2015-04-27 09:00:00

Flüchtlingskrise: „Wir versagen vor der Geschichte“


Idyllisch, so eine Messe direkt am Mittelmeer! Nur dass die Messe, die Bischof Domenico Mogavero am Sonntagabend vor der Kirche ‚San Vito a mare’ feierte, nichts mit Tourismus zu tun hat, sondern mit Bootsflüchtlingen. Der Bischof von Mazara del Vallo wollte mit der Messe an die vielen Flüchtlinge erinnern, die bei der Überfahrt nach Europa ihr Leben gelassen haben und immer noch lassen. „Das ist eine Initiative, die sich dadurch auszeichnet, dass sie direkt am Ufer stattfindet: mit dem blick auf dieses Meer, das von hier aus wie ein Ort der Hoffnung wirkt, in Wirklichkeit aber für viele, und auf immer dramatischere Weise, ein Grab bedeutet. Wir beten an diesem Meer; wir hoffen, dass durch unser Gebet ein Fünkchen Hoffnung diese Toten erreicht.“

Hoffnung für die Toten – bei den Lebenden lässt sich, so scheint der Bischof zu denken, derzeit nicht so viel erreichen. „Angesichts der Tatsache, dass die Zahl der Opfer eines einzelnen Schiffbruchs die Zahl hundert streift, sollten wir so vernünftig und schamhaft sein, etwas weniger zu reden“, hat er in seiner Einladung zur Sonntagabendmesse formuliert. Geredet wird nämlich seiner Ansicht nach zuviel über das Thema Flüchtlinge: „Ja! Und leider hören wir da wirklich schwerwiegende Worte – Worte, die unseres Menschseins und nicht nur unseres Christseins unwürdig sind. Das alles tut weh! Soviel Mangel an Sensibilität, so viele verschlossenen Augen, so viele verhärtete Herzen angesichts des Leidens dieser Männer, Frauen und Kinder, die nicht kommen, um uns um etwas Brot zu bitten oder um uns unsere Arbeitsplätze wegzunehmen – nein, sie wollen nur Respekt vor ihrer Würde und ihrem Leben! Sie haben die schlimmsten Gräueltaten erlebt, die man nur mit denen der großen totalitären Regimes des zwanzigsten Jahrhunderts vergleichen kann. Ich glaube, in dieser Lage müssen wir Menschen und Christen wirklich einen Widerstandskampf beginnen, um unser Land von jedem Aufbäumen der Unmenschlichkeit zu befreien! Hier geht es nicht um Wirtschaft oder um Religion, sondern um Zivilisation, um Rechte, um einen neuen Humanismus. Wenn wir das nicht machen, dann hat alles, was wir sagen oder tun, überhaupt keinen Sinn mehr.“

Trotzdem auch an Bischof Mogavero die Frage, auf die auch die EU-Staats- und Regierungschefs mit ihrem Sondergipfel letzten Donnerstag keine völlig zufriedenstellende Antwort gefunden haben: Wie ließe es sich denn lösen, das Problem der Überfahrten im Schlauchboot, der Verzweifelten und der Toten zwischen Libyen und Sizilien? „Die einzige logische Lösung ist die, bei den Gründen anzusetzen, nicht bei den Symptomen. Diese Idee, potentielle Flüchtlingsboote zu bombardieren, und Ähnliches, was da mehr oder weniger ernsthaft vorgebracht wird – ich bitte um Entschuldigung für den Vergleich, aber auf mich wirkt das so, wie wenn jemand hohes Fieber hat und das Problem lösen will, indem er das Thermometer kaputtschlägt! Jeder kann auf seinem Platz etwas tun: Wir als Kirche können, abgesehen von der Aufnahme der Flüchtlinge, zu einer echten Globalisierung erziehen. Wenn wir Augen und Herz verschließen, dann wird uns das nicht nur ein sehr schlechtes ethisches und menschliches Zeugnis einbringen, sondern wir versagen dann auch vor dem Gericht, das die Geschichte einmal über unsere Zeit halten wird, wenn sie die Fakten und Worte – und vor allem die Unterlassungen – untersuchen wird.“

 

(rv 27.04.2015 sk)








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