2016-01-18 09:00:00

Papst in Synagoge: Auschwitz muss uns für immer eine Lehre sein


Papst Franziskus hat am Sonntag erstmals die Große Synagoge in Rom besucht. Dabei würdigte er die jüdischen Wurzeln des Christentums, den gemeinsam zurückgelegten Weg von Juden und Christen, er erinnerte an das Schicksal der ermordeten Juden während der Shoah und forderte „höchste Wachsamkeit“, um heutigen Attacken auf die menschliche Würde und den Frieden vorzubeugen. „Sechs Millionen Menschen wurden, allein weil sie dem jüdischen Volk angehörten, Opfer der unmenschlichsten Barbarei, begangen im Namen einer Ideologie, die den Menschen an die Stelle Gott setzen wollte“, so der Papst. Aus Rom wurden 1943 mehr als tausend Juden nach Auschwitz deportiert, die im Gas starben. „Die Vergangenheit muss uns als Lektion für die Gegenwart und die Zukunft dienen“, sagte Franziskus eindringlich.

So nannte er denn an gemeinsamen Herausforderungen für Christen und Juden neben dem Schutz der Schöpfung besonders den Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit. „Die Gewalt des Menschen gegen den Menschen ist im Widerspruch zu jeder Religion, die diesen Namen verdient, besonders in den drei großen monotheistischen Religionen“, sagte der Papst - unter dem Applaus der Anwesenden - mit Blick auf Judentum, Christentum und Islam.

Um sich selbst zu verstehen, könnten „die Christen nicht umhin, auf die jüdischen Wurzeln zu verweisen, und die Kirche anerkennt, obwohl wir das Heil durch den Glauben an Christus bekennt, die Unwiderruflichkeit des Alten Bundes und die bleibende und treue Liebe Gottes zu Israel“, sagte der Papst unter Verweis auf das jüngste Vatikan-Dokument zum jüdisch-christlichen Dialog, das die sogenannte Judenmission – also kirchlicherseits organisierte Versuche, Juden für das Christentum zu gewinnen – erstmals offiziell verwarf.

Er komme als Bischof von Rom, so sagte Papst Franziskus den versammelten Würdenträgern, und bringe „den brüderlichen Gruß des Friedens dieser Kirche und der ganzen katholischen Kirche“. Schon in Buenos Aires, das die größte jüdische Gemeinde Lateinamerikas hat, sei er oft in die Synagogen gegangen, sagte der Papst. „Unsere Beziehungen liegen mir sehr am Herzen.“ Im jüdisch-christlichen Dialog gebe es eine „einzigartige und besondere Verbindung, dank der jüdischen Wurzeln des Christentums: Juden und Christen müssen sich also als Geschwister fühlen, vereint vom selben Gott und von einem reichen gemeinsamen geistlichen Erbe, auf dem wir uns stützen und weiter gemeinsam die Zukunft bauen.“

Alle Redner, auch die drei jüdischen, die in der Synagoge das Wort ergriffen, erinnerten an die bisher zwei Papstbesuche im römischen Tempel. Johannes Paul II. war vor 30 Jahren gekommen und hatte damals als erster Papst seit Petrus eine Synagoge betreten. Benedikt XVI. besuchte die Synagoge am anderen Tiberufer auf den Tag genau vor sechs Jahren. Nach jüdischer Tradition wird ein dreimal wiederholter Akt „feste Gewohnheit“, scherzte der römische Oberrabbiner Riccardo Di Segni. Der Papstbesuch stand ihm zufolge nicht nur im Zeichen der Kontinuität – „im dem Sinn, dass die Katholische Kirche nicht beabsichtigt, auf dem Weg der Versöhnung umzukehren“, sondern auch in jenem der Dringlichkeit angesichts wachsenden Islamistenterrors in Europa und Nahost. „Die traurige Neuerung unserer Tage ist, dass nach zwei Jahrhunderten der Desaster, die auf Nationalismen und Ideologien zurückgehen, heute die Gewalt zuschlägt, die von fanatischen und an den Religionen inspirierten Visionen genährt werden.“ Ein Gegenzeichen seien Treffen des Friedens zwischen Religionsgemeinschaften wie eben der Papstbesuch in der Synagoge, sagte Di Segni. Man empfange den Papst nicht, um über Theologie zu diskutieren. „Wir empfangen den Papst, um zu unterstreichen, dass die religiösen Unterschiede, die beizubehalten und zu respektieren sind, nicht Hass und Gewalt rechtfertigen. Wir müssen zusammen unsere Stimme erheben gegen jedes religiös grundierte Attentat und zur Verteidigung der Opfer.“

Papst Franziskus wurde von zwei Kardinälen begleitet: dem amtierenden und dem emeritierten Präsidenten der Kommission für die religiösen Beziehungen mit dem Judentum, Kurt Koch und Walter Kasper. Auf Gastgeberseite empfing das Kirchenoberhaupt die seit wenigen Monaten amtierende Präsidentin der jüdischen Gemeinde Roms Ruth Dureghello. Zu den eindringlichsten Momente der Begegnung in der Synagoge gehörte jener, als Franziskus in seiner Rede den Holocaust-Überlebenden seine Hommage erwies. Eine Handvoll von ihnen war präsent. Aus Rom hatten die Nationalsozialisten am 16. Oktober 1943 mehr als tausend Juden deportiert. „Ihre Leiden, ihre Ängste, ihre Tränen dürfen nie vergessen werden“, sagte Franziskus.

(rv 17.01.2016 gs)








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