2015-07-29 12:35:00

Ungarn: Ein Grenzzaun als Migrationsschutz


Menschen bauen Barrieren, um sich vor Angreifern zu schützen, um Rivalen voneinander zu trennen oder auch um Völker zu kontrollieren. Seit Tausenden von Jahren werden Mauern errichtet. In Erinnerung bleibt in Europa vor allem die Berliner Mauer – aber da gibt es noch viel mehr. Die Mauer von Bagdad in Sadr City, errichtet von der US-Armee 2007, um sunnitische Enklaven von schiitischen zu trennen. Die sogenannten „Öko-Barrieren“ bei den Favelas in Rio de Janeiro, die israelische Sperranlage im Westjordanland, der Grenzzaun von Melilla zwischen der spanischen Exklave in Nordafrika und Marokko oder auch der Grenzzaun zwischen USA und Mexiko um sich vor der illegalen Einwanderung zu schützen.

Vor genau dieser will sich auch der ungarische Präsident Viktor Orban schützen. Vier Meter hoch soll sie sein, mit Stacheldraht gesichert, 175 Kilometer entlang der serbischen Grenze. Die Sicherungsanlage an der EU-Außengrenze soll bis Ende August fertiggestellt werden. Orban nennt die ankommenden Flüchtlinge, bis jetzt sollen es 80.000 gewesen sein, eine „Bedrohung für Europa“. Während die EU ihm Vorwürfe macht, wirft er der EU vor, nichts für Europas Verteidigung zu machen. Nicht alle in Ungarn finden das verwerflich. Der Bischof von Szeged, einer wichtigen Stadt an der Grenze zu Serbien, zeichnet ein hartes Bild aus seiner Sicht von der aktuellen Lage:

„Jeden Tag kommen rund 1.500 Menschen über die sogenannte ,grüne Grenze´, also die nicht gesicherten Grenzübergänge, das heißt über die Flüsse, Felder und Wälder. Mehr als 1.000 Menschen jeden Tag! Eine Hälfte dieser Menschen sind wirklich Flüchtlinge, Verfolgte, Menschen in Gefahr und schutzlos, aber die andere Hälfte trägt 4-5.000 Euro mit sich und sie haben mehrere Telefone in ihren Taschen. Deswegen müssen wir vorsichtig sein. Wir sind vor allem als Kirche dazu beauftragt, jede mögliche humanitäre Hilfe zu bieten, an die Flüchtlinge und Schutzlosen. Aber wir müssen auch bedenken: die Vorsicht geht Hand in Hand mit der Nächstenliebe, sie widersprechen sich nicht.“

In seiner Diözese gibt es eine Aufnahmestelle für die minderjährigen Flüchtlinge und auch eine psychologische und medizinische Betreuung, versichert der Bischof. Die christliche Nächstenliebe werde praktiziert, doch das Problem sei kein rein ungarisches. Nein, es sei ein europäisches Problem, fügt er an. Die Situation verschlechtere sich Tag für Tag, erklärt der ungarische Bischof.

Die ungarische Regierung will künftig illegales Einwandern als Straftat bewerten. Für einen Schock sorgten im Laufe der Woche die Bilder der Flüchtlinge in den ungarischen Zügen. Kinder und Frauen aufeinandergehäuft, oder syrische und afghanische Flüchtlinge in von außen verschlossenen Personenwaggons. Damit die Flüchtlinge sicher in die Aufnahmeanlagen gelangen, lautet die offizielle Begründung. Internationale Medien schreiben von „unmenschlichen Verfahren“, doch nicht alle Ungarn sehen das so. Die Dozentin für antike Kunstgeschichte der Katholischen Universität in Budapest, Agnes Bencze, sagt, dass in Ungarn selbst die alltägliche Ankunft der Flüchtlinge eine totale Krisensituation darstelle:

„Wir wissen, dass zu den 80.000 Flüchtlingen, die seit Februar angekommen sind, täglich 1.500 bis 2.000 Menschen illegal ins Land kommen. Es ist eine absolute Notsituation, das ist klar. Und die Reaktion der Regierung darauf spaltet auch das Volk. Ich kann hier nur meine Meinung ausdrücken, die vielleicht viele weitere teilen: Ich finde nicht, dass es zu xenophober Anstiftung kommt in den Aussagen der Regierung. Die Kritiker sind Intellektuelle, die an die Opposition gebunden sind. Aber die Mehrheit der Bevölkerung hat Angst. Man muss auch bedenken, Ungarn ist ein armes Land. Das Durchschnittseinkommen beträgt 500 Euro, ganz zu schweigen von den vielen Arbeitslosen und Rentnern. “

Ein anderer Teil der Bevölkerung ist aber auch involviert in die Hilfsaktionen. Sie bringen Essen, Kleidung zu den Bahnhöfen. Das weiß Peter Szoke, der Verantwortliche der Basisgemeinschaft Sant’Egidio. Er betont, dass Ungarn nie ein Zielland war, sondern ein Transitland. Die Menschen gingen und gehen selbst weg aus Ungarn. Diese vielen Menschen sind aus dem Nichts da gewesen und das führe zu einem Schock.

„Die Präsenz hat sich nun verdoppelt und die dramatische Situation führt wiederum zu Panikreaktionen. Das ungarische Volk kennt dies Menschen nicht. Sie wissen nicht wer sie sind. Die mediale Diskussion konzentriert sich auf Fakten und Zahlen. Es wird nicht auf einer persönlichen Ebene davon gesprochen, von den Geschichten der Flüchtlinge, von ihren Gesichtern. Es ist wirklich auch eine Panikreaktion, muss ich sagen.“

Erschreckend seien dennoch die Umfragen, die besagen, dass zwei Drittel der ungarischen Bevölkerung mit dem Mauerbau einverstanden sind. Vor einem Vierteljahrhundert waren die Ungarn die ersten, die den eisernen Vorhang öffneten. Heute sind sie die ersten, die ihre Mauer bauen.

(rv 29.07.2015 no)








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