2015-12-13 08:00:00

Menschen in der Zeit: Hans-Jürgen Hufeisen – Vom Findelkind zur Berühmtheit


Hans-Jürgen Hufeisen, Jahrgang 1954, wuchs bis zu seinem 18. Lebensjahr in einem Kinderdorf auf. Seine Mutter hatte ihn unmittelbar nach der Geburt verlassen, erst viele Jahre später begegnete er ihr ein erstes Mal wieder. Trotz des elternlosen Daseins in frühester Jugend meinte es das Schicksal gut mit Hans-Jürgen Hufeisen. Die Natur hatte diesem Menschen ein wunderbares Talent in die Wiege gelegt, nämlich das Talent zur Musik und zur Mystik. Beides hat er bis zur Meisterschaft entwickelt und ausgebaut, sodass es nicht übertrieben ist, ihn einen „Mystiker der Musik“ zu nennen. Heute ist er einer der erfolgreichsten Flötisten in Deutschland. Ein freischaffender Künstler als Komponist, als Produzent und als Musiker. Er schuf große Bühnenwerke, wie „Die Schöpfung“, „Das Lied der vier Elemente“, das „Bonhoeffer-Requiem“, den „Ostertanz der Frauen“, „Die Jahreszeiten des Herzens die Reise ins eigene Herz“, die „Botschaft der Engel“, dessen Musik in dieser Sendung eingeblendet wird. Seine Interpretationen und Kompositionen für die Blockflöte, in denen er sich gerne mit der bestehenden Kirchenmusik auseinandersetzt, sind meist meditativ und melodisch. In seinen Solostücken und konzertanten Werken lehnt er sich an klassische Vorbilder wie etwa Johann Sebastian Bach oder an Künstler des Barock an. Darüber hinaus lässt er sich aber auch von Volksliedern und von der Musik aus anderen Kulturen inspirieren. Dabei setzt er verschiedene Blockflöten, auch Klavier, Schlagzeug, Streicher und andere Instrumente ein. Sein Schaffen ist durchaus christlich orientiert.

Herr Hufeisen, Sie wurden in einem Gasthauszimmer geboren und dort allein zurückgelassen. Erst zwei Tage später fand Sie der Wirt unter einer Decke. Ist dieser Schmerz noch in Ihrem Bewusstsein lebendig?

Ja, dieser Schmerz, den kann man nicht einfach beiseite legen. Ich habe gelernt, dass ich ihn einfach umarmen muss und dass ich mit ihm gehe, und dann kann ich das auch für mich ertragen und auch zum Teil in Fröhlichkeit verwandeln.

Die nächste Etappe hieß elternloses Kinderheim. Dann geschah ein kleines Wunder: Sie bekamen eine Blockflöte geschenkt. Das war der Tag, an dem der Samen aufging. War das so, Herr Hufeisen?

Ja, ich wünschte mir als 6-jähriger Junge eine Blockflöte zu Weihnachten. Und meine erste Flötenstunde geschah in einem Wald und ich sollte erst die Töne und Lieder der Vögel nachahmen.

Wer, Herr Hufeisen, war eigentlich der erste Mensch, zu dem Sie Vertrauen hatten?

Das war eine Ordensfrau, Schwester Erna in einem Kinderheim im Haus Sonneck. Da war ich drei Jahre alt. Und ich kam von einer Pflegefamilie zu diesem Kinderheim. Es  liegt nördlich von Köln. Das war meine allererste Begegnung: ich ging als kleines Kind die Treppe hoch, die Tür ging auf und Schwester Erna empfing mich als mutterloses Kind damals.

Wann ist Ihnen zum ersten Mal bewusst geworden, dass es die Musik werden wird, die in ihrem Leben ausschlaggebend sein würde?

Ich lernte ja ab dem 6. Lebensjahr sehr intensiv Blockflöte spielen. Und da merkte ich, wenn ich Flöte spielte, wurde meine Seele einfach ruhiger, gelassener. Ich war nicht mehr der traurige, kleine Hans-Jürgen, sondern ich wurde plötzlich ein fröhlicher Hans-Jürgen, und da war mir klar, Musik ist für mich mehr als nur einfach das Spielen von Melodien, sondern Musik war für mich so etwas wie ein heilender Prozess. Damals wusste ich ja noch nicht, was mit meiner Mutter alles so war, aber es war für mich ein ganz wichtiger Vorgang: Musik gleich Heilung.

