auch vor einem Jahr den Taufritus in einer indigenen Sprache des Staates Chiapas approbiert, das war auch ein Zugehen und Ernstnehmen der Kultur der Indigenen.“

RV: Welche Signalwirkung geht davon aus, wenn Nahuatl, eine der großen Indigenensprachen Mexikos, nun offiziell Liturgiesprache wird?

„Der Papst legt hier den Schwerpunkt darauf, dass wir in der Sprache der Indigenen, der Sprache anderer Kulturen evangelisieren müssen und von dort aus auch das Evangelium verstehen müssen. Er weitet den Horizont des Evangeliums aus, der ja in der Theologiegeschichte oder in der Kirchengeschichte europäische geprägt war und bis heute ist. Ich glaube, hier wird das Bemühen des Papstes deutlich, wirklich Weltkirche zu werden. Er kam vom anderen Ende der Welt, und das andere Ende der Welt möchte er ins Zentrum nach Rom bringen, von der Peripherie ins Zentrum, und dann auch das Zentrum in Bewegung setzen auf die Peripherie hin. In San Cristobal de las Casas, in Chiapas, der einer der ärmsten Staaten Mexikos ist, wird er nochmal deutlich die Option der Kirche Lateinamerikas für die Armen herausstellen, und in dem früheren Bischof von San Cristobal de las Casa Samuel Ruiz findet er auch dort einen Bischof, der diesen Weg gegangen ist.“

Chiapas verbindet die Sorge für die Indigenen mit der Option für die Armen

RV: Es heißt, Papst Franziskus habe damals als Kardinal Bergoglio bei der lateinamerikanischen Bischofsversammlung von Aparecida vor neun Jahren begriffen, dass die Indigenen eine Herausforderung für die katholische Kirche sind, der es sich zu stellen gilt. Können Sie das bestätigen?

„Ich weiß, dass wir in Aparecida sehr intensiv über die Frage der indigenen Kulturen, der Inkulturation des Evangeliums gesprochen diskutiert und nachgedacht haben. Das wurde auch in dem Text deutlich, Bergoglio hat ihn als Präsident des Redaktionskomitees so angenommen, wie er formuliert war. Da ist es deutlich geworden, dass das Problem der Inkulturation des Evangeliums, die Wertschätzung der Kultur der indigenen Völker in Lateinamerika, insgesamt sehr wichtig ist. Soll das Evangelium ins Herz Lateinamerikas kommen, dann muss man die indigenen Kulturen erstnehmen. Denn wir haben eine große Mestizenkultur, eine Mischung indigener und westlicher Kultur. Die Dominanz hat aber noch immer die westliche Kultur. Wir möchten aber als katholische Kirche, dass das Evangelium wirklich bis in die Wurzel der Existenz dieser Menschen hineinkommt, um eine Sinnrichtung aufzuzeigen und ihre Vorstellung auch religiöser Art, denn Lateinamerika ist ein religiöser Kontinent, eminent religiös, diese religiösen Vorstellungen, die sie haben, zu fokussieren auf die Person Jesu Christi, der uns den Weg zu Gott zeigt. Das ist ein befreiender Akt. Da ist, glaube ich, Papst Franziskus durch die Kontakte in Aparecida nochmal einen Schritt weitergegangen, von der Armut hin zu den Indigenen, die im Grund auch die Ärmsten dieses Kontinents sind. Die Indigenen sind die Ärmsten. Da vereinen sich Inkulturation und die Option für die Armen. Deswegen geht er glaube ich auch nach San Cristobal de las Casas.“

RV: Genau dort gab es 40 Jahre lang einen bedeutenden Bischof, Samuel Ruiz, der sich geistlich wie auch politisch einsetzte für die Versöhnung in diesem Bundesstaat. Franziskus wird sein Grab in der Kathedrale sehen. Was ist sein Erbe heute?

