2015-07-19 09:34:00

Menschen in der Zeit: Raphael Bonelli


Raphael Bonelli wurde1968  als erstes von fünf Kindern eines Ärzteehepaares geboren und ging in Wien zur Schule. Er studierte Medizin und absolvierte die Facharztausbildung für Neurologie, Psychotherapie und Psychiatrie. Es folgten Forschungsaufenthalte in Harvard in den USA. Vor vier Jahren erfolgte seine Berufung zum Leiter der Forschungsgruppe Neuropsychiatrie an der Sigmund Freud Universität Wien. Dass der Wissenschaftler bereits in jungen Jahren internationale Anerkennung erhielt, war aber nicht unbedingt vorauszusehen. Blicken wir zurück:

„Ich war ein sehr schlechter und schlimmer Schüler und meine Eltern haben trotz allem mir geholfen die Matura, sprich Abitur, zu machen und das war für manche meiner Lehrer ein echtes Wunder. Ich bin einmal sogar aus der Schule geflogen, weil ich so schlimm war und meine Eltern haben es möglich gemacht, durch ihr Engagement, dass ich eben doch noch die Schule abschließen konnte – also da bin ich meinen Eltern sehr dankbar. Wie im Leben eines jeden Menschen, sind die Eltern da nicht wegdenkbar.”

Welche Eigenschaften muss man haben, um erfolgreich zu werden?

„Ich glaube die Eigenschaften, die nötig sind, wenn man wirklich dienen will, sind, dass man eine gute Selbsterkenntnis hat, was kann ich, was kann ich nicht, dann den entsprechenden Fleiß, um auch eben seinen Begabungen zu entsprechen, und dann auch die nötige Selbstkritik, um zu wissen: wo grenzt mein Talent, was kann ich, was kann ich nicht, und die Klugheit, die Tugend der Klugheit, um zu erkennen, was ist das Gebot der Stunde. Was habe ich zu tun und was habe ich nicht zu tun. Was ist jetzt Aufgabe, und was ist eine Versuchung, die nicht meine Aufgabe ist.”
Herr Bonelli, wie definieren Sie Ihren eigenen Erfolg?

 

Psychotherapie und Religion miteinander versöhnen

„Ich glaube, erfolgreich ist ein Mensch, der erkannt hat, was sein Dienst  in der Gesellschaft ist und der diesen Dienst ausführt, mit großem Eifer und der Fähigkeit, die ihm halt gegeben ist. Ich sehe mich in der Aufgabe, dass ich Psychotherapie und Religion miteinander versöhne. In Wien haben sich Psychotherapie und Religion verfeindet durch Sigmund Freud, der gesagt hat Religion sei eine kollektive Zwangsneurose, Religion ist eine Krankheit. Und in Wien, wo ich eben auch sitze, als entfernter Freud-Schüler sozusagen, versöhnen sich jetzt Psychotherapie und Religion wieder, Beide sind ganz großartige Ressourcen, beides hat seine Aufgabe, das sind keine Gegensätze, sondern lässt sich sehr gut ergänzen.”

Herr Bonelli – es ist im Grunde eine kleine Zumutung – für den Befragten, aber auch für den Fragesteller - Sie und Ihr vielseitiges, hochqualifiziertes Wissen in knapp einer Viertelstunde den Hörerinnen und Hörern  von Radio Vatikan vorzustellen und dabei einigermaßen ein ganzheitliches Bild über Sie und Ihre Wissenschaft zu zeichnen. So habe ich mich auf Themen beschränkt, von denen ich annehme, dass sie allgemein auf großes Interesse stoßen, wohl wissend, dass dabei Wichtiges, ja Wesentliches ausgeklammert bleiben muss. Die Themen sind höchst unterschiedlich, sie heißen: Kontemplation und Perfektionismus. Beginnen wir mit dem Perfektionismus: unsere heutige Gesellschaft fördert die Perfektion, die Superlative, das Non-plus-ultra, den Star, den Superman, die Powerfrau – ihnen gilt die grenzenlose Bewunderung. Nach Ihren Studien liegen wir da falsch. Sie sprechen sogar von einer „Krankheit”, die sich in unserer modernen Welt epidemisch ausbreitet. Sie nennen sie die große Angst, Fehler zu machen. Meine Frage: – „Perfektion” ist an und für sich ein positiver Begriff. Ganz bestimmt auf  technischem Gebiet, nicht so aber auf der psychologischen Ebene. Wo und wann beginnt er da krankhafte Nebenerscheinigen zu haben?

