2015-05-04 14:27:00

Vatikan: Integration von Muslimen braucht Glaubenswissen


Muslime in Europa sind ein politisches Thema, das viele Zeitgenossen auf dem Alten Kontinent bewegt. Der päpstliche Rat für den interreligiösen Dialog hat sich in den Jahrzehnten seines Bestehens eine gewisse Expertise zu dem Thema erarbeitet. Eine der großen Herausforderungen, wenn man von Integration und Dialog von Muslimen in Europa spricht, ist das sich verdünnende Glaubenswissen auf der Seite der Europäer: fehlendes Wissen sowohl über das Christentum als auch über den Islam. Das sagt der aus Wien stammende Priester Michael Weninger, der am Päpstlichen Dialograt für den Bereich Islam in Europa zuständig ist. Gudrun Sailer sprach mit Michael Weninger.

Michael Weninger: „Auch auf Seiten derer, die einem solchen interreligiösen Dialog sehr wohlwollend gegenüberstehen, mangelt es sehr oft an religiösem Wissen und daher auch an dem entsprechenden Vokabular. Was weiß heutzutage ein durchschnittlicher Gläubiger von seinem eigenen Glaubenswissen? Was weiß einer über den Glauben des anderen? Und auch umgekehrt? Da stoßen wir direkt an eine Grenze, wo der interreligiöse Dialog ziemlich krankt, nämlich die Sprachlosigkeit der Partner. Sie können ihre eigenen Probleme nicht adäquat in Worte fassen und nicht in entsprechender Weise kommunizieren. Das gilt auch für die politische Ebene. In vielen politischen Kreisen fehlt das Wissen über die verschiedenen islamischen Traditionen und so fort. Dennoch muss über interreligiöse Probleme auch diskutiert, verhandelt und gesprochen werden. Und das ist eines der großen Probleme. Da versuchen wir ausgleichend zu wirken, indem wir Kurse, Ausbildungsprogramme und Informationsveranstaltungen anbieten, sodass wir über die islamischen Traditionen mehr Kenntnisse haben - aber natürlich auch über unsere eigene religiöse Position als Christen.“

Radio Vatikan: Ein Schreckgespenst, das in vielen Debatten auftaucht, ist das der „Islamisierung Europas“. Ist so etwas, nüchtern betrachtet, wirklich zu befürchten?

Weninger: „Die Frage ist, was man darunter versteht. Es gibt einerseits in Europa seit Jahrhunderten Muslime, fest steht aber auch, dass wir neben diesem genuin europäischen Islam seit den späten 60er Jahren - die Zeit der Gastarbeiter - einen stetig anwachsenden Strom an muslimischen Immigranten sehen. Dieser Strom wächst kontinuierlich, oder eigentlich progressiv an, mit allen damit verbundenen Schwierigkeiten. Nachprüfbare Ziffern gibt es nicht, aber es gibt gesicherte Schätzungen – man spricht heute von fünf bis sechs Prozent muslimischer Bevölkerung einer gesamteuropäischen Bevölkerung. Wir haben etwas mehr als 500 Millionen Bürger in der Europäischen Union, sodass wir etwa 25 oder 30 Millionen muslimische Bürger in der Europäischen Union haben.“

Radio Vatikan: Wobei ja nicht allein die Zahl ausschlaggebend ist, sondern die Art und Weise von Integration oder eben nicht Integration…

