2015-07-03 14:30:00

Griechenland: „Die totale Verunsicherung"


Die Menschen in Griechenland sind zutiefst verunsichert, wie sie beim Referendum am kommenden Sonntag abstimmen sollen. Das sagte uns der katholische Erzbischof von Athen, Sevastianos Rossolatos. Die Griechen sollen am Sonntag darüber befinden, ob sie die Vorschläge der Gläubiger annehmen oder nicht. Es geht um den Verbleib im Euro und letztlich um nicht weniger als das wirtschaftliche Überleben des Landes, das vom Euro-Rettungsfonds inzwischen für insolvent erklärt wurde. Es sei offiziell Zahlungsausfall festgestellt worden, hieß es an diesem Freitagnachmittag. Möglicherweise kann auch die Volksbefragung am Sonntag gar nicht stattfinden. Das Oberste Verwaltungsgericht in Griechenland, der Staatsrat, berät nämlich ebenfalls am Freitag über die Rechtmäßigkeit der von der Regierung angesetzten Volksabstimmung. Verunsicherung allenthalben. Erzbischof Rossolatos erzählt uns aus Athen:

„Das Staatsfernsehen versucht uns zu überzeugen, Nein zu wählen, so wie die Regierung das will. Alle anderen Fernsehstationen aber geben zu verstehen, dass ein Ausstieg aus dem Euro wirklich die Zerstörung der Wirtschaft bedeuten würde. Die Leute verstehen nicht genug, sie wissen nicht, was sie wählen sollen. Die Unternehmer machen einen Aufstand, weil sie wissen, dass außerhalb des Euros die Wirtschaft sich nur mit großer Mühe erholen wird, das würde Jahre dauern. Auch die Bürgermeister und Athen und Thessaloniki laden die Leute ganz offen im Fernsehen dazu ein, Ja zu stimmen, also im Euro zu bleiben.“

Alexis Tsipras hat zwar verkündet, am Tag des Referendums werde er in Brüssel eine Vereinbarung unterzeichnen. Doch welche? Die wirklich entscheidende Frage ist aus Sicht des Athener Erzbischofs noch gar nicht gestellt:

„Das ist das Schlimmste. Niemand weiß, was ab Montag geschieht.“

Vor dem Referendum haben nur wenige Banken in Griechenland überhaupt geöffnet; dramatische Szenen spielen sich ab.

„Wenn ich auf der Straße gehe, sehe ich Rentner in langen Schlangen, die nur 60 Euro pro Tag abheben dürfen. Einige kippen um, weil sie stundenlang in der Hitze waren müssen. Ich weiß, dass viele in der Nacht aufstehen, damit sie um drei Uhr morgens die ersten in der Schlange sind. Es ist eine verzweifelte Lage. Auch die Diözesen und Pfarreien müssen ihre Angestellten bezahlen – und können es nicht. Denn sie haben kein Geld, und wenn sie welches haben, müssen sie es elektronisch auf der Bank horten, wo aber die Leute nicht hingehen können, um das Geld abzuheben. Wir leben alle in vollkommener Unsicherheit.“

Große Aufmerksamkeit erhielt zudem ein spontanes 45-Minuten-Gespräch zwischen Staatspräsident Prokopios Pavlopoulos und dem Oberhaupt der Kirche von Griechenland, Erzbischof Hieronymos (Liapis) auf dem Athener Areopag nach der abendlichen Liturgie zu den Peter und Paul-Feiern. Im Mittelpunkt des Gesprächs war der umfangreiche humanitäre Einsatz der orthodoxen Kirche von Griechenland gestanden, die seit Beginn der Finanzkrise versucht, in vielfältiger Weise die Not der an den Rand gedrängten Bevölkerungsschichten zu lindern.

Erzbischof Hieronymos rief dabei die Griechen zur nationalen Einheit und zum Verbleib bei der „gemeinsamen europäischen Familie" auf. Er warnte vor dem „Gift der Spaltung", das die Seelen des Landes infiltrieren würde und ein „Verbrechen an den künftigen Generationen" sei.

Der Heilige Synod der Kirche von Griechenland hatte zuletzt vor wenigen Tagen an die „führenden Persönlichkeiten" der Europäischen Union appelliert, einen Kompromiss mit der griechischen Regierung zu finden.

Unterschiedliche Tendenzen in der Kirche

In einem Kommentar der „Orthodox News" vom Mittwoch wird darauf verwiesen, dass die orthodoxe Kirche von Griechenland in der jüngsten Geschichte bereits mehrmals die schwierige Aufgabe der nationalen Versöhnung wahrgenommen habe. Im Zweiten Weltkrieg - während der deutschen und italienischen Besatzung - und unmittelbar danach während des bis 1949 dauernden Bürgerkriegs war Erzbischof Damaskinos von Athen der einzige Repräsentant der Legitimität. Nach 1949 war es ein wesentliches Verdienst der Kirche, dass es in den Dörfern und Städten trotz der schweren Wunden des Bürgerkriegs schrittweise zu einer Aussöhnung zwischen „Linken" und „Rechten" kam.

Heute sei die Situation dadurch belastet, dass Griechenland einen unverhältnismäßig hohen Anteil von Flüchtlingen und Migranten aufnehmen musste, so „Orthodox News". Innerhalb der Kirche gebe es zwei Tendenzen: Eine ausländerfeindliche Richtung und eine Strömung, die sich gegen jeden Chauvinismus wende und den hart mit der Krise ringenden Griechen nahe bringe, dass auch die Migranten Respekt und Mitleid verdienen.

Papst betet für Griechen

In einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung von Vatikansprecher P. Federico Lombardi hieß es, Papst Franziskus habe den Wunsch, „seine Nähe zum ganzen hellenischen Volk spüren zu lassen - mit einem besonderen Gedanken an die vielen Familien, die von einer so komplexen und leidvollen menschlichen und sozialen Krise schwer betroffen sind. Die Würde der menschlichen Person müsse im Zentrum aller politischen und technischen Debatten bleiben, wie auch bei der Übernahme verantwortlicher Entscheidungen. Papst Franziskus lädt alle Gläubigen ein, sich im Gebet für das Wohl des geliebten griechischen Volkes zu vereinen".

(rv/kap 03.07.2015 gs)








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