 

Krankheit des Perfektionismus

„Ich unterscheide sehr stark zwischen dem Begriff Perfektion und dem Perfektionismus. Perfektion ist etwas Gutes, ist Ziel für den Menschen, etwas, was man anstreben sollte, und war dem Mensch gut tut. Ein Mensch ohne Ideal ist ein armseliger Mensch.  Das bedeutet, es ist gut, wenn man sich immer weiter entwickelt, wenn man sich nach der Decke streckt, wenn man versucht besser zu werden, wenn man eben versucht, fehlerfrei, perfekt zu sein. Das Problem beginnt dann, wenn man panische Angst hat vor seiner eigenen Fehlerhaftigkeit, vor seiner eigenen  Mittelmäßigkeit, vor seiner eigenen Gewöhnlichkeit und das nennen wir Perfektionismus. Das heißt: die Angst um sich selbst. Das nennt man in der Psychologie „Ichhaftigkeit”. Diese Angst um sich selbst schleicht sich ein und macht den Menschen ein qualvolles Lebensgefühl. Diese Menschen haben einen hohen, inneren Druck, eine hohe Spannung. Und das ganze Phänomen des Perfektionismus ist Ausdruck unseres Zeitgeistes. Unser Zeitgeist toleriert keine Fehler mehr, unser Zeitgeist hat leider die Beichte aus den Augen verloren, das heißt die Fähigkeit auch irgendwie mit Fehlern konstruktiv umzugehen und deswegen scheint es mir, dass dieser Denkfehler, dass dieses Lebensgefühl des Perfektionismus um sich greift und immer stärker wird.”

 

Religion kann heilsame Alternative sein

Nach Ihren Ausführungen ist also eine natürliche Spannung für einen psychisch gesunden Menschen leicht zu ertragen und motiviert ihn sogar dazu, sich weiterzuentwickeln. Ein Perfektionist hingegen erträgt diese Spannung nicht, weil für ihn das nie vollständig realisierbare „Soll” Grund zu einem permanenten Vorwurf wird. Perfektionismus kann also auch Quelle und Anlass vieler Ängste und Neurosen sein. Herr Bonelli. Jetzte die Frage: Sie haben sie schon irgendwie angetastet mit dem Wort Beichte. Kann denn Religion –zumal die katholische - dazu eine Alternative sein?

„Religion kann, wenn sie richtig verstanden wird, eine sehr heilsame Alternative sein. Ein Heilmittel gegen Perfektionismus, weil man sich ja vor Gott „nackt” darstellt, so wie man wirklich ist. Der Perfektionist ist ja einer der eine Maske trägt, der immer versucht, perfekt zu scheinen, auch da, wo er es nicht ist. Vor Gott ist das nicht möglich, sondern wir stehen vor Gott da als Sünder, wir stehen vor Gott da als bedürftige Kinder Gottes, die seiner Gnade und seiner Liebe bedürfen und die sich diese Liebe und diese Gnade nicht verdienen können. Das heißt, dieses wunderschöne Wort aus der Theologie „gratia gratis data” - die Gnade, die uns geschenkt wird ,die wir nicht verdient haben- das ist das Phänomen das den Perfektionisten zuteil wird. Der Perfektionist tut sich ganz schwer, etwas geschenkt zu bekommen, er tut sich viel leichter, wenn er sagt: das habe ich jetzt verdient. Und da scheitert er relativ schnell in der Beziehung zu Gott, weil Gott gegenüber haben wir nichts verdient, haben wir die Dinge nicht selbst gemacht und da ist Gott immer der Erste, der uns liebt und wir reagieren auf die Liebe Gottes. Allerdings,  ich bin ja in erster Linie Psychiater und Psychotherapeut, merke ich auch unter religiösen Menschen, die Tendenz, perfektionistisch zu denken und perfektionistisch, die eigene Religion zu leben. Und das hat zur Folge, dass man glaubt, dass man durch viele Taten, sich sozusagen den Himmel verdienen kann, Deswegen ist der Aktionismus, besonders in unseren deutschsprachigen Landen, groß geschrieben. Wenn man glaubt, wenn man die Kommunion austeilt als Laie, oder die Lesung vorliest in der Messe, dass man dann mehr wert ist, dass man dann mehr gesehen wird, dass man dann mehr Wertschätzung genießt- lauter Worte des Perfektionisten: ich möchte wertgeschätzt werden, ich möchte gesehen werden, ich möchte wahrgenommen werden – und das alles ist durch eine gesunde Religiosität, durch eine Vier-Augen-Beziehung zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf in Gang zu halten.”

