2015-11-27 10:01:00

Papst an Jugendliche: Hand in Hand gegen Tribalismus


Kernsätze aus der frei gehaltenen Papstansprache bei der Begegnung mit Jugendlichen, Kasarani-Stadion Nairobi, Kenia.

Warum gibt es die Spaltungen, die Kriege, den Tod? Den Fanatismus und den Streit unter jungen Leuten? Warum dieser Wunsch nach Zerstörung? Auf den ersten Seiten der Bibel tötet ein Bruder seinen Bruder, gleich nach den wunderbaren Dingen, die Gott erschaffen hat. Der Geist des Bösen stiftet uns zur Zerstörung und zur Zerstrittenheit an, zum Tribalismus, zur Korruption, zur Drogenabhängigkeit. Zur Zerstörung aus reinem Fanatismus. Wie können wir es anstellen, dass uns der radikale Fanatismus nicht einen Bruder, eine Schwester raubt?

Es gibt ein Wort, das unbequem klingen mag, aber ich will es nicht vermeiden. Ein Mensch verliert das Beste seines Menschseins, wenn er nicht zu beten weiß – weil er sich dann allmächtig und keine Notwendigkeit fühlt, um Hilfe zu bitten angesichts so vieler Tragödien. Das Leben ist voller Schwierigkeiten, aber es gibt zwei Möglichkeiten, darauf zu schauen: als etwas, das dich blockiert und bremst, oder als eine Chance. Ihr habt die Wahl! Für mich ist eine Schwierigkeit ein Weg der Zerstörung, oder ist sie vielmehr eine Chance, sie zu überwinden – für mich, meine Familie, mein Land? Liebe junge Leute, wir leben nicht im Himmel, sondern auf der Erde, und die Erde ist voller Schwierigkeiten, mehr noch, voller Einladungen zum Bösen. Aber es gibt alles, was ihr alle habt: die Fähigkeit zu wählen. Welchen Weg will ich gehen? Was von diesen beiden Dingen will ich: mich von der Schwierigkeit besiegen lassen, oder sie als Chance zu nehmen, damit ich am Ende siege?

Ihr seid wie Sportler, die ins Stadion einlaufen: Wollt ihr gewinnen, oder habt ihr den Sieg schon an die anderen verkauft und euch das Geld in die Tasche gesteckt? Ihr habt die Wahl!

Eine große Herausforderung ist der Tribalismus (Stammesdenken). Er zerstört; er bedeutet, die Hände hinterm Rücken zu verstecken und darin Steine zu halten, die man auf andere wirft. Tribalismus überwindet man nur durch das Ohr, das Herz und durch die Hand. Das Ohr: Was ist deine Kultur? Warum hat dein Stamm diese Gewohnheiten? Fühlt er sich über- oder unterlegen? Mit dem Herzen: Sobald ich mit dem Ohr die Antworten gehört habe, dann geht das mir ins Herz – und ich strecke die Hand aus, um in einen Dialog zu treten. Wenn ihr keinen Dialog führt und anderen nicht zuhört, dann bleibt ihr im Tribalismus stecken! Das ist wie ein Wurm, der in der Gesellschaft immer dicker wird. Gestern war ein Tag des Gebets und der Versöhnung; ich lade euch alle jetzt dazu ein, dass wir uns alle an der Hand fassen – als ein Zeichen gegen Tribalismus! Wir sind alle eine Nation! Wir sind alle eine Nation! Alle sind eine Nation! So müssen unsere Herzen sein. Den Tribalismus überwinden, ist eine tägliche Anstrengung. Eine Arbeit des Ohrs, des Herzens und der Hände: offen sein für andere.

