2015-09-24 11:44:00

Papstrede zu den Obdachlosen im Caritas-Zentrum Washington


Wir halten hier die Ansprache von Papst Franziskus fest, bei der Begegnung mit Obdachlosen im Caritas Zentrum der Pfarrei St. Patrick in Washington am 24. September 2015.

Liebe Freunde,

das erste Wort, das ich euch sagen möchte, ist „danke“. Danke, dass ihr mich empfangt, und danke für eure Bemühungen, die ihr unternommen habt, damit dieses Treffen stattfinden kann.

Hier denke ich an eine Person, die ich liebe, an jemanden, der in meinem Leben sehr wichtig war und ist. Er war eine Stütze und eine Quelle der Inspiration. An ihn wende ich mich, wenn ich „in der Klemme bin“. Ihr lasst mich an den heiligen Josef denken. Eure Gesichter erinnern mich an ihn.

Im Leben des heiligen Josef gab es schwierige Situationen zu meistern. Eine davon war die Zeit, als Maria Jesus zur Welt bringen, bekommen sollte. Die Bibel sagt: „Als sie dort [in Betlehem] waren, kam für Maria die Zeit ihrer Niederkunft, und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war.“ (Lk 2,6-7). Die Bibel ist ganz deutlich: Es gab keinen Platz für sie. Ich stelle mir Josef vor mit seiner Frau, die ein Kind bekommen soll, ohne ein Dach, ohne Haus, ohne Unterkunft. Der Sohn Gottes kam als ein Obdachloser in diese Welt. Der Sohn Gottes wusste, was es heißt, das Leben zu beginnen ohne ein Dach über dem Kopf. Wir können uns die Fragen Josefs in diesem Augenblick vorstellen: Warum hat der Sohn Gottes kein Dach zum Leben? Warum sind wir obdachlos, warum haben wir keine Wohnung? Dies sind Fragen, die sich viele von euch täglich stellen mögen. Genauso wie der heilige Josef mögt ihr fragen: Warum sind wir obdachlos, ohne ein Zuhause? Es wird uns gut tun, wenn wir alle uns diese Fragen stellen: Warum sind diese unsere Brüder und Schwestern obdachlos? Warum haben diese unsere Brüder und Schwestern kein Zuhause?

Josefs Fragen sind weiter aktuell. Sie begleiten all jene, die in der Geschichte obdachlos waren und sind.

Josef war einer, der sich Fragen stellte. Vor allem aber war er ein Mann des Glaubens. Der Glaube war es, der Josef die Kraft gab, Licht zu finden in diesem Moment, als alles dunkel zu sein schien. Der Glaube stützte ihn in den Schwierigkeiten seines Lebens. Dank des Glaubens war Josef dazu in der Lage, weiter zu gehen, wenn alles stehen zu bleiben schien.

Angesichts ungerechter und schmerzvoller Situationen bringt der Glaube uns das Licht, das die Dunkelheit vertreibt. Wie bei Josef macht der Glaube uns offen für die stille Gegenwart Gottes in jedem Augenblick unseres Lebens, in jeder Person und in jeder Situation. Gott ist in einem jeden von euch gegenwärtig, in einem jeden von uns.

Wir können keine gesellschaftliche oder moralische Rechtfertigung, überhaupt keine Rechtfertigung finden, um das Fehlen von Unterkünften hinzunehmen. Es sind ungerechte Situationen, aber wir wissen, dass Gott sie mit uns erleidet, sie an unserer Seite erlebt. Er lässt uns nicht allein.

Wie wir wissen, wollte Jesus nicht nur mit jedem Menschen solidarisch sein, wollte er nicht nur, dass niemand das Fehlen seiner Begleitung, seiner Hilfe, seiner Liebe empfinde oder erfahre. Er selbst identifizierte sich mit allen, die leiden, die weinen, die irgendeine Art von Ungerechtigkeit erleiden. Er sagt uns das ganz deutlich: „Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen“ (Mt 25,35).

Der Glaube lässt uns wissen, dass Gott an eurer Seite ist, dass Gott in unserer Mitte ist und dass seine Gegenwart uns zur Nächstenliebe bewegt. Diese Nächstenliebe hat ihren Ursprung im Anruf eines Gottes, der weiter an unsere Tür klopft, an die Tür aller Menschen, um uns einzuladen zu Liebe, zu Mitleid, zum Dienst füreinander.

Jesus klopft immer wieder an unsere Türen, an die Türen unseres Lebens. Er tut dies nicht auf magische Weise, er tut dies nicht mit Spezialeffekten, mit Leuchtreklamen oder Feuerwerk. Jesus klopft immer wieder an unsere Tür in den Gesichtern unserer Brüder und Schwestern, in den Gesichtern unserer Nachbarn, in den Gesichtern der Menschen an unserer Seite.

Liebe Freunde, eine der wirkungsvollsten Weisen zu helfen, die wir haben, ist das Gebet. Das Gebet verbindet uns; es macht uns zu Brüdern und Schwestern; es öffnet unsere Herzen und erinnert uns an eine schöne Wahrheit, die wir manchmal vergessen. Beim Gebet lernen wir alle „Vater“, „Papa“ zu sagen und begegnen uns als Brüder und Schwestern. Beim Gebet gibt es nicht Reiche und Arme, da gibt es Söhne und Töchter, Brüder und Schwestern. Beim Gebet gibt es nicht Menschen erster oder zweiter Klasse, da gibt es Brüderlichkeit.

 

Beim Gebet findet unser Herz die Kraft, nicht kalt und gefühllos zu werden gegenüber Situationen der Ungerechtigkeit. Beim Gebet ruft und weckt uns Gott immer wieder zur Nächstenliebe.

 

Wie gut tut es uns, gemeinsam zu beten. Wie gut tut es, einander in diesem Raum zu begegnen, in dem wir einander als Brüder und Schwestern sehen und uns bewusst werden, dass wir gegenseitige Unterstützung brauchen. Heute möchte ich mit euch zusammen sein. Ich brauche eure Unterstützung, eure Nähe. Ich möchte euch einladen, gemeinsam zu beten, füreinander, miteinander. So werden wir weitermachen können mit dieser Unterstützung, die uns hilft, die Freude über die Gewissheit zu erfahren, dass Jesus immer in unserer Mitte ist. Seid ihr bereit?

 

Vater unser im Himmel …

 

Bevor ich gehe, möchte ich euch Gottes Segen erbitten:

Der Herr segne euch und behüte euch.

Der Herr lasse sein Angesicht über euch leuchten und sei euch gnädig.

Der Herr wende sein Angesicht euch zu und schenke euch Heil.

(vgl. Num 6,24-26)

Und vergesst nicht, für mich zu beten.

 

 








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