2015-07-04 10:11:00

Liebe, Trauer, Göttliches - Benedikt XVI. meditiert über die Musik


  Das erste Mal seit seinem Amtsverzicht ließ der emeritierte Papst an diesem Samstag wieder seine Stimme hören: Im päpstlichen Sommersitz Castel Gandolfo erhielt Benedikt XVI. zwei Ehrendoktorwürden aus Krakau - die eine von der Musikakademie, die andere von der Päpstlichen Universität Johannes Paul II.. Und er nutzte die kleine Feier für eine tiefsinnige Meditation über die Musik und die Liturgie-Konstitution des II. Vatikanischen Konzils.

Etwas unsicher auf den Beinen, die Stimme etwas schwächer als früher, aber hellwach und entspannt: So wirkte der 88-jährige Benedikt an diesem Samstag bei der außergewöhnlichen Audienz für die polnischen Besucher. Der emeritierte Papst hielt seine Ansprache im Stehen, und im Stehen grüßte er auch alle Anwesenden. Irgendwie war es auf einmal wie früher, wie vor dem Amtsverzicht des Papstes 2013. Die Ehrungen verschafften ihm eine noch tiefere Verbindung mit der Heimat des heiligen Johannes Paul II., unterstrich Benedikt in seiner auf Italienisch vorgetragenen Rede.

Kardinal Stanisław Dziwisz von Krakau hatte zuvor eine kleine Ansprache gehalten und dabei gleich an Johannes Paul erinnert, dessen Privatsekretär er jahrzehntelang gewesen war: „Ich bin sicher, er sieht uns jetzt von oben zu“, so Dziwisz. Das war ein fast wörtliches Zitat aus der Predigt, die Kardinal Ratzinger 2005 beim Requiem für Johannes Paul auf dem Petersplatz gehalten hatte. Dziwisz war sichtlich bewegt: „Es ist für mich das erste Mal seit zehn Jahren, dass ich wieder hier bin“, sagte er gegenüber Radio Vatikan. „Seit dem Tod Johannes Pauls war ich nicht mehr in Castel Gandolfo. Es ist eine große Emotion... Ich sehe: Der Palast lebt!“ Dieser Samstag sei für ihn „sehr speziell“, so der Kardinal weiter: „Kardinal Ratzinger kam schon zu uns nach Krakau zu Besuch, als er noch Erzbischof von München war. Heute sehen wir: Das geht alles weiter. Der Kontakt, die Sympathie, die Freundschaft.“

Der Rektor der Krakauer Musikakademie hielt die Laudatio auf Benedikt XVI. – auf Polnisch und, ein paar Sätze lang, auch auf Deutsch. Dann wurden dem sichtlich bewegten emeritierten Papst feierlich die Urkunden überreicht. Ohne den polnischen Papst Johannes Paul sei sein „geistlicher und theologischer Weg nicht denkbar“, hielt Benedikt XVI. in seiner Dankesrede fest. Johannes Paul II. habe „uns auch durch sein lebendiges Beispiel gezeigt, wie die Freude an der großen Kirchenmusik und der Auftrag zur gemeinsamen Teilnahme an der heiligen Liturgie, wie die festliche Freude und die Einfachheit der demütigen Feier des Glaubens miteinander gehen können.“

„Mit Mozart ging der Himmel auf“

Ausgehend von seinen persönlichen Erfahrungen gab Benedikt XVI. im Folgenden Einblick in die Umbruchszeit der Nachkonzilszeit – in musikalisch-liturgischer Hinsicht: „Ich selber bin im Traditionsraum von Salzburg aufgewachsen. Die festlichen Messen mit Chor und Orchester gehörten ganz selbstverständlich zu unserem gläubigen Erleben der Liturgie.“ Es bleibe ihm etwa „unvergessen, wie zum Beispiel mit den ersten Klängen der Krönungsmesse von Mozart irgendwie der Himmel aufging und die Gegenwart des Herrn ganz tief zu erleben war“, schwärmte Benedikt XVI.. Daneben sei allerdings „auch schon die neue Welt der Liturgischen Bewegung“ gegenwärtig gewesen, die er selbst im Studium in München und innerhalb des liturgischen Lebens in der Seminargemeinschaft „ganz konkret“ erfahren habe: „So wurde langsam die Spannung zwischen der Liturgie gemäßen ,participio actuosa‘ und der die heilige Handlung überwölbenden festlichen Musik spürbar, auch wenn ich sie noch nicht allzu stark empfunden habe.“

Um die Frage der Liturgiegestaltung sei nach dem Zweiten Vatikanum bisweilen eine „dramatische Spannung“ spürbar gewesen, erinnert Benedikt XVI. sich: „Maßgebende Kreise der Liturgischen Bewegung waren der Meinung, die großen Chorwerke und gar die Orchester-Messen hätten in Zukunft nur noch Raum in den Konzertsälen, nicht in der Liturgie. In ihr könne nur das gemeinsame Singen und Beten aller Gläubigen Platz haben. Auf der anderen Seite war da das Erschrecken über die kulturelle Verarmung der Kirche, die damit verbunden sein musste. Wie lässt sich beides zusammenbringen? Wie ist das Konzil in seiner Ganzheit zu verwirklichen – das waren die Fragen, die sich mir und vielen anderen Gläubigen, einfachen Menschen wie theologisch Gebildeten, aufdrängten.“