Eine andere Frage ist die der Korruption. Kann man Korruption rechtfertigen – weil ja alle Sünder und also korrupt sind? Wie können wir Christen sein und die Korruption bekämpfen? Ich erinnere mich, wie in meiner Heimat mal ein Zwanzigjähriger in die Politik gehen wollte. Er studierte und arbeitete viel, bekam dann auch eine Stelle in einem Ministerium. Eines Tages musste er über neue Anschaffungen entscheiden und ließ drei Kostenvoranschläge machen. Natürlich nahm er den billigsten; dann ging er zu seinem Chef, damit der das unterschreibt. „Warum hast du den hier ausgewählt?“ – „Man muss doch den billigsten nehmen!“ – „Nein. Man muss den nehmen, der dir am meisten bietet.“ – Und der junge Mann antwortete: „Ich bin in die Politik gegangen, um der Nation zu dienen.“ – „Und ich, um zu rauben!“

Das ist nur ein Beispiel, nicht mehr. Und so läuft das nicht nur in der Politik, sondern in allen Lebensbereichen, sogar im Vatikan gibt es Korruptionsfälle. Korruption ist etwas, das sich in uns einnistet; wie Zucker, ganz süß, das schmeckt und ist einfach. Aber dann sind wir auf einmal auf dem schlechten Weg. So vieler Zucker führt bei uns – oder  bei unserem Land – zu Diabetes! Jedes Mal, wenn wir Bestechungsgeld annehmen, zerstören wir unsere Herzen und unsere Persönlichkeit und unser Land. Bitte: Gewöhnt euch nicht an diesen Zucker namens Korruption! – „Aber Padre, alle machen das doch. So viele, die sich verkaufen für ein bisschen Kohle, ohne an das Leben der anderen zu denken.“ – „Wie immer muss man mit irgendetwas den Anfang machen. Wenn ihr keine Korruption wollt, fangt jetzt bei euch selbst an! Wenn ihr nicht damit anfangt, werden es die anderen auch nicht tun.“

Korruption raubt uns außerdem die Lebensfreude, den Frieden. Ein Korrupter lebt nicht in Frieden. In meiner Heimatstadt starb einmal ein Mann, von dem alle wußten, dass der korrupt war. Ich fragte am Tag danach: Wie war denn das Begräbnis? Und eine Frau antwortete mir mit viel Humor: Padre, die kriegten den Sarg nicht zu, denn er wollte alles Geld mitnehmen, das er zusammengeraubt hatte! Was ihr durch Korruption raubt, wird hierbleiben und an einen anderen fallen; und so viele Herzen von Menschen um dich herum werden durch dein schlechtes Beispiel beeinflusst worden sein! Liebe junge Leute, Korruption ist kein Weg des Lebens, sondern des Todes!

Eine weitere Frage: Wie sollte man die Medien einsetzen, um die Botschaft Christi zu verbreiten und gute Initiativen zu fördern? Das erste Kommunikationsmedium ist das Wort. Die Geste. Das Lächeln. Die Nähe! Das erste Kommunikationsmedium besteht darin, nach Freundschaft zu suchen. Wenn ihr euch einander annähert und euch anlächelt, auch wenn ihr aus verschiedenen Stämmen kommt, und wenn ihr euch den Armen, den Kranken, den Verlassenen, den Alten annähert, dann sind diese Kommunikationsgesten ansteckender als alle Fernsehkanäle!

Sprecht mit eurem Herzen zum Herrn, und betet zu ihm, damit er euch die Kraft gebe, den Tribalismus zu zerstören! Fasst euch an der Hand. Betet darum, nicht zu Korrupten zu werden und dass ihr fähig werdet, mit eurem Nächsten über ein Lächeln, freudig, in Nähe zu kommunizieren.

Was können wir tun gegen die Anwerbung junger Leute durch Radikaler? Was können wir tun, damit sie wiederkommen? Um darauf zu antworten, müssen wir erst einmal begreifen, wie ein junger Mensch voller Hoffnungen dazu kommt, sich von Radikalen anwerben zu lassen. Er verlässt dann seine Familie, seine Freunde, seinen Stamm, sein Land – sein Leben, denn er lernt das Töten. Das ist eine Frage, die ihr an alle Autoritäten stellen solltet! Wenn ein junger Mann, eine junge Frau keine Arbeit hat, nicht studieren kann – was kann er, was kann sie denn dann tun? Kriminell werden, abhängig werden, sich umbringen? Oder sich eben anwerben lassen bei einer Gruppe, die ein Lebensziel vorgaukelt.

