2015-07-07 00:00:00

Papstpredigt: „In der Familie geschehen die Wunder“


Volltext der Predigt von Papst Franziskus bei einer Messfeier mit Familien
Parque de los Samanes, Guayaquil, Ecuador
Montag, 6. Juli 2015
Offizielle Übersetzung mit den frei gesprochenen Einschüben

 

Der Abschnitt des Evangeliums, den wir gerade gehört haben, ist das erste Wunderzeichen, das in der Erzählung des Johannesevangeliums geschieht. Die Sorge Marias wird zur Bitte an Jesus: „Sie haben keinen Wein mehr“, und den Hinweis auf die „Stunde“ wird man von den Berichten der Passion her verstehen.

            Es ist gut, dass es so ist, denn dies erlaubt uns, das Verlangen Jesu, zu lehren, zu begleiten, zu heilen und zu erfreuen, von diesem Ruf seiner Mutter aus zu sehen: „Sie haben keinen Wein mehr“.

            Die Hochzeit von Kana wiederholt sich in jeder Generation, bei jeder Familie, bei jedem von uns und unseren Wünschen, dass es unserem Herzen gelingen möge, Standfestigkeit zu finden in bleibender, fruchtbarer und froher Liebe. Geben wir Maria Raum, „der Mutter“, wie es der Evangelist sagt. Gehen wir mit ihr den Weg von Kana.

            Maria ist aufmerksam bei dieser Hochzeit, die schon begonnen hat; sie sorgt sich um die Bedürfnisse der Brautleute. Sie ist nicht geistesabwesend, nicht in ihre Welt versunken; ihre Liebe lässt sie „sein für“ die anderen. Sie sucht auch nicht ihre Freundinnen, um die schlechen Vorbereitungen der Hochzeit zu kritisieren. Sie bemerkt sie das Fehlen des Weines. Der Wein ist Zeichen für Freude, Liebe, Fülle. Wie viele unsere Kinder und Jugendlichen spüren, dass es ihn in ihren Häusern schon eine Weile nicht mehr gibt. Wie viele Frauen, die allein und traurig sind, fragen sich, wann die Liebe erloschen ist, aus ihrem Leben verschwunden ist. Wie viele alte Menschen fühlen sich bereits außerhalb des Festes ihrer Familien, vernachlässigt und dass sie schon nicht mehr von der täglichen Liebe trinken. Ebenso kann das Fehlen des Weines eine Folge von Arbeitsmangel, Krankheiten oder schwierigen Situationen sein, die unsere Familien durchmachen. Maria ist keine „Beschwerde“-Mutter, sie ist keine Schwiegermutter, die wacht, um sich an unserer Unerfahrenheit, unseren Fehlern und Unachtsamkeiten zu freuen. Maria ist schlicht Mutter! Ja, sie ist aufmerksam und zuvorkommend. Sprechen wir das gemeinsam: „Maria ist Mutter!“, noch einmal!

            Maria aber wendet sich vertrauensvoll an Jesus, das bedeutet, dass Maria betet, sie geht zu ihrem Sohn und betet. Sie geht nicht zum Verantwortlichen für das Festmahl; sie unterbreitet die Schwierigkeit der Brautleute direkt ihrem Sohn. Die Antwort, die sie erhält, scheint entmutigend: „Was willst du von mir, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen“ (V. 4). Aber währenddessen hat sie schon das Problem in die Hände Gottes gelegt. Ihre Sorge für die Bedürfnisse der anderen beschleunigt die „Stunde“ Jesu. Maria ist Teil dieser Stunde, von der Krippe bis zum Kreuz. Denn Maria, die „mit ein paar ärmlichen Windeln und einer Fülle zärtlicher Liebe einen Tierstall in das Haus Jesu zu verwandeln“ verstand (Evangelii gaudium, 286), und uns als Kinder erhielt, als ein Schwert ihre Seele durchdrang, sie lehrt uns, unsere Familien in die Hände Gottes zu legen; sie lehrt uns zu beten und dabei die Hoffnung zu entfachen, die uns zeigt, dass unsere Sorgen auch die Sorgen Gottes sind.

            Beten zieht uns immer aus dem Umfeld unserer Sorgen heraus, lässt uns über das, was uns schmerzt, bewegt oder uns selbst fehlt, hinausgehen und versetzt uns in die Haut der anderen, in ihre Schuhe. Die Familie ist eine Schule, in der das Gebet uns auch daran erinnert, dass es ein Wir gibt, dass es einen unmittelbaren, konkreten Nächsten gibt: er lebt unter demselben Dach, teilt unser Leben und ist bedürftig.

