2015-12-09 14:46:00

Vatikan/Ungarn: „Kein Konflikt in der Flüchtlingsfrage“


Ungarn hat einen neuen Botschafter beim Heiligen Stuhl: Eduard Habsburg-Lothringen. Am Montag überreichte er Papst Franziskus sein Beglaubigungsschreiben. Der 48-jährige sechsfache Familienvater ist neu im Metier der Diplomatie. In früheren Jahren wirkte er unter anderem als Drehbuchautor, Schauspieler und Produzent sowie als Medienreferent des St. Pöltner Bischofs Klaus Küng. Gudrun Sailer sprach mit Eduard Habsburg-Lothringen über Franziskus, den Vatikan und ein Thema mit diplomatischem Konfliktpotential, nämlich Ungarns Flüchtlingspolitik. Zunächst fragte sie ihn:

Wie war´s beim Papst?

„Sehr beeindruckend – ich glaube sowohl für uns als auch für ihn, weil normalerweise zum Papst ja vor allem steife politische Persönlichkeiten kommen, und wir kamen mit sechs Kindern. Das war sehr lebhaft! Bevor ich ihm meine Familie vorstellen konnte, hatte ich über eine Viertelstunde allein mit ihm. Das ist das große Privileg von Botschaftern, und Wochen vorher überlegt man sich, worüber man mit ihm spricht, wie man diese 15 Minuten nutzt, denn das werden die einzigen sein, wo man so lange mit ihm reden kann. Ich hatte mir vorgenommen, vor allem über Familie zu sprechen, weil Familie für mich das prägende Element ist, wir haben uns nun einmal entschieden, viele Kinder zu haben. Familie war auch das Thema meiner fünf Jahre bei Bischof Klaus Küng von St. Pölten, und Familie ist auch ein großes Thema für die ungarische Regierung, die viel tut für Familien, für die Möglichkeit, dass Mütter auch zu Hause bleiben können, wenn sie wollen.“

Wie steht Papst Franziskus zu Ungarn?

„Der Papst hat mir den Eindruck vermittelt, dass der Ungarn sehr mag. Das ist vielleicht biografisch mitbedingt. Er ist in Argentinien oft bei den Englischen Fräulein (Congregatio Jesu) gewesen und hat sie pastoral betreut, und das waren in Buenos Aires Flüchtlinge aus Ungarn, die ihm die ungarische Kultur beigebracht haben. Er hat sie als aufrechte, tapfere Frauen erlebt. Sie haben ihm auch das ungarische Essen nahegebracht. Und er hat mir gesagt: Ich habe gelernt, was das wichtigste und größte Symbol Ungarns ist – ich habe gedacht, jetzt kommt die Stephanskrone oder so etwas – und er sagte: der Tokajer!“

Der berühmte Weißwein! Haben Sie den Papst auch im Namen Ihrer Regierung nach Ungarn eingeladen?

„Ja. Die Ungarn wünschen sich genau wie jedes Land auf der Welt, dass der Papst zu Besuch kommt. Er hat gesagt, dass er sich dieser Einladung voll bewusst ist, dass er aber mit seinen 79 Jahren langsam merkt, dass er nicht mehr alles machen kann, was er will. Und er hat dieser wunderbare, warmherzige, elegante Art gehabt, die alle im Vatikan haben, dass man nicht Nein und nicht Ja sagt, also ich denke, die Sache ist noch nicht entschieden.“

Sie sind ein Quereinsteiger in der Diplomatie, Ihr Wahrnehmungsvermögen ist noch ganz unverbraucht: Wie erleben Sie als frisch akkreditierter Botschafter den Vatikan als Ganzes? Was für ein Pflaster ist das?

 „Mein Eindruck ist: eine große Wartehaltung. Wir befinden uns in einem großen Prozess der Erneuerung. Papst Franziskus ist auch angetreten mit dem Anspruch, den Vatikan auch auf den neuesten Stand zu bringen, dort Dinge zu verändern. Je nachdem mit wem man spricht, machen sich die Leute Sorgen oder freuen sich über die Änderungen. Wir sind noch mittendrin. Das ist der stärkste Eindruck: Es geschieht etwas Großes, es ist noch zu früh zu sagen, wohin es führt.“

Sie haben erwähnt, worüber Sie mit Papst Franziskus selbst gesprochen haben. Nun wäre das erste Thema, das einem einfällt, wenn man an Ungarn und den Heiligen Stuhl denkt, ein eher problematisches, nämlich Ungarns Flüchtlingspolitik, die in evidentem Widerspruch steht zu dem, was der Papst als richtig erachtet. Was ist Ihre Rolle in diesem Konflikt?

„Ich glaube, dass es keinen Konflikt zwischen dem Heiligen Stuhl und Ungarn über die Frage der Flüchtlingsproblematik gibt. Ich habe nicht mit dem Heiligen Vater über die Flüchtlingsfrage geredet, er hat es auch nicht von sich aus angesprochen. Das habe ich in meinem Gespräch danach mit dem Kardinalstaatssekretär Parolin gemacht. Und ich glaube, er hat mit mir übereingestimmt und sicher auch mit der ungarischen Regierung, dass es sich um ein europäisches Problem handelt, das nur Europa gemeinsam lösen kann.“

Zäune sind keine Lösung des Flüchtlingsproblems, hat Papst Franziskus gesagt. Ungarn hat Zäune gebaut, so wie andere osteuropäische Länder auch. Führen solche päpstliche Äußerungen, die ja nicht in die Luft gesprochen sind, sondern sich ja auf etwas Konkretes beziehen, in Budapest bei Ihrer Regierung zu Verärgerung, zu wechselseitigen Empfindlichkeiten?