Sie sind heute 61 Jahre alt. Gelten Ihre frühen Jugendjahre für Sie mittlerweile als endgültig überwunden oder sind sie manchmal sogar hilfreich für Ihre schöpferische Gestaltungskraft?

Wenn ich heute Blockflöte spiele oder viele Konzerte auf der Bühne absolviere, dann habe ich immer diese Erfahrung des kleinen Hans-Jürgen, der gelernt hat, mit der Blockflöte auch zu improvisieren, Melodien spontan zu erfinden und zu spielen. Das ist mir  bis heute als Komponist, als Interpret und als Musiker geblieben. Bleibe spontan für das Neue, denn Musik hat ja etwas damit zu tun, dass die Töne verschwinden, und sie brauchen ja die ständige Neuschöpfung. Das habe ich gelernt, und das ist mir bis heute so geblieben.

Heute sind sie vielleicht der bekannteste Flötist in Deutschland. Wem außer Ihrem Talent und Ihrem Fleiß und ihrer Durchhaltekraft verdanken sie Ihren bedeutenden Erfolg?

Ich denke, in erster Linie ist es Fleiß. Und wenn ich genauer hinschaue, ist es meine christliche Vergangenheit, meine christliche Wurzel. Ich will nicht sagen „Vergangenheit“, sie ist ja Gegenwart. Ich bin aufgewachsen in einem christlichen Kinderheim und bin mit den Liedern des Christentums auch groß geworden. Das heißt, mich hat man nicht missioniert, sondern ich bin einfach da hineingewachsen. Und diese Wurzeln, auch diese musikalischen Wurzeln, auch diese christliche Ethik, die ist mir geblieben, wenn ich heute Kompositionen schreib, Bühnenwerke schreiben, dass ich immer auch mich rückbesinnen kann auf diese Wurzeln des Christentum.

Ihr Lebensanfang erinnert – mich jedenfalls unwillkürlich – an eine starke biblische Geschichte, nämlich an Moses. Auch er wurde ausgesetzt und ist zu einer der großen Gestalten der Kirchengeschichte emporgewachsen. Das ist zwar keine Frage, aber es würde mich freuen, wenn Sie darauf antworten könnten…

Die Geschichte von Mose, als ich sie zum ersten Mal hörte in der Kirche, im Gottesdienst oder, ich weiß noch, wie unser Heimleiter diese Geschichte mal auslegte, ich war ganz angetan davon. Ich wusste ja noch nicht, dass ich eine Mutter hatte, die mich nicht angenommen hatte. Ich lebte ja in einem Kinderheim in einer kleinen Kindergruppe. Aber diese Geschichte hat mich sehr fasziniert. Bis heute, wenn ich diese Geschichte treffe, der ausgesetzte Mose, der in einem Körbchen auf das Wasser gesetzt wird und dann später gefunden, das ist bei mir eigentlich auch passiert. Der Wirt, ich bin ja in einem kleinen Hotel geboren, der hat mich nach zwei Tagen unter der Decke gefunden, die Mutter war nicht mehr da, hat mich damals Caritas übergeben und Caritas hat mich dann eigentlich noch weiter versorgt. Das ist eigentlich eine Moses-Geschichte. Wenn ich diese kleine Geschichte immer wieder höre, eine große, bewegende Geschichte, dann ist das eigentlich auch meine Geschichte.

Was ist es, Herr Hufeisen, genau, was Sie den Menschen mit der Musik vermitteln wollen.

Ich möchte, dass die Musik nicht zerstört noch verstört, sondern dass sie etwas Heilsames vermittelt. Ich vergleiche das mit dem König David, der mit seiner Lira, seiner Laute oder seiner Harfe vor dem König Saul sitzt und spielt. Mit diesem Spiel der Harfe wird der Saul ja eigentlich ganz ruhig. Er wird gelassen. Erst als David, der Hirte, mit seiner Harfe dann nicht mehr spielte, erstand ein Zorn in Saul und das zeigt ganz deutlich in dieser kleinen Begegnung: Musik hat die Kraft, Menschen zur Ruhe zu bringen. Und kirchliche Musik, die alte Gregorianik zum Beispiel, die hat eine ungeheure tiefe, archaische Kraft, die wir wieder neu entdecken müssten.

