2015-05-20 12:33:00

ILO: „Globalisierung braucht soziale Komponente“


Die „soziale Komponente“ geht der Gesellschaft verloren, und das weltweit. Der aktuelle Jahresbericht der internationalen Arbeitsorganisation ILO stellt fest, dass drei Viertel aller Erwerbstätigen weltweit in unsicheren Jobs arbeiten, in befristeten Beschäftigungen, informellen Jobs oder in unbezahlter Familienarbeit. Man spricht von einer Zunahme der globalen Einkommensunsicherheit. Der ILO-Arbeitsmarktfachmann Ernst Ekkehard sagte uns:

„Seit der Krise hat sich vieles zum Schlechteren entwickelt. Wir hatten 2007/2008 darauf hingewiesen, dass global gesehen die Armut abnimmt, die unsicheren Arbeitsverhältnisse weniger werden. Dieses Phänomen ist seit 2008 abrupt zum Stillstand gekommen - und dreht sich in bestimmten Ländern wieder ins Gegenteil. Wir sehen in vielen Entwicklungsländern eine massive Zunahme an ungesicherten Beschäftigungsverhältnissen."

Was folgt daraus? Soziale Ungleichheit und Armutsrisiko nehmen zu. „Und da sehen wir eben auch deutliche Unterschiede beispielsweise in sehr entwickelten Ländern wie Deutschland, Frankreich, Italien und USA auf der einen Seite und den unterentwickelten Ländern. Gerade in Afrika, aber auch in Asien, wo das Phänomen der befristeten und sehr unsicheren Jobs noch wesentlich mehr Menschen betrifft als bei uns."

Nur zwei von zehn Erwerbstätigen haben in Asien oder Afrika einen stabilen Job. In entwickelten Ländern könnten wenigsten acht von zehn einer stabilen Tätigkeit nachgehen. Papst Franziskus ist das Thema menschenwürdige Arbeit ein besonderes Anliegen, das er in vielen Schattierungen vorlegte, so bei seiner Rede im Europarat oder bei der historischen Erklärung von Spitzenvertretern unterschiedlicher Religionen zum Kampf gegen Menschenhandel im vergangenen Jahr. Menschenhandel und neue Formen von Sklaverei kommen zwar im ILO-Jahresbericht nicht direkt vor, so Ernst Ekkehard, „aber diese beiden Phänomene, diese unsichere Arbeitsverhältnisse und die teilweise ausbeuterische Arbeitsverhältnisse in denen manche Menschen stehen, sind natürlich sehr stark miteinander verbunden. Gerade weil Menschen in bestimmten Regionen wenig Rechte haben, werden ihnen teilweise von ihren Arbeitgebern selbst die Rechte, die sie eigentlich hätten, noch vorenthalten. Das fängt damit an, dass viele, obwohl es einen Mindestlohn gibt, gar keine Möglichkeit haben, den zu beziehen oder einzuklagen. Etwa in Indien. Dort gibt es einen Mindestlohn, aber der wird nur von wenigen Menschen überhaupt bezogen, und das hängt damit zusammen, dass die Menschen in keinen sicheren Arbeitsverhältnissen stehen."

Der aktuelle Bericht der ILO umfasst mehr als 180 Staaten und 84 Prozent der global beschäftigten Menschen. Man fragt sich, inwiefern auch die kontinuierlichen Flüchtlings-Katastrophen hier eine Rolle spielen?

„Man muss festhalten, dass viele Flüchtlingsströme bei uns nicht ankommen. Die 230 Millionen Migranten, die es in der Welt gibt, von denen viele Flüchtlinge in der Welt sind, die sind großenteils in ihren Nachbarländern untergekommen. Nur ein kleiner Prozentsatz aus Syrien oder Libyen kommt überhaupt bei uns in Europa an. Sicherlich sind diese Menschen als erstes davon betroffen, in unsicheren Arbeitsverhältnissen zu stehen. Aber insgesamt ist das nur ein kleiner Teil."

Die Lösung oder die Schlussfolgerung sieht laut Ekkehard folgendermaßen aus: die Nachfrage muss global gestärkt werden, und alle Menschen müssten Zugang zu sozialen Sicherungssystemen haben, also zu Renten-, Gesundheits- und Arbeitslosenversicherung.

„Und zum dritten, das zeigt eben der Bericht auch, dass die Globalisierung bisher nicht richtig funktioniert. Sie war eigentlich dazu gedacht gewesen, den Wohlstand in weitere Länder weiterzugeben. Wir müssen auch in diesem Bereich der Globalisierung darauf drängen, dass Arbeitsnormen in den internationalen Handelsversträgen stärker berücksichtigt werden, um zu garantieren, dass dieser Wohlstand auch bei den ärmeren Bevölkerungsgruppen ankommt, also in Ländern wie im südlichen Afrika, Lateinamerika oder Asien. Nachfragestärkung, besserer Ausbau unserer sozialen Sicherungssystem und eine verstärkte soziale Komponente in der Globalisierung."

(rv 20.05.2015 no)








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