2016-01-30 09:00:00

Buchtipp: „Wir weinten tränenlos…“


Gideon Greif, „Wir weinten tränenlos… Augenzeugenberichte des jüdischen ‚Sonderkommandos‘ in Auschwitz“.

Über sechs Millionen Menschen fielen dem Holocaust zum Opfer, Juden, Sinti, Roma, Priester, Kommunisten, alles Menschen. Die Zahl mit den sieben Ziffern ist groß, einschüchternd und unbegreiflich, aber zugleich auch einfach nur eine Zahl, die den Schrecken auf Distanz hält. Damit der Schrecken aber nicht auf Distanz bleibt, sondern begreifbar, muss man sich mit ihm auseinandersetzen. Das versucht Gideon Greif in seinem Buch „Wir weinten tränenlos… Augenzeugenberichte des jüdischen Sonderkommandos in Auschwitz“. Das „Sonderkommando“ in Auschwitz waren jüdische Häftlinge, die bei den Krematorien und Gaskammern arbeiteten, abseits vom restlichen Lager. Häftlinge begleiten, damit sie sich ausziehen, in die „Dusche“ – also Gaskammer – führen, Leichen aus der Gaskammer herausholen, Haaren und Wertgegenstände entledigen, verbrennen.

Was so unbegreiflich klingt, bringt Greif auf beinahe 400 Seiten zu Papier, lässt die Überlebende selber ihre Erlebnisse beschreiben. Selten werden die abnormalen Grauen in den Gaskammern so detailliert und klar beschrieben, dass man es beinahe vor Augen hat und abends befürchten muss, davon zu träumen. Auf die inhaltliche Einführung folgen die Interviews mit den Überlebenden aus dem „Sonderkommando“. Manchmal dreimal, manchmal zwölfmal. So oft hat sich Greif mit den sechs ehemaligen Häftlingen getroffen und sie ihre Geschichte erzählen lassen. Greif konfrontiert sie in seinen Gesprächen mit ihrer Vergangenheit, sie begeben sich geistig an den Ort des Geschehens zurück und mithilfe detaillierter Fragen wird das Grauen bildlich, mehr als Geschichtsbücher leisten können.

Das Buch ist grauenhaft, schmerzhaft zu lesen. Doch wir kommen nicht umhin es zu lesen. 71 Jahre nach der Befreiung leben nur noch Wenige Überlebende der Konzentrationslager. Damit Zahlen und Fakten über den Zweiten Weltkrieg und den Vernichtungslagern der Deutschen nicht nur wage bleiben, müssen wir die Überlebende anhören und begreifen, dass die Zahl sechs Millionen, sechs Menschen-/Lebensgeschichten bedeuten. Denn so abgegriffen, wie dieser Satz klingen mag, geschehen, darf so etwas nie wieder.

Das Buch ist im Fischer Verlag erschienen und kostet etwa 10,95 Euro.

 

(rv 30.01.2016 pdy)








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