 

Kontemplation – gesunde Gottesbeziehung
Wir kommen nun abschließend zum Thema Kontemplation. Ein Begriff, der heute außer in der Sprache der Kirche eher selten genannt wird. Ist Kontemplation eigentlich immer religiös zu verstehen, oder gibt es diese innere Haltung auch außerhalb dieses geistig-geistlichen Spektrums?

„Kontemplation an und für sich ist ein Begriff, den man nicht nur in der Religion bezeichnet. Es ist ein unscharfer Begriff, den man auf vielerlei Weise  anwenden kann, aber wir in der Psychologie verstehen den in erster Linie als jemand, der sich nicht selbst verliert, als jemand, der die Fähigkeit hat, auf das Wesentliche zu schauen. Und wenn man auf das Wesentliche schaut, dass ist man auch schnell wieder bei Religion. Ich war mit meiner Frau vor kurzem spazieren an der Donau und da saß ein Mann, der hat so in die untergehende Sonne geblickt, und da sagte meine Frau zu mir: schau, der betet, wahrscheinlich, ohne es zu wissen. In Anlehnung an Therese von Lisieux, die sich als Kinde ja immer hinter das Bett gesetzt hat, und gesagt hat, da habe ich gebetet, ohne es zu wissen. Und die Menschen suchen nach einer Ruhe, nach einem schönen Ort, nach einem Ort, wo sie sich wahrnehmen als ein Geschöpf, eingebettet in die Wirklichkeit der Schöpfung- und das kann schon auch manchmal nicht religiös sein. Wir haben ja den Buddhismus zum Beispiel, der keine wirkliche Religion ist, der aber, weil er keinen personalen Gott kennt, aber der das Phänomen der Kontemplation ganz groß schreibt und durch die Kontemplation dann doch auch den göttlichen Phänomenen auf seine Art entgegenkommen kann. Kontemplation ist das Phänomen, das den Menschen, unabhängig von Religiosität, gut tut.

Aber natürlich die Fülle der Kontemplation geht nur in einer gesunden Gottesbeziehung. Besser kann man Ihre Frage auflösen, wenn man fragt, was ist denn das Gegenteil von Kontemplation? Das Gegenteil von Kontemplation ist diese Hektik, diese Verlorenheit in den dringendsten Dingen, ich unterscheide zwischen dringenden und wichtigen Dingen, und die dringenden Dinge, also die Dinge, die sich aufdrängen. Der Mensch von heute tut sich ganz schwer, denen zu widerstehen. Stichwort Facebook, E-Mail, Handy, Dinge, die man ständig dabei haben muss, ständig erreicht werden kann, rund um die Uhr muss man informiert sein, die Zeitung von heute reicht nicht, man muss on-line sich ständig informieren – es ist ein unheimlicher Druck, der auf den Menschen einwirkt. Und in einer hochgradig beschleunigten Gesellschaft, die immer mehr psychische Krankheiten dadurch produziert.”

Da sprechen Sie doch auch manchem von uns Medienleuten ganz aus der Seele. Vielen Dank für dieses Gespräch.

 

(rv 19.07.2015 ap)








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