2015-06-18 11:59:00

Schellnhuber: Enzyklika auf der Höhe der Zeit


Der deutsche Physiker und Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber ist Teil des Vorstellungsteams der Umwelt-Enzyklika von Papst Franziskus. Der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Klima-Berater der Bundesregierung und der EU hat die neue Enzyklika von Papst Franziskus zwei Mal Wort für Wort und Zeile für Zeile gelesen. Sein Urteil lautet: „State of the Art“. Die Enzyklika ist für ihn in jedem Bereich auf neuestem Stand; und es sei essentiell, dass sich die Wissenschaft verstanden fühle, so der Potsdamer Forscher, der sich selbst als Agnostiker bezeichnet.

Die beiden Welten von Religion und Wissenschaft werden in der Enzyklika zusammengebracht. Schellnhuber unterstreicht, dass sie sich nicht widersprechen; sie können nur gemeinsam „der Komplexität der Schöpfung gerecht werden.“ Er findet in dem Werk eine neue Ökologie, die sogar poetische Stellen aufweise.

„Ich würde vor allem außerordentlich herausstreichen: Wenn wir die zwei wichtigsten Probleme des 21. Jahrhunderts bewerten und angehen wollen (Zerstörung unser lebensstützenden Systeme, der Natur und eine himmelschreiende Ungerechtigkeit und Ungleichheit zwischen den Menschen), dann wird dies nur gelingen, wenn wir die zwei wichtigsten Dinge der Menschheit in die Waagschale werfen, nämlich Glaube und Moral auf der einen Seite und auf der anderen Seite Vernunft und Ingenuität, Innovation, Einfallsreichtum und Fantasie. Ich finde es phänomenal! Ich finde es außerordentlich wichtig, dass diese beiden Welten in der Enyzklika zusammengebracht werden.“

Mit Blick auf die politischen Klimadebatten und die vergangenen Konferenzen sowie die kommende 21. UN-Klimakonferenz in Paris rät der Experte zu einem „langen, aber nicht allzu langen Atem“. Bei dem G-8 Gipfel 2007 in Heiligendamm hatten sich die deutsche Regierung und weitere Gipfelteilnehmer für die Minderung von Treibhausgasemissionen und für den Ausbau erneuerbarer Energien eingesetzt. Bis 2020 sollte der Anteil von Solarenergie, Windkraft und Biomasse am gesamten Energieverbrauch der G8-Staaten wesentlich ausgeweitet werden. Heute haben jedoch einige dieser Länder mehr Treibhausgase produziert als davor.

„Der Atem darf nicht zu lange sein, wir  können nicht ein Jahrhundert warten! Aber ich kann nicht über Nacht, oder in einem Monat oder zwei Monaten, erwarten, dass …das ‚Narrativ der Moderne‘ plötzlich umgeschrieben und umgedichtet wird. Das ‚Narrativ der Moderne‘ war seit der industriellen Revolution die Ausbeutung der Ressourcen dieses Planeten. Entwicklung bedeutet, immer mehr Menschen an dieser Ressourcenausbeutung teilhaben zu lassen. Wir sehen aber, dass das nicht funktioniert! Dass die Ungleichheit der Menschen größer wird.“

Dass bei dem letzten G7-Gipfel auf Schloss Elmau die „Dekarbonisierung der Weltwirtschaft“, also die kohlenstoffarme Weltwirtschaft als Jahrhundertziel festgesetzt wurde, zeige, dass es „eine Wende um 180 Grad“ in der Klimapolitik gebe. Der Klimaexperte rät: „Wenn wir über historische Veränderungen reden, dann dürfen wir dann nicht im Stundentakt weltbewegende Ereignisse erwarten. Wenn die Wende zur Nachhaltigkeit über 20 oder 30 Jahre gelingt, dann ist es immer noch in Ordnung!“

Dass eine Überbevölkerung der Welt das Problem sei und eine Bevölkerungsbegrenzung/ -kontrolle eine mögliche Lösung des Klimaproblems sein könne, sieht Papst Franziskus als einen komplett falschen Lösungsansatz an. Schellnhuber hält diese aus der USA stammende Debatte für veraltet. „Schreckliche Begriffe und unwürdige Terminologien“ wie „Bevölkerungsexplosion“ oder „population bomb“ kenne man aus den 60er Jahren, sagt er gegenüber Radio Vatikan.

