2015-09-26 22:30:00

Papstansprache während der Begegnung zur Religionsfreiheit


Lesen Sie hier die Papstansprache während der Begegnung zur Religionsfreiheit mit der hispanischen Gemeinde und anderen Immigranten in Philadelphia am 26. September 2015 im Wortlaut:

Liebe Freunde,

einer der Höhepunkte meines Besuches ist es, hier vor der Independence Hall, dem Geburtsort der Vereinigten Staaten von Amerika, zu stehen. Hier wurden die Freiheiten, die dieses Land charakterisieren, erstmalig ausgerufen. Die Unabhängigkeitserklärung proklamierte, dass »alle Menschen gleich erschaffen« worden sind, dass sie »von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt« wurden und dass die Regierungen existieren, um diese Rechte zu schützen und zu verteidigen. Diese Worte klingen immer noch nach und ermutigen uns heute ebenso, wie sie Menschen aus aller Welt ermutigt haben, für die Freiheit zu kämpfen, ein Leben zu führen, das ihrer Würde entspricht.

Doch die Geschichte zeigt auch, dass diese und andere Wahrheiten ständig neu bekräftigt, neu angeeignet und verteidigt werden müssen. Die Geschichte dieser Nation ist auch die Geschichte eines bis in unsere Tage reichenden ständigen Bemühens, diese erhabenen Prinzipien im gesellschaftlichen und politischen Leben zu verkörpern. Denken wir an die großen Kämpfe, die zur Abschaffung der Sklaverei, zur Ausweitung des Wahlrechts, zum Wachstum der Arbeiterbewegung und zum schrittweisen Bemühen geführt haben, jede Art von Rassismus und Vorurteil gegenüber kommenden Einwanderungswellen zu beseitigen. Dies zeigt, dass ein Land erstarkt und sich erneuert, wenn es entschlossen ist, seinen auf der Achtung der Menschenwürde beruhenden Gründungsprinzipien treu zu bleiben.

Es hilft uns sehr, wenn wir uns auf unsere Vergangenheit besinnen. Ein Volk, das die Erinnerung wach hält, wiederholt nicht die Fehler der Vergangenheit, sondern stellt sich voll Zuversicht den Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft. Die Erinnerung bewahrt die Seele eines Volkes vor allem oder allen, die es beherrschen oder für eigene Interessen gebrauchen wollen. Wenn den Einzelnen und den Gemeinschaften die tatsächliche Ausübung ihrer Rechte garantiert wird, sind sie nicht nur frei, ihre eigenen Fähigkeiten zu entfalten, sondern sie tragen auch zum Wohl und zur Bereicherung der Gesellschaft bei.

An diesem, für den „American Way“ so symbolträchtigen Ort möchte ich mit Ihnen über das Recht auf Religionsfreiheit nachdenken. Es ist ein grundlegendes Recht, das die Art unseres gesellschaftlichen und persönlichen Umgangs mit unseren Mitmenschen prägt, deren religiöse Ansichten sich von unseren eigenen unterscheiden.

Es ist das Ideal des interreligiösen Dialoges, wo alle Religionen ohne Gewalt miteinander sprechen, so entsteht Religionsfreiheit.

Religionsfreiheit schließt zweifellos das Recht ein, Gott persönlich und in Gemeinschaft zu verehren, wie es unserem Gewissen entspricht. Andererseits liegt es aber im Wesen der Religionsfreiheit, dass sie die Kultorte und den Privatbereich der Einzelnen und der Familien überschreitet, denn die religiöse Dimension ist keine Subkultur, sondern ist Teil der Kultur jeder Nation.

