2015-10-12 10:20:00

Menschen in der Zeit: Pater Heinz Georg Goldkuhle


„Menschen in der Zeit“: 11. Oktober 2015

Flughafenseelsorge ist ein außerordentlicher pastoraler Arbeitsbereich mit internationalem Flair. Sie ist im Vergleich zur herkömmlichen Pastoral durchaus alternativ und mit ökumenischer Ausrichtung, sowohl interkonfessionell als auch interreligiös. Heute sprechen wir von einer Einrichtung am Frankfurter Flughafen, Drehscheibe für Reisende auf der Schiene und in der Luft mit über 150.000 Passagieren täglich. Leiter dieser Einrichtung ist Pallottiner Pater Heinz Georg Goldkuhle, geboren 1950 in Koblenz. Nach einer Lehre als Hotelkaufmann holte er das Abitur nach und trat 1978 bei den Pallottinern ein. 1980 begann er ein Philosophie- und Theologie-Studium an der Hochschule der Pallotiner in Vallendar. Als Pfarrer war Goldkuhle in Westfalen tätig, arbeitete als Jugendseelsorge und in der Klinikseelsorge. Heute ist er – wie gesagt – der Leiter der Flughafenseelsorge am Frankfurter Flughafen, einem der größten Europas. Herr Goldkuhle, Kirche ohne Weihrauch und Stola?

Ja, ohne Weihrauch, das mag durchaus stimmen, denn Rauch ist ein gefährlicher Faktor hier am Flughafen, wo immer es Rauchmelder gibt und dann… die Stola allerdings ist dabei. Die Stola ist dabei, weil wir Sakramentenpastoral betreiben. Es ist ja Passagiere-Pastoral, Menschen die kommen von überall her hierhin und suchen uns auf in irgendeinem pastoralen Anliegen.

Worin besteht nun in der Hauptsache, kurz zusammengefasst, Herr Goldkuhle, Ihr Engagement, Ihr Einsatz am Frankfurter Flughafen?

Wir sind da, für die Passagiere und für die Angestellten, wir haben immerhin 78.000 Angestellte am Flughafen, die arbeiten. Wir sind aber auch dafür da, die Obdachlosen, die hier leben, orientierungslos am Flughafen herumirren, Flaschen sammeln, betteln. Wir sind für alle diese Menschen da und Anlaufstelle auch in ihren Nöten, in ihren Anliegen.

Also Flughafenmission, das ist ja so eine Art menschliche Feuerwehr, würde ich sagen. Sie leisten unter anderem Erste Hilfe dort, wo Menschen sich von anderen Menschen, von ihren Angehörigen, ihren Freunden trennen müssen, dort, wo Menschen sich vielleicht verlassen fühlen. Dort, wo Menschen sich plötzlich ihrer Hilflosigkeit bewusst werden. Wie gehen Sie in der Praxis, Herr Goldkuhle, mit diesen Menschen um?

Wir sind da und bereit zu einem Gespräch, wir können auch vermitteln, wir können an den kirchlichen Sozialdienst weiterleiten, wenn es zum Beispiel um finanzielle Nöte geht. Wir sind aber auch bereit, hier jedem, der zu uns kommt, ein Frühstück zu geben, einen Kaffee einzuschenken. Wir haben 15 ehrenamtliche Mitarbeiter, die jeden Tag in verschiedener Beisetzung da sind und neben mir gibt es ja noch einen anderen Pallotiner aus Kamerun, der praktisch mit einer halben Stelle mitarbeitet und eine Sekretärin, die sehr vieles für uns koordiniert, so dass wir rund um die Uhr – nicht rund um die Uhr, aber rund um den Tag herum, von morgens achts bis nachmittags um vier – für die Menschen da sind.

