2015-07-27 10:50:00

„Solange es noch einen Christen im Irak gibt, bleiben wir da"


Die Häuser sind weg, das Vertrauen ist weg, und nur ein wenig Hoffnung bleibt. Die Menschen, die aus ihren Städten und Dörfern fliehen mussten, leben in den Flüchtlingslagern rund um Erbil im irakischen Kurdistan. Sr. Luma Khuder ist Dominikanerin und hilft mit ihrer Gemeinschaft in diesen Lagern, und sie haben auch keinerlei Intention, ganz weg zu gehen. Sr. Luma war am vergangenen Wochenende zu Gast im oberösterreichischen Stift Lambach zur diesjährigen Fachtagung Weltkirche. Trotz aller Grausamkeiten gebe es langfristig keine Alternative zu Frieden und Versöhnung, so die Ordensfrau, die selbst schwer traumatisiert ist von den Gräuel der Terrortruppen des so genannten Islamischen Staates (IS). Im Sommer 2014 musste die Dominikanerin mit ihren Mitschwestern vor den Islamisten aus Karakosch, einer christlichen Stadt nahe Mosul, fliehen, die grauenhaften Bilder der Flucht würden sie immer noch in ihren Träumen verfolgen, so Khuder. Die meisten Christen blieben in Ankawa, einer christlich geprägten Stadt mit rund 25.000 Einwohnern nahe bei Erbil.

„Eine der Hauptherausforderungen dort für uns jetzt ist Wasser. In den Flüchtlingslagern gibt es keinen mehr, der in Zelten leben muss, die Menschen sind aus den Zelten heraus. Wir haben auch niemanden mehr, der in unfertigen Häusern leben müsste, wie noch im vergangenen Jahr. Die Menschen sind umgezogen in vorgefertigte Container, aber das hat auch seine Probleme. In diesem Sommer war es sehr heiß, 45 bis 50 Grad, und diese Container sind aus Metall gemacht und sammeln die Hitze. Es gibt nicht immer Strom, stundenweise bricht der Strom weg, und es wird unglaublich hart für diese Menschen. Und dazu kommt das Problem, dass es nicht genug Wasser gibt.“ Viele Menschen wollten weg aus den Containern, wüssten aber nicht wohin. Wenn sie das Geld hätten, wären sie schon längst weg gewesen, sagt Sr. Luma.

Am Anfang sei es noch viel schlimmer gewesen, berichtet sie, es war ein einziges Chaos. Die Flüchtlinge hätten nichts gehabt, keine Zelte, keine Nahrung, keine medizinische Unterstützung, und niemand hätte sich zuständig gefühlt. „Niemand außer der Kirche." Die Menschen hätten in Kirchen, Zelten, leerstehenden Gebäuden übernachtet. Inzwischen habe die kurdische Regierung für die Flüchtlinge diese Container bereitgestellt, niemand müsse mehr auf der Straße leben. „Die kurdische Regierung hat uns ihre Grenzen geöffnet, wir hatten doch nichts, wo wir hingehen konnten. Wir wissen das sehr zu schätzen. Und wir sind auch in Kurdistan selbst frei und können hingehen, wo wir wollen, keiner hält uns auf. Wir dürfen auch arbeiten, aber leider gibt es zu wenig Arbeit. Erbil und die anderen Orte seien kleine Städte, für die sind die Menschen einfach sehr viele.“

Für die Flüchtlingskinder gebe es auch zu wenig Schulen, dabei sei gerade der Schulbesuch für die Zukunft der Kinder so wichtig. Die Ordensfrauen haben mit kirchlicher Unterstützung Schulen und Kindergärten eingerichtet, das sei freilich nicht ausreichend. „Die Menschen denken darüber nach, was ihre Kinder machen sollen, denn die Schulzeit beginnt in nur wenigen Wochen. Im vergangenen Jahr konnten viele Kinder nicht zur Schule gehen, denn in Kurdistan wird auf Kurdisch unterrichtet, und diese Sprache verstehen wir nicht. Die Kirche versucht zu helfen und hat Container gekauft, um daraus eine Schule zu machen. Auch meine Gemeinschaft versucht hier zu helfen und einen Ort zu finden, so dass die Familien ihre Kinder zur Schule schicken können. Für die Menschen ist es wichtig, ihre Kinder aus diesen Containern heraus zu bekommen, sie in einer anderen Umgebung zu sehen und zu sehen, dass sie etwas lernen. Wenn sie in den Wohncontainern bleiben, dann streiten sich die Kinder nur.“