Musik entsteht aus Getroffensein, Eröffnetsein

Der eigentliche Kern seiner kleinen Rede sollte sich an dieser Stelle anschließen: „Was ist das überhaupt – Musik?“ fragte Benedikt XVI.: „Was ist ihr Woher und was ist ihr Wozu?“ Drei Ursprungsorte des Phänomens machte der emeritierte Papst hier aus: „die Erfahrung der Liebe“, „die Erfahrung der Trauer“ und „die Begegnung mit dem Göttlichen“. Das „Getroffensein“ durch die Liebe lasse „eine neue Größe und Weite der Wirklichkeit“ spürbar werden, die „auch zu einer neuen Weise (dränge) sich auszudrücken“: „Poesie, Gesang und Musik überhaupt sind ganz von selbst durch dieses Getroffensein, durch dieses Eröffnetsein einer neuen Dimension des Lebens entstanden.“ Auch die Trauer, die „Berührung durch den Tod“ eröffne – „nach der anderen Seite hin“ – „neue Dimensionen der Wirklichkeit, die mit dem Reden allein nicht mehr beantwortet werden können“, fuhr Benedikt XVI. fort.

Die Begegnung mit dem Göttlichen schließlich entfalte „erst recht“ den Kontakt zu jenem „Anderen und Großen“, das den Menschen zu neuen Ausdrucksweisen treibe. Im Psalterium klingt für Benedikt XVI. in besonderer Weise das Göttliche der Musik, „die Sprache der Schöpfung“, an: „ich finde es bewegend zu sehen, wie (…) in den Psalmen den Menschen auch das Singen nicht mehr ausreicht, sondern alle Instrumente aufgerufen werden – die verborgene Musik der Schöpfung, ihr geheimnisvolle Sprache geweckt wird. Mit dem Psalterium, in dem ja auch die beiden Motive Liebe und Tod immer wirksam sind, stehen wir direkt am Ursprung der Musik der Kirche Gottes.“ Die Qualität der Musik messe sich in diesem Sinne gerade „an der Reinheit und Größe der Begegnung mit dem Göttlichen“, so Benedikt XVI.: „Je reiner und je wahrer diese Erfahrung ist, desto reiner und größer wird auch die Musik sein, die daraus hervorwächst.“

Loblied auf die abendländische Musik 

In seiner Meditation über die Musik und ihre Ursprünge würdigte der deutsche Papst explizit die abendländische Musik – sie sei „etwas Einzigartiges, ohne Entsprechung in anderen Kulturen“: „Musik von der Größenordnung, wie sie im Raum des christlichen Glaubens entstanden ist – von Palestrina, Bach, Händel zu Mozart, zu Beethoven und zu Bruckner – gibt es in keinem anderen Kulturraum.“

Ihren „inneren Quellort“ habe die abendländische Musik vorrangig in der Liturgie, sie sei „aus ihr gewachsen“ und habe die Liturgie zugleich „immer neu mitgestaltet“. Dies sei für ihn persönlich „ein Wahrheitsbeweis des Christentums“, bekannte der emeritierte deutsche Papst: „Wo solche Antwort wächst, ist Begegnung mit der Wahrheit, mit dem wahren Schöpfer der Welt geschehen.“ Große Kirchenmusik sei deshalb auch „eine Realität von theologischem Rang“, führte Benedikt XVI. weiter aus. Aus der Liturgie dürfe sie nicht verschwinden, ermögliche sie doch „eine ganz besondere Weise der Teilhabe an der heiligen Feier, am Geheimnis des Glaubens“. Unabhängig davon, wie sich Kultur und Kirchenmusik weiterentwickelten, sei es letztlich immer die Begegnung mit dem Göttlichen, die großer Musik „Schönheit aus der Wahrheit“ gebe.

Die Musikakademie Krakau und die Päpstliche Universität Johannes Paul II. trügen in besonderer Weise dazu bei, dieses Geschenk lebendig zu halten, wandte sich der emeritierte Papst abschließend an seine Würdiger: „So danke ich Ihnen allen von Herzen, nicht nur für die Ehre, die Sie mir geschenkt haben, sondern für alle Arbeit, die Sie im Dienst der Schönheit des Glaubens tun. Der Herr segne Sie alle.“

„Für mich ist diese nicht sehr lange Ansprache wichtig wegen ihren Gedanken zur Musik“, so Kardinal Dziwisz im Gespräch mit RV. „Und zwar nicht nur zur liturgischen Musik – sondern zur Musik als Ausdruck der Seele des Menschen. Diese Rede entwickelt die kirchliche Lehre über die Musik im allgemeinen weiter!“

(rv 04.07.2015 pr)








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