„Es sind nicht die armen Massen, die das Klima verändern, es ist der Konsum der Reichen. Die ärmste Milliarde der Menschen trägt quasi nichts zur Veränderung des Klimas bei. Nichts. Es ist das oberste Segment. Und wenn wir die demographische Entwicklung ansehen, dann wird sich ohnehin die Menschheit stabilisieren. Vielleicht bei neun, zehn Milliarden wird der demographische Übergang greifen. Bevölkerungskontrolle ist ein schrecklicher Begriff an sich, und gar nicht durchführbar. Wir sehen, was in China passiert: die Überalterung der Gesellschaft durch die Ein-Kind-Politik. Aber es ist vor allem aus klimapolitischer Sicht überhaupt nicht notwendig. Aus Klima-Sicht ist es ganz eindeutig nicht das Gewicht der Menschen auf der Erde, das das Problem verursacht, sondern der Konsum und die Verschwendung der Reichen!“

Wohlstand für alle? Nein: Katastrophe für die Mehrheit

Der Potsdamer Klimaforscher gehörte zu den ausgewählten Persönlichkeiten, die die neue Enzyklika am Donnerstag der Presse in Rom vorstellten. Dabei betonte er, dass sich Wissenschaft und Papst einig seien: Es sei höchste Zeit zu handeln. Der menschlich verursachte Klimawandel führe zu „plötzlichen, unumkehrbaren und weitreichenden Störungen“ des weltweiten Ökosystems. Das aktuelle Entwicklungsmodell beizubehalten, werde keinen „Wohlstand für alle“ bedeuten, sondern eine „Katastrophe für die Mehrheit“, prognostizierte er.

Der Wissenschaftler bestätigte in seinem Vortrag eine Grundaussage des Papstes in der Enzyklika: Die Armut in der Welt und der Klimawandel müssen parallel angegangen werden. Die wirtschaftliche Entwicklung und die Nutzung fossiler Brennstoffe habe seit der industriellen Revolution eine „doppelte Ungleichheit“ produziert: Arme Teile der Weltbevölkerung seien nicht nur vom Fortschritt ausgeklammert worden, sondern bis heute diejenigen, die am stärksten unter den Folgen des Klimawandels litten.

Die Armen als erste Opfer des Klimawandels hätten aber keine Stimme: Sie seien aufgrund des eingeschränkten Zugangs zu Bildung nicht über dessen tiefere Ursachen informiert, lebten in Gegenden mit mangelnden Infrastrukturen und hätten keine Mittel, den Folgen des Klimawandels angemessen zu begegnen.

Technisch und wirtschaftlich sei es heute möglich, diesen beiden großen Herausforderungen zu begegnen: die globale Erwärmung unter 2 Grad zu halten und Entwicklung für die Armen zu leisten. Der Umstieg auf saubere Energien sei machbar, so Schellnhuber, der hier ausdrücklich Sonnen- und Windkraft nannte.

Ein hartes Stück Arbeit im Vatikan

Schellnhuber war von Anfang an am Zustandekommen der Enzyklika beteiligt. Alle vier entscheidenden Treffen hat er mitgestaltet, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" am Donnerstag berichtete. Für den Wissenschaftler ist die Veröffentlichung der Papst-Schrift ein historisches Ereignis: „G7-Gipfel gibt es jedes Jahr, eine Umweltenzyklika hat nun nach fast zweitausend Jahren römischer Kirche Premiere."

Der Physiker erwartet von der Enzyklika „Laudato si" einen „enormen Rückenwind" für eine weltweite Bewegung gegen den Klimawandel. Auch die Religionen sollen in das mühsame Ringen um Klimaschutz und Entwicklung eingebunden werden. „Es war ein hartes Stück Arbeit, die Erkenntnisse der Wissenschaft so aufzubereiten, dass im Vatikan das Klimaproblem jetzt so sehr viel besser verstanden wird", räumte er im Gespräch mit der Zeitung ein. Denn einige Kräfte im Vatikan hätten versucht, die „alte klima-skeptische Haltung zu bewahren und in die Enzyklika einzubauen". Doch der Papst habe eindeutig „den wissenschaftlichen Konsens zum Klimawandel anerkannt".

(rv/kna) 18.06.2015 ord/no/pr)

 








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