Flughäfen stehen ja nicht nur für Reisen und Vergnügen, sie können auch Orte von Elend, von Not und Einsamkeit sein, denke ich. In der Begegnung mit diesen Menschen obliegt Ihnen, Herr Pater, eine große Verantwortung. Begegnungen, die Sie täglich vielleicht sogar oft stündlich in Selbstverantwortung mit großer Empathie, mit Geduld und Fachwissen begleiten müssen, fühlen Sie, dass Ihnen da manchmal auch Grenzen gesetzt sind?

Uns sind Grenzen gesetzt, durchaus, weil wir nicht Wunder bewirken können, aber wir können vielleicht weiterhelfen. Das wichtigste, was wir anbieten, ist ein offenes Ohr, eine offene Tür. Da fühlen sich Menschen dann in ihrer Einsamkeit, in ihrer Verlassenheit geborgen. Sie können verschnaufen sozusagen, Luftholen bei uns, das ist bei uns in der Kapelle oder das ist bei uns im Büro. Das geschieht durch Gebet und durch offene Ohren und Türen, dann den Menschen auch ein Stück Geborgenheit zurückgeben, die sie am Flughafen vielleicht aufgrund ihres Gestrandet-Seins verloren haben.

In Ihrer Hilfseinrichtung, Ihrer Mission, Herr Goldkuhle, finden Menschen etwas, das es für Geld nicht zu kaufen gibt – Wärme, Menschlichkeit und – wie sie sagen – offene Ohren. Wie schwierig muss es sein, oft in Windeseile, den richtigen Kontakt, die richtige Umgangsweise zu und mit diesen Menschen zu finden, herauszufinden, ich meine manchmal oder vielleicht in der Mehrzahl kommen Besucher zu Ihnen, deren Zeit sehr begrenzt ist, da kommt es doch sehr auf den richtigen Ton an. Braucht es dazu eine ganz besondere Begabung?

Ich vermute schon und ich vermute auch, dass es mir immer wieder gelingt, diese Begabung zu mobilisieren, aus meinem Inneren heraus. Denn der Antrieb für unsere Arbeit ist ja das Evangelium und die Freude am Evangelium, die vom Papst ja auch so betont worden ist. Wir versuchen den Menschen diese Freude des Glaubens und der Hoffnung zu vermitteln, dass Sie erfahren: Ja, hier ist jemand, der hat eine innere Motivation für uns da zu sein. Und am Flughafen ist das Leben sehr hektisch: Die Menschen gehen aneinander vorbei, ohne oft zu grüßen oder ein „Hallo“ ist meistens das einzige, was ihnen entgegenkommt, oder die offiziellen Informationen über den Lautsprecher. Aber eine menschliche Begegnung, die kann schon sehr viel inneres, was verschlossen ist, auch wieder öffnen und dann wird auch ein Zugang gefunden, zu den Seelen, zu den Herzen der Menschen. Das ist eine Begabung, die ich gerne ns Spiel bringe, so weit sie mir zur Verfügung steht.

Wie groß ist denn zahlenmäßig der tägliche Zulauf dieser Menschen, die Ihre Missionsstation aufsuchen, Herr Goldkuhle? Ich denke, manchmal werden diese Menschen im Trubel eines Flughafen vielleicht nur wenig Inhalte wollen, Ruhe finden wollen, ein kurzes Gespräch mit Ihnen führen wollen oder der Messe in Ihrer Kapelle beiwohnen wollen. Stimmt das?

