Politiker können eine abwehrende Haltung gegenüber Flüchtlingen nicht mit der Verteidigung des christlichen Europas begründen. Das hat der Abt des bedeutendsten Klosters in Ungarn erklärt. „Ein christliches Europa, ein christliches Ungarn sind Utopien und Illusionen", sagte der Erzabt der Benediktinerabtei von Pannonhalma, Imre Asztrik Varszegi, in einem Interview mit dem ungarischen Wirtschaftsmagazin „HVG". Die europäische Tradition sei unbestritten christlichen Ursprungs, daraus könne aber noch lange nicht geschlossen werden, „dass wir auch in Tat und Haltung Christen sind", so Varszegi.
Ungarns rechtskonservative Regierung hat in den vergangenen Monaten umstrittene
Maßnahmen zur Eindämmung des Flüchtlingsstromes getroffen. Ministerpräsident Viktor
Orban, ein evangelischer Christ, hat sein Vorgehen mit Blick auf die muslimische Religionszugehörigkeit
der meisten Flüchtlinge als Verteidigung christlicher Werte bezeichnet.
Die Motive einer solchen Argumentation seien zu hinterfragen, sagte nun der Erzabt
der Benediktinerabtei von Pannonhalma weiter. Hier gehe es vermutlich mehr um die
Verteidigung „unserer Wohlstandes, unseres Komforts und unserer Sicherheit" und nicht
so sehr um die Verteidigung des Christentums, so der Ordensmann, der im Sommer mit
der Aufnahme von Flüchtlingen in seinem Kloster Aufregung gesorgt hatte. Dazu befragt,
erklärte Varszegi, es sei „keine Heldentat, sondern eine Art erste Hilfe" gewesen
und habe auch dem Grundsatz seines Ordens entsprochen.
Dem Erzabt zufolge könne die heutige Lage nicht auf den Gegensatz zwischen Christentum
und Muslime reduziert werden. Man brauche mehr Informationen, Kenntnisse und vernünftige
Töne. Auf Kirche und Politik angesprochen meinte Varszegi: „Die politische Beeinflussung
und der unzureichende Informationsstand der Kirche stärken einander und bieten den
Nährboden für ein einseitiges Denken."
Der Benediktinerabt äußerte sich auch darüber, wie lange es dauere, bis Veränderungen
innerhalb der Kirche eintreten. Er stelle eine stärkere Sensibilität für die Herausforderungen
an den modernen Menschen und des Zeitalters fest. „Es wird aufrichtig nach den richtigen
Antworten gesucht. Auch diesbezüglich war Papst Franziskus päpstliches Schreiben über
die Barmherzigkeit wegweisend."
Varszegi meinte, es sei darin eine unglaubliche Akzentverschiebung festzustellen.
Ziel sei es, die Menschen zum barmherzigen Gott zurückzuführen, der durch Jesus seine
unendliche Liebe gezeigt habe. "Auch wir müssen über diesen Gott sprechen, der den
Menschen aufhebt, befreit und beschenkt. Ich bin hoffnungsvoll auch dann, wenn ich
weiß, dass die Kirche mit ihrem Apparat überaus schwerfällig sein kann."
(kap 24.12.2015 gs)
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