2015-07-30 08:17:00

Zentralafrika: „Letztendlich braucht es den Mut zur Vergebung“


Eine Papstreise in ein Land, in dem es Terror und Gegenterror gibt? Nicht unwahrscheinlich, schaut man sich die vom Papst selber geäußerten Reisepläne an. Beim Rückflug von den Philippinen sagte Franziskus zu den mitreisenden Journalisten: „Der Plan ist, in die Zentralafrikanische Republik und nach Uganda zu reisen, in diese beiden Länder, und zwar in diesem Jahr.“ Ein Problem der Reise sei Ebola, viele Menschen zu versammeln sei ein Risiko, vor allem für die Menschen selber, so der Papst. Aber die Zentralafrikanische Republik hat noch andere Probleme, die sich einer Papstreise entgegen stellen, wie Abbé Philippe Gebralet berichtet. Er erhofft sich von Papst Franziskus eine Friedensbotschaft und eine klare Botschaft an die Politik, wenn er im Herbst kommt. Der Priester des Bistums Alindao sprach bei der diesjährigen „Fachtagung Weltkirche“ im österreichischen Stift Lambach über die Herausforderungen in seinem Land.

Es sind Namen wie „Séléka“ und „Anti-Balaka“, die die Zentralafrikanische Republik immer wieder in die Schlagzeilen bringen. Der Hintergrund ist eine andauernde Reihung von Rebellionen und Gegenrebellionen. Gegen den 2003 an die Macht gekommenen und mittlerweile vertriebenen Präsidenten Francis Bozizé, der den muslimisch geprägten Nordosten des Landes vernachlässigt hatte, bildete sich mit Hilfe aus Dafur eine Allianz, die sich selber „Séléka“ nennt. Dagegen kämpfen die „Anti-Balaka-Rebellen“, die sich selber als christlich bezeichnen. Tausende Menschen sind bereits Opfer der Kämpfe zwischen den Gruppen und der angerichteten Massaker geworden.

„Der Konflikt in Zentralafrika ist aber kein religiöser Konflikt“, sagt Abbé Philippe, auch wenn die gegeneinander kämpfenden Gruppen sich religiöse Bezeichnungen geben. „Die Medien dramatisieren das, um es zu einem Konflikt zwischen Christen und Muslimen zu machen. Die Realität ist aber eine andere.“ Keine Religionsgemeinschaft hätte Rache gepredigt oder seine Anhänger aufgefordert, zu den Waffen zu greifen, um zu plündern, zu vergewaltigen oder zu töten. Die Akteure dieser militärpolitischen Krise wollten sich hinter dem religiösen Banner verstecken, um ihren kriminellen Durst zu befriedigen, so der Priester.

„Diesen Konflikt gibt es auf Grund von vier Faktoren. Der erste ist die Trennung zwischen Politik und den Menschen. Die Politik steht nicht für die Menschen, diese Ebenen begegnen sich nicht. Zweitens steht hinter dem Konflikt eine soziale Realität. Ich sage das, weil die Regierung nicht die sozialen Entwicklungen der Gesellschaft im Land einbezieht, Bildungsfragen etwa oder das Leiden der Opfer des Konflikts. Drittens gibt es militärische Faktoren. Die Rebellengruppen haben sich militärisch organisiert, um das Regime von Francis Bozizé zu bekämpfen. Und der vierte Faktor ist die Tatsache, dass sie behaupten, dass es religiös sei, obwohl es das gar nicht ist. Hier wird Religion zum Schutz, hinter dem sie sich verstecken um zu kämpfen und um ihrer eigenen Ziele willen.“

Das bilde alles zusammen einen ersten Aspekt des Krieges, das was im Inneren des Landes zum Krieg beigetragen habe. Es gebe aber auch einen zweiten Aspekt, der von außen käme, erklärt Abbé Philippe Gebralet. „Es betrifft auch die multinationalen Unternehmen, die hinter den Geschäften mit Uran, Gold, Öl und so weiter stecken. Sie wollen die Situation im Land kontrollieren und sie benutzen Gruppen, um Unsicherheit in einigen Gegenden des Landes zu schaffen.“ Es sei wie immer die Bevölkerung, die am meisten leidet. Der innergemeinschaftliche Hass habe sich ausgebreitet, Rache, Abrechnungen, Raubüberfälle, Unsicherheit, Vergewaltigungen – in einem Wort Barbarei, die man in dem Land noch nie gesehen habe. Man spreche von einem Massaker, das nah am Völkermord ist. Nach ersten Berichten seien über 10.000 Menschen getötet worden. Dazu gebe es in Zentralafrika allein 10.000 Kindersoldaten, die für den Rest ihres Lebens traumatisiert seien.