Sehr oft ist ihre Musik religiösen Themen gewidmet. Worin besteht der Anziehungspunkt zur Religion bei Ihnen? Würden Sie uns das kurz beschreiben?

Wenn ich die alten Kirchenlieder spiele, dann muss ich ja einfach sagen: Das sind große kleine Kostbarkeiten. Zum Beispiel das Lied „Ave Maria zart“, diese Melodie, die ganz kleine Melodie, welche Kraft die doch entwickelt. Die Worte – welche Worte da drin liegen und wie Wort und Klang und Rhythmus sich verbinden, das ist mehr als nur einfach ein Song, sondern das ist wirklich eine kleine große kompositorische Kostbarkeit.

Was brauchen Sie unbedingt zum Gelingen Ihrer Kompositionen, was hingegen empfinden Sie eher als hemmend störend bei Ihrer künstlerischen Arbeit?

Ich finde es ja immer toll, wenn ich anfange zu komponieren, ich sehe erst einmal nichts auf dem Tisch, auf dem Papier steht gar nichts. Und das ist ja eine tolle Herausforderung und ist auch ein Geschenk, dass man das darf, etwas neues erfinden. Das finde ich die eigentliche Herausforderung, auch das Schöne daran: ich darf etwas erfinden, etwas, das es vorher noch nie gab, das nennen wir ja „Schöpfung“.

Welche Orte, welche Ortschaften, gehören zu Ihren Lieblingsorten, in denen Ihnen die Muse besonders nahe steht? Welche würden Sie als Ihre künstlerische Heimat in diesem Sinne bezeichnen?

Meine künstlerische Heimat sind häufig die Kirchen. Das sind kleine Oasen im großen Stress dieser Welt. Immer wenn ich auf Konzertreisen bin, suche ich mir eine Kirche, und das kann ein Dom sein, ein Münster sein, eine Basilika, das kann aber auch ein ganz kleines Kirchlein sein. Ich setzte mich da hinein, komme zur Ruhe und aus dieser Stille heraus, glaube ich, können wir auch etwas Neues bekommen, oder auch Kraft gewinnen. Und für mich muss das jetzt nicht Sinai sein mit einem Kloster. Dieses Kloster finde ich ja auch toll. Sondern es kann im großen hektischen Leben eine Insel sein und das finde ich, das sind die Kirchen, das sind große Kostbarkeiten, die wir uns erhalten müssen.

Musikalisch gesprochen – was wäre die Musik wenn es keine tiefen, dunklen Töne und wenn es keine hellen Töne gäbe, Herr Hufeisen?

Ja, das hat ja schon Michelangelo gesagt, der große Künstler, der auch die sixtinische Kapelle innen gestaltete: „Ich brauche Schatten, damit ich Licht gestalten kann“. Also ich brauche die Dunkelheit, um eine Kerze anzuzünden, um zu sagen: ich finde Trost. Das heißt aber jetzt nicht, ich muss die Dunkelheit herbeisehnen, sondern ich kann ja häufig gegen diese Dunkelheit nichts machen, die kommt ja auf mich einfach zu, sondern ich habe dann die Chance, Licht zu gestalten, aber ich muss dann als Mensch auch selbst tun, von alleine kommt das nicht, der Mensch muss eben auch mal die Kerze anzünden.

Hans-Jürgen Hufeisen, in Ihrem Namen steht gleich zwei Mal das Glück. Hans im Glück, und Hufeisen. Sie hatten einen überaus schweren Lebensstart. Sind Sie heute ein glücklicher Mensch?

Ich bin ein sehr glücklicher Mensch und auch ein sehr positiv aufgestellter Mensch und ich muss sagen, das, was mir die Schwestern früher im Kinderheim gegeben haben, hat mir eigentlich auch die Gabe mitgegeben, mit meinem Leben so umzugehen, dass ich es in Fröhlichkeit verwandeln kann, in Mut verwandeln kann, in Hoffnung verwandeln kann. Und diese Fähigkeit, was diese Schwestern von damals, mir das mitzugeben, die war nur darin begründet, dass sie gesagt hatten: Wir tun das einfach aus der Liebe zu den Menschen. Und wenn ich diese Liebe mit der Musik weitergeben kann, dann gewinne ich ja wieder Kraft. Das ist das, was ich einfach so täglich erlebe und ja, das ist ein Stück weit auch mein Leben.

 

(rv 13.12.2015 ap)

 

 








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