Flüchtlingskatastrophe „unvorstellbar"

Das Ausmaß der Flüchtlingskatastrophe im Irak sei „unvorstellbar". Allein von Januar 2014 bis April 2015 hätten mehr als 2,8 Millionen irakische Zivilisten ihre angestammten Dörfer und Städte verlassen müssen. Darunter auch 300.000 Christen, so Sr. Luma. Aber: „Die Menschen werden niemals die Hoffnung aufgeben, zurück gehen zu können. Sie wollen auch zurück. Wir alle wollen zurück. Wenn sie heute Leute fragen werden die ihnen sagen, dass sie in dem Augenblick, in dem unsere Städte frei sind, zurück gehen werden. Für die nächste Generation wird das schon anders sein, aber für uns bedeuten diese Orte unser Leben. Es wird aber lange brauchen, bis wir wieder lernen, unseren Nachbarn zu vertrauen. Aber trotzdem wollen wir zurück gehen.“

Hier liege das Hauptproblem der vielen Zerstörungen, die der so genannte IS angerichtet habe, neben den Gebäuden und dem Lebensunterhalt sei auch das Vertrauen der Menschen untereinander zerstört worden, berichtet Sr. Luma. „Wir Christen können wegen dieser Situation niemandem mehr vertrauen. In allen Teilen Iraks sind sehr viele Christen umgebracht worden, und jedes Mal sind andere Menschen geflohen. Und es sind die Kinder, um die sie sich Sorgen machen, mehr als um sich selber. Sie wollen nicht, dass ihre Kinder in einem Land aufwachsen, wo es so viel Gewalt gibt. Sie wollen dahin, wo die Kinder in Frieden leben können.“

Der Rückkehrwunsch sei bei alldem aber sehr stark, wiederholt Sr. Luma immer wieder, auch bei ihr selbst und ihrer Gemeinschaft, die auch fliehen mussten. „Natürlich, natürlich! Ich habe immer noch den Schlüssel zu meinem Zimmer und den zu unserem Kloster bei mir. Wir wissen nicht, was damit passiert ist, wir haben gehört, dass das Kloster geplündert  worden ist, aber Genaues wissen wir nicht.“ Auch hier also sehr viel zerstörtes Vertrauen. Die Ordensfrau verdeutlichte dies mit einem Beispiel: Die christliche Stadt Karakosch sei von muslimischen Dörfern umgeben, und die Muslime hätten stets die Infrastruktur der Stadt, etwa Krankenhäuser, nutzen können. Nach der Eroberung durch die IS wären diese muslimischen Nachbarn die ersten gewesen, die die Häuser der Christen und die Einrichtungen der Stadt geplündert hätten, so Sr. Luma - mit Tränen in den Augen. Trotzdem: Zur Versöhnung gebe es langfristig keine Alternative. „Langfristig, ja. Aber es wird nicht einfach für Christen zu sagen, Ok, vergessen wir das alles, und das ist ja verständlich. Es braucht Zeit, viel Zeit. Aber die Christen hatten immer einen starken Willen, Dinge wieder aufzubauen. Sie wollen einfach nur in Frieden leben, man muss sie einfach nur zurück lassen, sie wollen ja auch alle zurück.“

Was gibt ihr in dieser so schwierigen Situation Hoffnung? Drei Tage, nachdem die Flüchtlinge aus Karakosch im Kurdengebiet angekommen seien, wurde das erste Kind in einem Zelt vor einer Kirche geboren. Das gebe ihr Hoffnung und Kraft, sagt Sr. Luma. Ebenso die 400 Kinder, die vor kurzem Erstkommunion feierten. „Als eine Gemeinschaft haben wir entschieden, dass wir bei unseren Leuten bleiben bis zur letzten Minute. So lange es einen Christen im Irak gibt, werden wir bei ihnen bleiben.“

(kap 27.07.2015 ord)








All the contents on this site are copyrighted ©.