„Bischof Ruiz hat wahrgenommen, wie wichtig es ist, das Evangelium in die Herzen der Menschen in Chiapas hineinzutragen. Daher hat er pastorale Strategien entwickelt und gesagt, die Kirche muss vor Ort bleiben.  Er hat also indigene Führungspersönlichkeiten aus verschiedenen Orten und Völkern genommen und ihnen den Weg geöffnet zum Diakonat, wie er im II. Vatikanischen Konzil ja aufgezeigt worden ist. In Chiapas gab es nur wenige Priester. Ruiz wählte den Weg des Diakonats, weil der stärker inkulturiert ist in den Kulturen dieser Völker in Chiapas oder in ganz Lateinamerika, weil die Lebensform des katholischen Priesters auf Weltebene schwer in die Herzen der Indigenen hineinpasst.“

RV: Warum?

„Die Indigenen haben eine andere Auffassung vom Zusammenleben zwischen Mann und Frau als zum Beispiel die Wertschätzung eines Zölibats. Das ist hier in Lateinamerika immer wieder eine große Herausforderung gewesen, diese Lebensform motivierend darzustellen. Wenn der Papst jetzt nach San Cristobal de las Casas gibt, will er damit sagen, dieser Weg der Inkulturierung des Evangeliums, den Samuel Ruiz begonnen hat mit der Option für die Armen, ist ein Weg, den die Kirche auch weitergehen soll. Sein Nachfolger Arizmendi hat ihn weiter beschritten und etwa in Aparecida in vielen Gesprächen, bei denen ich auch dabei sein konnte unter vielen anderen Bischöfen, immer wieder darauf verwiesen, wie religiös die Indigenen sind und wie wichtig es ist, dass sie im Herzen das Evangelium für sich empfangen und annehmen. Nicht nur die Sakramente, sondern auch das Evangelium.“

Kirchliche Widerstände gegen den Weg  des Indigenen-Bischofs Samuel Ruiz, der auf indigene Diakone setzte

RV: Freilich gab es innerkirchlich auch Widerstand gegen diesen Weg der verstärkten Weihe von ständigen Diakonen unter den Indigenen. Denn es führte, so war die Kritik, zu einem Ungleichgewicht zwischen Priestern und Diakonen und wurde dann auch ausgesetzt mit der Emeritierung von Bischof Ruiz im Jahr 2000. Wie hat sich denn die Lage in der Zwischenzeit entwickelt?

„In der Zwischenzeit hat sich die Situation so verändert, dass Bischof Arizmendi wieder indigene Männer zu Diakonen weihen kann. Das war eine klare Entscheidung der römischen Kurie (2014, Anm.), um den Weg, den Bischof Ruiz gegangen ist, anzuerkennen und zu sagen, das ist ein Weg, das Evangelium lebendig zu halten in Chiapas und vielen anderen Gegenden. Zuvor gab es Missverständnisse und, glaube ich, auch eine fehlende Kenntnis, nicht im Sinne rationalen Denkens, sondern von Herzenserkennen, der Situation von Chiapas in Rom.“

RV: Ein Teil der Kritik bezog sich auch auf den Akt der Weihe dieser ständigen Diakone, es wurde der Vorwurf laut, die Frauen der Diakone seien ungebührlicherweise in die Weihe miteinbezogen worden. Stimmt das?

„Da frage ich mich, welche Informationen von der Basis von San Cristobal nach Rom gekommen sind. Normalerweise sieht der Ritus der Weihe verheirateter Diakone vor, dass die Frau bei der Weihe präsent ist. Und die Frau muss während der Weihe zustimmen, dass ihr Mann zum Diakon geweiht wird. Das ist ein Ritus, der weltweit gültig ist. Vielleicht gab es da Missverständnisse, dass man meinte, Samuel Ruiz würde Frauen zu Diakonen weihen - das war ja der Vorwurf. Nein, sie waren präsent. Sonst ist die Weihe zwar gültig, findet aber nicht unter den optimalen Bedingungen statt, die wir als katholische Kirche für die Weihe setzen. Da gab es viele Missverständnisse. Aber ich glaube die Missverständnisse kommen aus der verschiedenen Wahrnehmung einer Kultur heraus. Und auch aus gewissen Ängsten. Ich glaube, wir brauchen als Christen keine Angst zu haben. Denn das Evangelium ist befreiend und fordert uns dazu auf, die Freude des Evangeliums den Menschen zu verkünden. Und im Evangelium ist Gott präsent. Wenn Gott keine Angst hat, dann brauchen auch wir keine zu haben.“