„Ich muss zugeben, dass im vergangenen Sommer die Nachrichten und die Bilder aus Ungarn zum Teil sehr schlecht ausgeschaut haben. Zäune, Flüchtlinge, die davorsitzen, solche Bilder sind schwer zu verdauen. Wenn der Heilige Vater mich auf das Thema Zäune angesprochen hätte, dann hätte ich ihm erklärt, dass man Ungarn an mehreren Grenzübergängen betreten kann; dass der Zaun nicht die Aufgabe hat, die Flüchtlinge wegzuhalten, sondern sie zu kanalisieren und zu den Orten zu führen, wo sie die Grenze überschreiten können und auf der anderen Seite ihren Asylantrag stellen können. Der Wille dazu war bei den meisten Flüchtlingen nicht gegeben. Das heißt, in dem Moment, wo der Zaun zu war, kamen pro Tag 120 Flüchtlinge, vorher waren es auch 10.000 pro Tag über die Grenze nach Ungarn. Die anderen sind weitergewandert, weil ihr großes Bedürfnis war, direkt nach Deutschland zu gelangen. Das Problem hat sich weiterverlagert zu unseren Freunden nach Kroatien und Slowenien und natürlich nach Österreich. All das zeigt, dass das Schengen-Abkommen und das Dublin-Abkommen so, wie sie geschrieben sind, keine Antwort auf die aktuellen Probleme sind. Ungarn hat einfach versucht, den Verpflichtungen nachzukommen, die ihm auferlegt wurden, als es dem Schengen-Raum beitreten durfte. Und diese verpflichten das Land, jeden, der hereinkommt, erst einmal zu erfassen, er muss einen Pass haben. Ungarn hat versucht, eine Ordnung in den Flüchtlingsstrom zu führen – und das hat zu diesen Bildern geführt. Im Moment würde jeder in der ungarischen Regierung auch mit Ihnen übereinstimmen: Europa muss das Problem lösen, nicht ein einzelnes Land.“

Nun hat Europa versucht, etwa mithilfe von Flüchtlingsquoten eine Streuung der Flüchtlinge auf möglichst alle EU-Länder zu erreichen. Ungarn hat bei der EU protestiert und sogar geklagt gegen die vereinbarte Quote an ihm zugewiesenen Flüchtlingen. Ist das ein gangbarer Weg?

„Ungarn hat Klage eingelegt, weil das Verfahren, wie dieser Beschluss gefasst worden ist, aus ungarischer Sicht nicht mit EU-Recht übereinstimmt. Die Slowaken, unsere Nachbarn, haben das auch gemacht. Noch einmal: Indem wir 120.000 Flüchtlinge verteilen, werden wir das Problem nicht angehen. Europa muss sich die Frage stellen, wie gehen wir mit 900.000 Flüchtlingen im Jahr um, mit diesem Marsch zu Fuß, der einfach hereinkommt? Wie gehen wir mit den Menschen um, die mit der Hoffnung auf ein besseres Leben und Sicherheit kommen? Was ist unsere Antwort? Natürlich ist die wichtigste Antwort, lasst uns in den Ländern, aus denen sie kommen, die Möglichkeit schaffen, dass jeder zu Hause bleiben kann. Lasst uns in Syrien zu einer Lösung kommen. Aber die Idee zu haben, dass man den Syrienkonflikt in kurzer Zeit lösen kann, ist eine große Hoffnung, aber man kann sich nicht darauf verlassen. Ich habe gesprochen mit Caritas Internationalis, die sagten, ehe in Syrien wieder eine Familie attraktiv leben kann, kann das eine Generation oder noch länger dauern – diese Menschen werden bleiben. Wichtiger also als die Frage Zäune oder nicht Zäune ist die Frage, wie gelingt eine echte Integration und ein Zusammenleben in Europa mit diesen Menschen, die kommen und bleiben werden.“

Themenwechsel: Sie sind, wenn ich es recht sehe, der erste Ihrer Familie, der seit dem Ende der Donaumonarchie Österreich-Ungarn in Ungarn ein hohes Staatsamt erfüllen, nämlich als Botschafter. Wie fühlt sich das an?

„Das muss ich zunächst korrigieren, mein Cousin Georg war Botschafter bei der EU für Ungarn, und in gewisser Weise ist mein Vater auch schon den Weg vorgegangen: Als ungarischer Staatsbürger ist er Botschafter des Malteserordens in Ungarn. Aber Sie haben recht, ich bin sozusagen der erste Botschafter Ungarns mit meinem Namen bei einem Staat. Ich habe das am Anfang den Ungarn ein wenig erklären müssen, weil in Ungarn der Name Habsburg nicht immer einen guten Klang hatte. Ungarn denken sehr historisch. Einer der Feiertage Ungarns bezieht sich auf die Revolution von 1848, damals hat Habsburg mithilfe von Russland das ungarischer Freiheitsstreben abgewürgt. Aber, das muss ich auch sagen, ich bin aus der ungarischen Linie der Habsburger, die seit ungefähr 1800 in Ungarn ist, ist immer auf Seiten der Ungarn gestanden, und mein Ur-Ur-Urgroßonkel Erzherzog Stefan ist auf der Seite der ungarischen Delegation nach Wien marschiert, um die ungarischen Forderungen vorzubringen. Ich glaube, es ist schon angemessen, dass einer aus der ungarischen Linie Ungarn nach außen vertritt. Und ich glaube, ich kriege im Allgemeinen doch einiges an Wohlwollen!“

(rv 09.12.2015 gs)








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