Weninger: „Das Bild, das die einzelnen islamischen Traditionen in der Europäischen Union abgeben, ist ein sehr heterogenes. Nicht nur, dass wir sämtliche islamische Traditionen in der Europäischen Union vorfinden, die es überhaupt gibt. Sämtliche gesellschaftspolitische Vorstellungen, die es in dieser Welt gibt, werden auch durch den Zuzug in die Europäische Union hineingetragen: von der Monarchie, wie zum Beispiel in Saudi-Arabien, zur Theokratie, wie im Iran, bis zur Demokratie in zum Beispiel Indonesien. Und mit diversen Zwischenformen. Also all diese Traditionen und gesellschaftspolitischen Erfahrungen werden durch den Zuzug in die Europäische Union mit hineingenommen. Dann müssen wir auch sehen, dass es keine hierarchischen Strukturen gibt. In der katholischen Kirche haben wir an der Spitze den Heiligen Vater, und dann gibt es die verschiedenen hierarchischen Ebenen. Alles das gibt es in der islamischen Welt nicht. Übrigens ist das ein ganz großes Problem auch beim interreligiösen Dialog. Erschwerend kommt dazu, dass es auch auf der horizontalen Ebene eine Vielzahl von muslimischen Organisationsformen gibt und eine große Summe unterschiedlicher, mitunter sehr divergierender, Institutionen und Organisationen. Nicht jeder wird sich vielleicht auch integrieren wollen; es gibt eine Reihe von Muslimen, die vielleicht nur eine gewisse Zeit in Europa leben und dann wieder in die Herkunftsstaaten zurück gehen wollen. Worum es hier in Wahrheit geht, ist, die unterschiedlichen Vorstellungen und Traditionen, die mit hinein in die Europäische Union getragen werden, in eine gewisse Harmonie zu bringen.“

Radio Vatikan: Der Dialog zwischen den Religionen im Sinn einer fruchtbaren Zusammenarbeit ist eins der Hauptanliegen des Dialogzentrums Kaiciid in Wien – eine junge Einrichtung, die immer wieder politisch in der Kritik stand unter anderem mit dem Vorwurf, es werde dort nicht gut genug gearbeitet. Wir erinnern, Gründungsmitglieder sind unter anderem der Heilige Stuhl und Saudi-Arabien, das die Einrichtung zum Großteil finanziert. Sehen Sie heute die Arbeit dieses Zentrums auf einem guten Weg?

Weninger: „Wir dürfen nicht vergessen, dass es sich beim König-Abdullah-Zentrum für interreligiösen und interkulturellen Dialog um eine sehr junge Einrichtung handelt. Eine Einrichtung, die geradezu sensationell ist, denn mit dem Kaiciid in Wien verfügt die Welt zum ersten Mal in der Geschichte wahrscheinlich überhaupt über eine internationale Organisation für den interreligiösen Dialog. Es ist auf völkerrechtlicher Grundlage gegründet, völkerrechtlichen Prinzipien verbunden, aber für die Religionen eigens geschaffen und für die großen Kulturen geschaffen. Und das ist etwas völlig Neues. Aber wenn die Entwicklung sich so vollzieht, wie es derzeit den Anschein hat, bin ich eigentlich voller Optimismus. Was heißt das? Aufnahme weiterer Mitglieder, das wurde auch beschlossen, und es gibt ja eine Reihe von Staaten, die ihr Interesse angemeldet haben, Mitglied zu werden. Also es müssen neue Mitglieder aufgenommen werden, damit die Arbeitsbasis vergrößert wird. Auf Grundlage der vermehrten Mitgliederzahl können auch die finanziellen Belastungen anders verteilt werden und auf mehrere, viel mehr Mitgliedsstaaten, als es derzeit der Fall ist, auch die Arbeitsstruktur wird sich durch die Zahl der Mitglieder verändern. Noch dazu haben wir es beim Kaiciid mit einer sehr schlanken Organisation zu tun. Derzeit arbeiten dort 45 Mitarbeiter. Also ich denke doch, dass es hier mit den auch vor wenigen Tagen erst getroffenen Entscheidungen eine sehr gute Ausgangsbasis gibt. Zusätzlich sehe ich Chancen, dass wir es in relativ kurzer Zeit mit einem Zentrum zu tun haben, das weltweit vermehrt Aufsehen, positives Aufsehen erregen wird.“

(rv 04.05.2015 gs)








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