RV: Gibt es denn heute in Chiapas mehr Seminaristen unter den Indigenen?

„Ja, durch die Arbeit in den letzten Jahren ist es auch gelungen, junge Männer zu motivieren, zu versuchen den Weg des Priestertums zu gehen, also auch des zölibatären Lebens, das ist ja damit verbunden. Inwieweit schon viele zum Priester geweiht worden sind, kann ich nicht sagen, aber ich habe den Eindruck, dass der Bischof diesen Weg auch geht. Vielleicht war auch die Kritik aus Rom an Bischof Samuel Ruiz, dass man sagte, du bemühst dich nicht genug um Priester in deiner Diözese und setzt zu stark auf die verheirateten indigenen Diakone. Ich glaube, es ist ein schwieriger Weg, junge indigene Männer zu motivieren, den Weg des zölibatären Priestertums zu wählen.“

Misstrauen gegen das Friedens-Engagement von Bischof Ruiz

RV: Bischof Ruiz war politischer Vermittler in den Zapatisten-Unruhen der 1990-er Jahre. Wie ging das genau?

„Bischof Ruiz war jemand, der von allen in den Konflikt verwickelten Parteien anerkannt wurde als Vermittler, auch von den Indigenen. 1994 kam es in Chiapas zum bewaffneten Aufstand der (indigenen) Zapatisten. Die mexikanische Regierung hat sofort eingegriffen, und sie meinte auch aufgrund der Option für die Armen von Bischof Ruiz, er würde diesen Aufstand befürworten, was nicht der Fall war, er hat das mehrmals gesagt. Es wurde klar, dass er Gewalt ablehnt, das will ich deutlich sagen. Aber die Rechte der Indigenen, dass sie als Menschen anerkannt werden, dass Schulen und Krankenhäuser gebaut werden, dass Infrastrukturmaßnahmen ergriffen werden und dass die natürlichen Ressourcen nicht aus dem Land herausgeholt werden, sondern da bleiben, dafür ist er sehr eingetreten.“

RV: Wie kommt es, dass dieses soziale Engagement der Kirche – verkörpert in Bischof Ruiz - solche Missverständnisse hervorrief?

„Wer sich dazu einmal stark positioniert wie Bischof Samuel Ruiz – und das habe ich selbst erlebt in Mexiko – wer damals in den 90er Jahren sich für die Armen einsetzte oder soziale Initiativen ergriff, wurde sehr leicht und schnell als Kommunist verdächtigt. Das war die Atmosphäre. In dieser Atmosphäre muss man die Vermittlerrolle von Samuel Ruiz sehen, der sich stark dafür bemüht hat, die Konfliktparteien an einen Tisch zu kriegen, und das ist ihm auch gelungen, und die Vereinbarung von San Andres zu  erreichen und umzusetzen, soweit es geht. Es ist noch ein weiter Weg, die Anerkennung der indigenen Kulturen in der mexikanischen Gesellschaft und im Staat zu erreichen, aber ich glaube der erste Schritt ist getan.“

Im ersten Teil des Interviews mit Prälat Bernd Klaschka ging es um die Herausforderungen für die Kirche in Mexiko heute, um den neuen Typus des mexikanischen Bischofs und um den Glaubwürdigkeitsverlust, den die Missbrauchsskandale mit sich brachten.

(rv 15.02.2016 gs)








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