2015-09-04 12:52:00

Interreligiöser Dialog nie zum Scheitern verurteilt


Juden und Christen teilen die Überzeugung vom Wert und der Würde des Lebens. Das betonen der katholische Erzbischof von Westminster, Vincent Nichols, und der Oberrabbiner Großbritanniens, Ephraim Mirvis. Gemeinsam waren Sie am Donnerstag bei Papst Franziskus, mit Radio Vatikan sprachen die beiden über die Herausforderungen der Religion in einer säkularen Welt und den interreligiösen Dialog.

Der in Südafrika geborene Ephraim Mirvis ist seit zwei Jahren Oberrabbiner des Vereinigten Königreichs und des Commonwealth, wie sein offizieller Titel lautet. Zwei Jahrzehnte lang war er Mitglied in der Konferenz Europäischer Rabbiner und ist bekannt für seine Arbeit im interreligiösen Dialog beim Rat der Christen und Juden. Am Donnerstag traf er erstmal Papst Franziskus. „Ich habe ihm unsere Bewunderung zum Ausdruck gebracht. Er ist ein wirklich außergewöhnlicher, inspirierender spiritueller Führer, mit dem ich mich persönlich stark identifiziere. Mit seinem Glauben, seiner Liebe und seiner Toleranz und seinem Einsatz für die ganze Menschheit.“

 

Vorbild Papst Franziskus

Nach der Papst-Audienz sprachen Mirvis und Kardinal Nichols in der Vatikan-Kommission für religiöse Beziehungen mit dem Judentum und besuchten das Kardinal Bea Zentrum für jüdische Studien an der Päpstlichen Universität Gregoriana.

Auf der politischen wie auch der theologischen Ebene gebe es Werte und Überzeugungen, die beide Religionen teilten, so der Kardinal. Etwa in Bezug auf ein neues Sterbehilfegesetz in Großbritannien, das dieser Tage im britischen Parlament diskutiert wird. Die Religionsvertreter planten, in den nächsten Tagen einen gemeinsamen Brief dagegen zu veröffentlichen. „Dadurch wird das Leben entbehrlich“, so Nichols. „Wir haben darüber die freie Verfügung, und wir wollen sagen: Nein, diesen Weg zu gehen, bedeutet, den Wert des Lebens weiter herabzusetzen. Und wir teilen eine tiefe Überzeugung des Werts des Lebens von seinen ersten Momenten bis zu seinem natürlichen Ende.“

 

Leidenschaft für die Religion

Eine Welt, in der zunehmend materielle Werte gälten und die Religion eine immer geringere Rolle spiele, sei für beide Religionen – Christentum wie Judentum – eine Herausforderung, so der Oberrabbiner Mirvis: „Wir beobachten einen zunehmenden Säkularismus und Atheismus. Gleichzeitig gibt es Gott sei Dank eine Leidenschaft für die Religion. Und so viele Menschen schätzen es, dass in unserer materiell orientierten Welt ein wahrer Durst nach Spiritualität herrscht. Religion hat da so viel zu geben.“

Religiöse Führer seien heute gefordert, sich diesen Veränderungen anzupassen. Kardinal Nichols zeigt am Beispiel eines zunehmenden Individualismus in der Gesellschaft, dass es wichtig sei, verschiedene Stimmen auch innerhalb der Kirche zusammenzubringen. „Das ist gewissermaßen ein Problem, weil es den Egoismus fördern kann sowie die Isolation insbesondere alter und einsamer Menschen, weil dann jeder nur an sich denkt. Andererseits zeigt sich durch einen verstärkten Individualismus auch der Reichtum einer einzelnen Person, die nicht immer anerkannt wird von den religiösen Institutionen, auch der unseren. Die Tatsache, dass es in der katholischen Gemeinschaft verschiedene Stimmen gibt, ist eine Herausforderung, aber auch ein Gewinn. Es ist schön, dass der Papst sagt, diese Stimmen könnten durch den Heiligen Geist zusammengebracht werden. Wir würden uns sehr wünschen, von dem Heiligen Geist Gottes geleitet zu werden.“

 

Paradigmenwechsel in Flüchtingspolitik

Am Besuchstag der beiden Religionsvertreter im Vatikan ging das Bild eines kleinen syrischen Jungen um die Welt, der nach der Flucht über das Mittelmeer leblos an einem Strand in der Türkei lag. Oberrabbiner Mirvis sieht in der Flüchtlingsdebatte ganz Europa auf den Plan gerufen. „Hier ist ein Paradigmenwechsel nötig, wie wir uns in Europa zu dem Leiden der Menschen verhalten müssen. Natürlich haben Politiker ihre Arbeit und ihre Prioritäten. Aber wir haben sicher eine moralische Verantwortung, angemessen auf das echte Leiden der Menschen zu reagieren. Das geschieht nun vor den Toren Europas, innerhalb Europas, im Nahen Osten und weltweit. Wir müssen darauf eine passende Antwort finden.”

Der interreligiöse Dialog sei hierbei eine zentrale Aufgabe. Den jüdisch-christlichen Dialog sehe man auf einem guten Weg. Der Dialog mit den Muslimen müsse zudem weiter ausgebaut werden, betonte der jüdische Religionsvertreter. Im israelisch-palästinensischen Konflikt machten die Juden ein Angebot des Friedens, an dem jeder eingeladen sei, mitzuwirken, so der Rabbiner. Kardinal Nichols gibt die Hoffnung nicht auf, dass Friedensgespräche eines Tages Früchte tragen werden. „Ich hoffe, dass das Gebet und die persönliche Begegnung nie unwichtig, unbedeutend oder zum Scheitern verurteilt sind. Hierdurch wird eher das Scheitern verhindert. Schritt für Schritt tragen sie zu einem gegenseitigen Verständnis und einer Basis für den Frieden bei.”

 

(rv 04.09.2015 cz)

 








All the contents on this site are copyrighted ©.