Das Erste, was wir tun müssen, um die Radikalisierung von jungen Leuten zu verhindern, heißt: Ausbildung und Arbeit. Wenn ein junger Mensch keine Arbeit oder keine – selbst geringfügige – Ausbildung hat, welche Zukunft hat er denn dann? Hier ist der Punkt, wo die Radikalen ansetzen. Hier liegt die Gefahr. Eine soziale Gefahr, die von einem internationalen System abhängt, welches ungerecht ist. Denn es hat nicht den Menschen im Mittelpunkt, sondern den Geld-Gott. Was kann ich tun, um diesem jungen Menschen zu helfen und ihn zurückzubringen? Als erstes: Beten, aber kräftig! Gott ist stärker als jedwede Rekrutierungskampagne. Und dann: mit ihm voller Liebe und Sympathie sprechen – und mit viel Geduld. Ihn einladen zu einem Fußballmatch, zu einem Spaziergang, in deine Gruppe zu kommen. Lass ihn nicht allein!

Dann eine Frage, die fast eines Theologieprofessors würdig wäre: Wie können wir verstehen, dass Gott unser Vater ist? Wie können wir seine Hand hinter den Tragödien des Lebens erkennen? Wie finden wir den Frieden Gottes? Diese Fragen stellen sich Menschen in der ganzen Welt, und sie finden keine Antwort. Es gibt Fragen, auf die du auch durch noch so viel Nachdenken keine Antwort findest. Wie kann ich denn Gottes Hand bei einer Tragödie wahrnehmen? Es gibt nur eine – fast hätte ich gesagt: Antwort, aber nein, es gibt keine Antwort. Es gibt nur einen Weg. Auf den Sohn Gottes sehen. Gott hat ihn ausgeliefert, um uns alle zu retten. Gott hat sich selbst zur Tragödie gemacht und sich zerstören lassen am Kreuz, und wenn ihr etwas nicht versteht oder euch die Welt über dem Kopf zusammenbricht: Schaut auf das Kreuz! Hier ist das Scheitern Gottes! Die Zerstörung Gottes. Aber auch die Herausforderung an unseren Glauben: die Hoffnung. Denn die Geschichte endete nicht mit diesem Scheitern, sondern mit der Auferstehung, die uns alle erneuert hat.

Ich werde euch etwas Persönliches erzählen: In meiner Tasche habe ich immer zwei Dinge. Einen Rosenkranz, um zu beten, und etwas Merkwürdiges: das hier! Das ist die Geschichte des Scheitern Gottes. Ein Kreuzweg, ein kleiner Kreuzweg. Er zeigt, wie Jesus litt, von seiner Verurteilung bis zu seinem Begräbnis. Mit diesen beiden Dingen in der Tasche tue ich, was ich kann. Dank dieser beiden Dingen verliere ich nie die Hoffnung.

Eine letzte Frage: Was sagen Sie jungen Leuten, die in der Familie keine Liebe erleben? Überall gibt es verlassene Kinder, bei der Geburt verlassen oder vom Leben verlassen – sie spüren keine Familienliebe um sich herum. Das ist der Grund, warum Familie so wichtig ist. Verteidigt die Familie! Verteidigt sie immer! Überall gibt es nicht nur verlassene Kinder, sondern auch verlassene alte Menschen, die keiner besucht, die keiner liebt. Wie kommt man aus dieser negativen Erfahrung heraus? Da gibt es nur eine Möglichkeit: Tut anderen das, was ihr selbst nicht erlebt habt! Wenn euch keiner versteht, seid verständnisvoll mit anderen. Wenn ihr keine Liebe erlebt habt – liebt die anderen. Wenn ihr den Schmerz des Alleinseins kennt, nähert euch anderen an. Fleisch heilt Fleisch: Darum ist Gott Fleisch geworden, um sich uns anzunähern.

So. Bevor der Schiedsrichter das Spiel abpfeift, höre ich jetzt auf. Ich danke euch von Herzen dafür, dass ihr gekommen seid und dass ihr mir erlaubt habt, in meiner Muttersprache zu sprechen. Danke, dass ihr so viele Rosenkränze für mich gebetet habt. Ich bitte euch: Betet weiter für mich, denn ich brauche das auch – sogar sehr. Ich zähle auf eure Gebete! 

Eine Arbeitsübersetzung von Radio Vatikan

(rv 27.11.2015 sk)








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