Zahlen sind sehr unterschiedlich. Am Wochenende haben wir Gottesdienste, die sind besucht von Angestellten, Polizisten, Reisenden, fliegendem Personal auch, weil wir ja keinen Glockenturm haben, werden die Gottesdienste über die Ansage publiziert und angekündigt. Dann kommen Menschen, die gerade das hören und sich davon eingeladen fühlen. Wir feiern mit ihnen die Gottesdienste, die kommen so wie sie eben die Zeit haben. Der Eine, der hat hier in Frankfurt eine Stunde oder zwei Aufenthalt und der Andere muss schnell wieder zum Gate zum Einchecken zurück. Trotzdem gelingt es immer wieder dazwischen einen kleinen Austausch zu führen, eine Ermutigung zu geben, ob es jetzt die Flugangst ist oder ob jemand gestrandet ist und nicht mehr weiter weiß. Es kommen Manager, zum Beispiel von Toronto, einen Aufenthalt in Frankfurt, hat eine Stunde oder zwei Zeit und sucht in dieser kurzen Zeit ein Beichtgespräch, einen Austausch über Probleme, die er vielleicht zu Hause nicht so leicht lösen kann, und fliegt dann weiter nach Shanghai. Wir haben aber auf der anderen Seite aber auch Flüchtlinge, die bei uns ankommen und stranden und dort sind wir dann auch für sie da, leiten sie weiter, helfen ihnen den richtigen Weg zu finden, in einer Erstaufnahme und dann in einer Flüchtlingsunterkunft.

Ihre Kapelle, Herr Goldkuhle, ist so etwas wie eine Oase der Stille zwischen Duty-Free und Kofferschleppen. Unbekannte Menschen, Menschen, die Sie nie gesehen haben, kommen zu Ihnen, suchen ein bisschen Ruhe und Besinnung, aber Flughafenseelsorge heißt auch, denke ich, im Notfall bereit stehen, möglicherweise Todesnachrichten überbringen, Angehörige betreuen und vieles, vieles mehr.

Ja, also der Schadensfall ist nicht der normale alltägliche Fall. Es gibt immer wieder Situationen, wo wir dann gerufen werden, ob es jetzt ein Arbeitsunfall ist auf dem Vorfeld oder ob es, wie zum Beispiel neulich passiert, in einem Flugzeug starb ein Kind in den Armen einer Mutter auf dem Weg hierhin, wo wir dann ins Flugzeug gehen und, ja auch in ökumenischer Absprache, je nach dem, welcher Konfession, welcher Religion die Person angehört. Wir müssen dort Trost spenden, einfach da sein, zwischen den Abläufen der Bürokratie, der Reglements hier am Flughafen, dass wir den Angehörigen einen Trost spenden. Ich habe auf dem Vorfeld einen verunglückten Angestellten verabschiedet, der rübergeflogen wurde nach Spanien, dort beerdigt zu werden mit den Angehörigen und den angestellten Kollegen eine Feier gemacht, mitten auf dem Vorfeld. In einer Situation, die nicht so alltäglich ist, wie auf dem herkömmlichen Friedhof mit Stille und Ruhe, sondern zwischen den Maschinen, zwischen den Containern zu stehen und ein Wort des Trostes, ein Gebet zu sprechen, das ist schon eine Herausforderung, aber das ist nicht der Alltag. Der Alltag ist eher der ruhigere, wo Menschen hier zu uns kommen und um einen Segen bitten, ja und wir arbeiten, um die Frage der Ökumene noch anzugehen, sehr gut miteinander zusammen und schieben uns auch die Welle, wo es um evangelische, um katholische, um orthodoxe Gläubige geht, dann gegenseitig zu, koordinieren das. Ein sehr schönes Beispiel möchte ich noch nennen: Wir haben jetzt wieder für den November eine sogenannte „Abrahamische Feier“ geplant, das die großen drei Religionen, die monotheistischen sich treffen. Aneinander austauschen und die Bedeutung von Abraham sich gegenseitig bewusst machen, als ein verbindendes Element.

Pater Goldkuhle, wir haben heute von Ihnen gehört: Sie bieten vielen reisenden Menschen in einem der größten Flughäfen Europas Hilfe an. Hilfe gleichermaßen religiöser, spiritueller aber auch sozialer Natur. Sie helfen Menschen, in seelischen, sozialen und existenziellen Notlagen, praxisnahe und konkret tun Sie das, sie leisten einen Dienst der Hilfe, des Trostes und der Ermutigung im Auf und Ab eines Großstadtflughafens. Man möchte Sie auch einen Samariter auf dem Weg von Frankfurt in die große weite Welt nennen. Herzlichen Dank!

(rv 12.10.2015 no)








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