2015-10-11 09:52:00

Pfarrer aus Gaza: Hoffentlich vergißt uns die Welt nicht!


Ist das die neue Intifada? Seit Anfang des Monats nimmt die Gewalt zwischen Palästinensern und Israelis immer weiter zu, bisher kamen 25 Palästinenser und vier Israelis ums Leben. An diesem Sonntag kam es zum ersten Mal zu einem Selbstmordattentat, dabei wurden in der Nähe von Jerusalem aber nur ein Polizist leicht und die palästinensische Attentäterin schwer verletzt. Auch im Gaza-Streifen ist es unruhig, von dort sind Raketen in Richtung Israel abgefeuert worden, Hamas-Führer Ismail Haniyeh hat die dritte Intifada ausgerufen. Bei einem israelischen Luftschlag auf den Gaza-Streifen kamen an diesem Sonntag eine schwangere Frau und ihre zweijährige Tochter ums Leben.

Der Priester Mario Da Silva ist Pfarrer der katholischen Heilige-Familie-Pfarrei in Gaza. „Was wir heute erleben, ist offenbar erst der Anfang der Spannungen“, sagt er im Interview mit Radio Vatikan. „Alle Aktivitäten der Pfarrei und unserer Schulen sind abgeblasen worden. Ich bin zur Grenze gegangen und habe dort ein Klima starker Spannung erlebt, die Leute sind alle auf den Straßen, man kann die Unruhe mit Händen greifen. Das ist wie der Anfang einer großen Spannung.“

Was sich da gerade aufbaue, habe mit den Unruhen und den Toten von Jerusalem und der Westbank zu tun, so Pfarrer Da Silva, mit der „Ungerechtigkeit und Gewalt“. „Wir flehen vor allem zum Himmel, denn eine solche Spannung kann nur Gott auflösen! Von den Behörden sehen wir nicht den geringsten Versuch, keinerlei Anstrengung, all dem ein Ende zu machen – im Gegenteil. Die versuchen doch eher, diese Spannungen noch anzuheizen.“

Warum denn die Hamas mit ihren Brandreden derart auf Zustimmung in der Bevölkerung im Gaza-Streifen stößt, fragen wir Da Silva. „Die Lage hier ist sehr schwierig und komplex“, antwortet er, „die Menschen sind sehr unzufrieden, weil sie so viele Ungerechtigkeiten erleben. Ich sage Ihnen nur mal, was ich heute morgen gesehen habe: Da war ich in den vom letzten Krieg zerstörten Stadtteilen und habe Familien besucht, die dort im Elend leben. Vorher hatten sie ein, zwei Häuser, jetzt haben sie gar keines mehr. Ich habe eine Familie gesehen, die vorher ein großes Haus hatte, und jetzt müssen sie alle in einem einzigen Zimmer wohnen – und zwar dort, wo sie früher immer ihr Auto parkten. Vater, Mutter und sechs Kinder schlafen zusammen in einem einzigen Bett. So etwas führt zu sehr starken Hass- und Rache-Gefühlen.“

Die kleine katholische Kirche im Gaza-Streifen tue, was sie könne, um den Menschen zu helfen, sagt der Pfarrer. Wichtiger wäre nach seinem Dafürhalten allerdings „die politische und soziale Arbeit“. „Aber das können wir nicht leisten, im Gegenteil – wir können hier noch nicht mal über Politik reden, denn wir sind ja nicht hier, um zu der einen oder anderen Seite zu halten, wir sind hier, um diesem leidenden Volk zu helfen. Und das ist unser Ziel. Die Christen hier sprechen nicht nur von einer möglichen Intifada, sondern auch von einem Krieg, der losbrechen könnte, um all das zu unterdrücken. Darum beten wir: Hoffentlich vergißt uns die Welt nicht! Denn wenn sie Gaza vergißt, dann können wir nicht überleben.“

(rv 11.10.2015 sk)








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