Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn wünscht sich bei der kommenden Familien-Synode
im Vatikan mehr Sinn für die gesellschaftliche Realität. Es reiche nicht aus, Entwicklungen
wie etwa das Zusammenleben von Paaren ohne Trauschein zu beklagen, sagte er der italienischen
Jesuiten-Zeitschrift „Civiltà Cattolica" in einem vorab veröffentlichten Interview.
Stattdessen gelte es zu fragen, was genau sich an den Lebensumständen der Menschen
verändert habe.
Der moderne Mensch sei von unterschiedlichsten Einflüssen geprägt: psychologischen,
politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen, sagte Schönborn. Diese Komplexität
habe die Außerordentliche Synode im Vorjahr nicht ausreichend in den Blick genommen.
Auch über die Institution Ehe hätten die Synodalen nur sehr abstrakt gesprochen, so
der Kardinal. So hätten es junge Menschen heute aufgrund der Situation auf dem Arbeitsmarkt
sehr schwer, eine traditionelle Familie zu gründen. Nötig sei bei der Synode eine
aufmerksame Wahrnehmung der realen Verhältnisse, nicht der dauernde Fingerzeig auf
Hedonismus und einen übersteigerten Individualismus.
Zivile Zweitehe: „Auch hier kann es Elemente von Heiligkeit geben“
Mit Blick auf die wiederverheirateten Geschiedenen, die nach katholischer Lehre
nicht zur Kommunion und den anderen Sakramenten zugelassen sind, plädierte Schönborn
für eine enge Begleitung durch die Kirche. Diese Menschen lebten zwar in einer irregulären
Verbindung. Sie könnten aber auch zu einer inneren Einsicht im Glauben gelangen, die
es geboten erscheinen lasse, zum Wohl des Glaubens einen Schritt über die objektive
Regel hinauszugehen. In einem ähnlichen Sinne hatten Synodale wie der deutsche Kardinal
Walter Kasper bei der Synode 2014 ein Nachdenken darüber angeregt, wiederverheiratete
Geschiedene nach einem Weg der Buße wieder zu den Sakramenten zuzulassen.
Nach Schönborns Einschätzung kann es auch in irregulären Verbindungen viele Elemente
von Wahrheit und Heiligkeit geben. Bei Paaren, die liebevolle Verantwortung füreinander
übernähmen, sei Gottes Anwesenheit spürbar. Daher sollten die Synodalen nicht nur
auf das schauen, was solchen Verbindungen fehlt, sondern auf das Gute, das schon da
sei.
Schönborn zählt zu den von Papst Franziskus persönlich ernannten Teilnehmern der Familiensynode vom 4. bis 25. Oktober im Vatikan. Der Kardinal hatte auch bereits an der Vorgängersynode 2014 teilgenommen.
(kap 18.09.2015 gs)
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