Es geht nicht um Religion

Dass der Konflikt kein religiöser sei, könne man aber auch den beteiligten Gruppen selber ansehen. Dabei seien natürlich Menschen aus Zentralafrika, aber genauso Söldner aus dem Sudan oder aus dem Tschad. Diese hätten gemeinsam in den von ihnen kontrollierten Zonen die Macht übernommen. „Was aber die Menschen so schnell zu dem Schluss führt, dass es ein Religionskrieg ist, ist die Tatsache, dass achtzig Prozent der Rebellen Muslime sind. Das muss man wissen. Und die haben ihre Gewalt vor allem gegen Nicht- Muslime gerichtet. Das ist ihre Art zu behaupten, dass es um Religion gehe. Andere Muslime haben dann schnell mit den Rebellen sympathisiert. Deswegen gibt es die Meinung, die Rebellen seien gekommen, um Christen zu töten und islamische Gesetze einzuführen. So sieht man das.“

Séléka und Anti-Balaka

Die Gegengruppe, die von den Medien ‚Christen‘ genannt würde und die sich selber Anti-Balaka nennen, entstand als Gegenbewegung gegen die Plünderungen und Vergewaltigungen. „Als die Anti-Balaka sich organisiert haben, um die Séléka zu bekämpfen, war die Mehrheit der Menschen glücklich, weil sie eine Verteidigung hatten. Unglücklicherweise sind diese Anti-Balaka genauso wie die Séléka, die sie bekämpfen. Beide Gruppen wurden kriminell. Hinter den Anti-Balaka stehen Politiker, vor allem die des vertriebenen Präsidenten Bozizé. Die benutzen jetzt diese Gruppen, um Muslime zu töten. Die Muslime wurden bedroht, wenn sie bleiben würden sie alle getötet, sie wurden vertrieben. Das war wie das Leitmotiv dieser Gruppen, sie haben Muslime mit Gewalt vertrieben.“ Keine der beiden Gruppierungen habe ein religiös motiviertes Programm. Auch wenn Journalisten immer wieder Rosenkränze gezeigt würden um zu beweisen, dass die Söldner Christen seien. Im Gegenteil, von Anfang an verbündeten sich christliche und muslimische Geistliche und sagten laut und deutlich, dass es sich um einen militärisch-politischen Konflikt handle. Es geht darum, sich Bodenschätze anzueignen, es geht darum, den politischen Raum für sich zu beanspruchen. Aber es gehe definitiv nicht um religiöse Inhalte; diese würden nur vorgeschoben.

„Im Augenblick kann man eine Art Ruhe sehen, aber die auch nur in der Hauptstadt Bangui. Das Land ist geteilt. Der Norden und der Osten sind unter Kontrolle der Séléka, der Süden und der Westen werden von der Anti-Balaka kontrolliert. Im Osten gibt es außerdem noch den Warlord Joseph Koni, auch das Problem haben wir schon lange im Land.“ Angesichts des Ausmaßes der Krise und der Verbrechen, die in der Zentralafrikanischen Republik begangen wurden, reagierte die Internationale Gemeinschaft zu spät, klagt Gebralet. Die Sendung der afrikanischen Truppen im Jahr 2013 reichte nicht aus, um das Blutvergießen und die Spirale von Hass und Verbrechen zu beenden. „Es gibt zwar keine Kämpfe mehr, aber immer mehr Plünderungen. Das ganze Land ist unsicher.“ Die ausländischen Truppen seien nicht im gesamten Land vertreten und viel zu passiv, es brauche viel mehr Truppen, um die Gruppen in den Griff zu bekommen.

Hoffnung auf den Papstbesuch

„Vom Papstbesuch erwarten wir uns natürlich eine Botschaft des Friedens“, fügt Abbé Philippe an. „Eine Friedensbotschaft, aber das ist nur das eine. Aber dann müssen die Politiker auch akzeptieren, was der Papst zu sagen hat und das umsetzen. Zuhören ist das eine, wirklich etwas tun etwas ganz Anderes.“

Dennoch, noch ist nicht alle Hoffnung verloren; es gibt noch Zeichen der Solidarität zwischen Muslimen und Christen. Tausende von Muslimen seien von Christen in Schutz genommen worden, Christen wurden umgekehrt von Muslimen gerettet. „Die Kirche hat eine wichtige Rolle in alldem. Die Kirche spricht sehr deutlich über die Situation und sucht immer nach Wegen, gemeinsam etwas zu erreichen. Wir sehen auch, dass die Kirche Flüchtlinge aufnimmt, auch in den Kirchen selber.“

Kann es einen Ausweg aus der Gewalt geben? Er hoffe, dass eines Tages Frieden kommen könne, so Abbé Philippe. Aber das sei etwas, was viel Zeit brauche. Menschen, deren Familienangehörige vor ihren Augen umgebracht wurden, Frauen, die vergewaltigt wurden, diese Wunden blieben. „Ich möchte kein Träumer sein, aber obwohl ich die Situation genau kenne, spreche ich noch von Hoffnung. Es braucht mehr als zwei, drei oder vier Jahre.“ Auf jeden Fall müsse Europa Druck ausüben auf alle, die an der Aufrechterhaltung des Friedens beteiligt sind. Außerdem müssten endlich die UNO-Resolutionen umgesetzt werden.

Eine wirkliche Lösung könne es aber nur geben, wenn die Menschen im Land ihre Waffen niederlegten. Anzeichen gäbe es bereits, wenn etwa 200 Anti-Balaka sich zu einem Verband von Kleinunternehmern zusammen schlössen und ihre Beteiligung am Kampf aufgäben, oder wenn die Christen beim Wiederaufbau der Moschee von Bangui mithelfen. Seine persönliche Lösung, so Abbe Philippe in seinem Referat, sei radikal aber es sei die einzige Lösung: „Letztendlich müssen wir den Mut aufbringen und sagen, ich vergebe dir.“

(kap/rv 30.07.2015 ord)








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