            Maria handelt schließlich. Die Worte „Was er euch sagt, das tut!“ (V. 5), die sie an die Diener richtet, sind eine Einladung auch an uns, uns Jesus zur Verfügung zu stellen, der gekommen ist, um zu dienen und nicht, um sich dienen zu lassen. Das Dienen ist das Kriterium der wahrhaftigen Liebe. Das nennt man Dienen, sich in den Dienst anderer zu stellen. Und dies lernt man besonders in der Familie, wo wir aus Liebe einander dienen. Im Schoß der Familie wird niemand ausgeschlossen;  ich erinnere mich an meine Mutter, die wurde einmal gefragt, welchen von ihrem fünf Kindern – wir waren zu fünft – sie am meisten liebt. Sie hat gesagt, es ist wie mit den Fingern an der Hand. Wenn man den einen piekst, tut das genau so weh wie wenn man einen anderen piekst. Das ist die Liebe einer Mutter, die liebt ohne Unterschied. In der Familie „lernt man, um Erlaubnis zu bitten, ohne andere zu überfahren, ‚danke‘ zu sagen als Ausdruck einer aufrichtigen Wertschätzung dessen, was wir empfangen, Aggressivität oder Unersättlichkeit zu beherrschen und um Verzeihung zu bitten, wenn wir irgendeinen Schaden angerichtet haben. In jeder Familie gibt es Streit, es ist nur wichtig, um Vergebung zu bitten. Diese kleinen Gesten ehrlicher Höflichkeit helfen, eine Kultur des Zusammenlebens und der Achtung gegenüber unserer Umgebung aufzubauen“ (Laudato si’, 213). Die Familie ist das nächstgelegene Krankenhaus, die erste Schule der Kinder, die unverzichtbare Bezugsgruppe für die jungen Menschen, das beste Heim für die alten Menschen. Die Familie bildet den großen „sozialen Reichtum“, den andere Einrichtungen nicht ersetzen können, der unterstützt und verstärkt werden muss, um niemals den rechten Sinn der Dienste zu verlieren, welche die Gesellschaft für ihre Bürger leistet. Denn diese sind nicht eine Art Almosen, sondern eine echte „soziale Schuld“ hinsichtlich der Institution der Familie, die so viel zum Gemeinwohl aller beiträgt.

            Die Familie bildet ebenso eine kleine Kirche, eine „Hauskirche“, die mit dem Leben die Zärtlichkeit und Barmherzigkeit Gottes vermittelt. In der Familie mischt sich der Glaube mit der Muttermilch: Wenn man die Liebe der Eltern erfährt, spürt man die Liebe Gottes nahe.

            In der Familie – und das können wir alle bezeugen – geschehen die Wunder mit dem, was da ist, mit dem, was wir sind, mit dem, was einer zur Hand hat … oft ist es nicht das Ideal, nicht das, was wir erträumen oder was „sein sollte“. Aber da ist ein Detail der Geschichte, das wir nicht vergessen dürfen: der neue Wein auf der Hochzeit in Kana kommt aus den Krügen zur Reinigung, das heißt von dem Ort, wo alle ihre Sünde gelassen haben … „Wo jedoch die Sünde mächtig wurde, das ist die Gnade übergroß geworden“ (Röm 5,20). In der Familie eines jeden von uns und in der gemeinsamen Familie, die wir alle bilden, wird nichts weggeworfen, ist nichts unnütz. Kurz vor Beginn des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit wird die Kirche die Ordentliche Bischofssynode zur Familie feiern, um eine echte geistliche Unterscheidung reiflich zu überlegen und konkrete Lösungen zu finden für die vielen Schwierigkeiten und wichtigen Herausforderungen, denen sich die Familie in unseren Tagen stellen muss. Ich lade euch ein, euer Gebet in diesem Anliegen zu intensivieren, damit noch alles, was uns unrein erscheint, uns erregt oder erschreckt, Gott dadurch, dass er es durch seine „Stunde“ hindurchgehen lässt, in ein Wunder verwandeln kann. Die Familie heute braucht so ein Wunder.

            Alles begann damit, weil es hieß: „Sie haben keinen Wein mehr“, und alles konnte geschehen, weil eine Frau – die Jungfrau Maria – aufmerksam war, ihre Sorgen in die Hände Gottes zu legen wusste und besonnen und mutig handelte. Aber da ist noch etwas, und das ist nicht unwichtig: sie kosteten den besten Wein. Und das ist die gute Nachricht: der beste Wein ist da, um geschöpft zu werden, das Angenehmste, Tiefste und Schönste für die Familie kommt noch. Die Zeit kommt, wo wir die tägliche Liebe kosten, wo unsere Kinder den Raum, den wir teilen, wieder entdecken, und die alten Leute bei der Freude jeden Tages zugegen sind. Der beste Wein kommt noch für jeden Menschen, der zu lieben wagt. Und in der Familie muss man die Liebe riskieren, muss man riskireren zu lieben. Und der Wein kommt, wenn auch alle Hochrechnungen und Statistiken das Gegenteil behaupten. Der beste Wein kommt zu denen, die heute alles zusammenbrechen sehen. Murmelt es, bis man es glaubt: der beste Wein kommt noch; flüstert es den Verzweifelten und Lieblosen ins Ohr.  Gott nähert sich immer den Peripherien derer, die ohne Wein geblieben sind, die nur Mutlosigkeit zu trinken haben. Jesus hat eine Schwäche dafür, den besten Wein mit denen zu verschwenden, die aus dem einen oder anderen Grund schon spüren, dass sie alle Krüge zerbrochen haben.

            Wie Maria uns einlädt, tun wir, „was er uns sagt“, und danken wir, dass hier in unserer Zeit und unserer Stunde der neue, der beste Wein uns die Freude, Familie zu sein, wieder erfahren lässt.

 

(rv 06.07.2015 ord)








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