Unsere verschiedenen religiösen Traditionen dienen der Gesellschaft vor allem durch die Botschaft, die sie verkünden. Sie rufen die Einzelnen und die Gemeinschaften dazu auf, Gott, die Quelle des Lebens, der Freiheit und des Glücks zu verehren. Sie erinnern uns an die transzendente Dimension des Menschseins und an unsere uneingeschränkte Freiheit gegenüber jedem Anspruch absoluter Macht. Wir brauchen nur auf die Geschichte, besonders auf die des letzten Jahrhunderts zu schauen, um die Grausamkeiten zu sehen, die von Systemen verübt wurden, die behaupteten, irgendein „irdisches Paradies“ zu errichten, indem sie Völker beherrschten, sie scheinbar unanfechtbaren Prinzipien unterwarfen und ihnen jede Art von Recht aberkannten. Unsere reichen religiösen Traditionen versuchen Sinn und Führung anzubieten. Sie »besitzen eine motivierende Kraft, die immer neue Horizonte öffnet, das Denken anregt, den Geist weitet und das Feingefühl erhöht« (Evangelii gaudium, 256). Sie rufen zu Umkehr und Versöhnung, zur Sorge für die Zukunft der Gesellschaft, zu Uneigennützigkeit im Dienst am Gemeinwohl und zu Mitleid mit den Bedürftigen auf. Im Herzen ihrer geistlichen Sendung steht die Verkündigung der Wahrheit und der Würde der menschlichen Person sowie aller Menschenrechte.

Unsere religiösen Traditionen erinnern uns daran, dass wir als Menschen aufgerufen sind, den Anderen anzuerkennen, der unsere relationale Identität offenbart, gegenüber allen Bestrebungen, eine »Uniformität« durchzusetzen, »die der Egoismus des Starken, der Konformismus des Schwachen oder die Ideologie des Utopisten uns aufzwingen möchten« (vgl. Michel de Certeau, L’Étranger ou l’union dans la différence, Paris 1991, S. 27-30).

In einer Welt, in der verschiedene Formen moderner Tyrannei versuchen, die Religionsfreiheit zu unterdrücken oder auf eine Subkultur ohne Mitsprache- und Stimmrecht in der Öffentlichkeit herabzusetzen oder die Religion als Vorwand für Hass und Brutalität zu gebrauchen, ist es notwendig, dass die Anhänger der verschiedenen Religionen ihre Stimmen vereinen, um Frieden, Toleranz und Achtung für die Würde und die Rechte der anderen zu fordern.

Wir leben in einer Welt, die der »Globalisierung des technokratischen Paradigmas« (Enzyklika Laudato si’, 106) unterworfen ist, die bewusst auf eine eindimensionale Uniformität abzielt und versucht, alle Unterschiede und Traditionen in einem oberflächlichen Streben nach Einheit zu beseitigen. Die Religionen haben somit das Recht und die Pflicht, deutlich zu zeigen, dass es möglich ist, eine Gesellschaft zu errichten, in der »ein gesunder Pluralismus, der die anderen und die Werte als solche wirklich respektiert« (Evangelii gaudium, 255), ein wertvoller Verbündeter ist »im Einsatz zur Verteidigung der Menschenwürde … ein Weg des Friedens für unsere verwundete Welt« (ebd., 257).

Die Quäker, die Philadelphia gegründet haben, waren von einem tiefen, auf dem Evangelium beruhenden Empfinden für die Würde jedes Einzelnen und vom Ideal einer in geschwisterlicher Liebe geeinten Gemeinschaft beseelt. Diese Überzeugung veranlasste sie, eine Kolonie zu gründen, die ein Zufluchtsort der Religionsfreiheit und der Toleranz sein sollte. Der Geist mitbrüderlicher Sorge um die Würde aller, besonders der Schwachen und Verwundbaren, wurde ein wesentlicher Bestandteil des „American Spirit“. Während seines Besuchs in den Vereinigten Staaten im Jahr 1987 brachte der heilige Johannes Paul II. mit bewegenden Worten seine diesbezügliche Hochachtung zum Ausdruck, als er Amerika ins Gedächtnis rief: »Der entscheidende Test deiner Größe ist die Art, wie du jedes menschliche Wesen behandelst, zumal die Schwächsten und Schutzlosesten« (Abschiedszeremonie, Detroit, 19. September 1987).

Ich möchte einen Augenblick über die Globalisierung sprechen. Ich nutze diese Gelegenheit, um allen – unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit – zu danken, die sich bemüht haben, dem Gott des Friedens zu dienen, und Städte brüderlicher Liebe errichteten, indem sie für unseren notleidenden Nächsten sorgten, die Würde des göttlichen Geschenks des Lebens in allen seinen Phasen verteidigten und für die Anliegen der Armen und der Einwanderer eintraten. Allzu oft können sich jene, die am meisten der Hilfe bedürfen, kein Gehör verschaffen. Sie sind ihre Stimme, und viele von Ihnen - vor allem Ordensleute - haben erreicht, dass deren Schrei gehört wurde. Mit diesem Zeugnis, das häufig auf starken Widerstand stößt, erinnern Sie die amerikanische Demokratie an die Ideale, auf die sie gegründet wurde, und daran, dass die Gesellschaft geschwächt wird, wann und wo immer Ungerechtigkeit die Oberhand gewinnt.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um über die Globalisierung zu sprechen. Die Globalisation ist nicht schlecht, im Gegenteil. Die Tendenz, global zu sein, ist gut, sie eint uns. Schlimm ist nur die Art und Weise, wie sie es tut. Sie vereinheitlicht uns, sie zerstört die Reichheit und die Besonderheit jeder Person und jedes Volkes. Eine Globalisierung uns einen will und jeden Einzelnen und seine Besonderheit und Würde respektiert, dann ist sie gut weil sie uns eint und uns zum Frieden führt. Es ist wie in der Geographie. Wenn die GLobalisierung wie eine Sphäre, wenn alle Punkte gleich weit entfernt vom Zentrum sind, dann ist sie schlecht wiel sie vereinheitlich, wenn sie aber wie ein Polyeder ist und jeder seine eigene Distanz zum Zentrum hat, dann ist sie gut, weil sie unsere Besonderheiten und Rechte respektiert.

Unter uns sind heute Mitglieder der großen spanisch sprechenden Bevölkerung Amerikas wie auch Vertreter der in den Vereinigten Staaten kürzlich eingetroffenen Einwanderer. Danke, dass sie die Tore geöffnet haben. Ich grüße sie alle besonders herzlich. Viele von Ihnen sind unter großen persönlichen Opfern in dieses Land eingewandert, aber mit der Hoffnung, ein neues Leben aufzubauen. Lassen Sie sich durch die Herausforderungen und Schwierigkeiten, die Sie bewältigen müssen, nicht entmutigen! Ich bitte Sie, nicht zu vergessen, dass Sie wie jene, die vor Ihnen hierher kamen, Ihrer neuen Nation viele Gaben mitbringen. Schämen Sie sich nie Ihrer Traditionen. Vergessen Sie nicht, was Sie von Ihren Vorfahren gelernt haben; es kann das Leben dieses amerikanischen Landes bereichern! Ich wiederhole es: Schämen Sie sich nicht dessen, was wesentlich zu Ihnen gehört. Auch Sie sind aufgerufen, verantwortungsvolle Bürger zu sein und einen fruchtbaren Beitrag zum Leben der Gemeinschaften zu leisten, in denen Sie leben. Ich denke besonders an den lebendigen Glauben, den viele von Ihnen besitzen, an den tiefen Sinn für das Familienleben und an die anderen Werte, die Teil Ihres Erbes sind. Wenn Sie Ihre Gaben mit einbringen, werden Sie nicht nur Ihren Platz hier finden, sondern Sie werden helfen, die Gesellschaft von innen her zu erneuern.

Verliert niemals die Erinnerung an das, was hier vor mehr als 200 Jahren passiert ist. Verliert nie die Erinnerung an die Erklärung, dass alle Männer und Frauen gleich geschaffen sind und mit unveräußerlichen rechten ausgestattet sind und hört niemals auf, euch für diese Rechte einzusetzen.

Liebe Freunde, ich danke Ihnen für Ihren herzlichen Empfang und für Ihre Gesellschaft heute hier. Möge dieses Land und jede bzw. jeder von Ihnen fortwährend Dank sagen für den reichen Segen und die vielen Freiheiten, die Sie genießen. Und verteidigen Sie diese Rechte, besonders die Religionsfreiheit, die Gott Ihnen gegeben hat. Er segne Sie alle. Und ich bitte Sie herzlich, nicht zu vergessen, für mich zu beten.

 

(rv 26.09.2015 gs/ord)








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