2015-04-20 13:57:00

Franziskus empfängt europäische Rabbiner


Papst Franziskus hat bei einer Audienz für europäische Rabbiner gegenwärtige antisemitische Tendenzen und Akte in Europa beklagt. „Jeder Christ kann nur darauf beharren, jede Form von Antisemitismus abzulehnen und dem hebräischen Volk seine Solidarität zu zeigen“, sagte Franziskus. Er bezog sich damit auf die Attentate der vergangenen Monate auf jüdische Einrichtungen in Paris oder Kopenhagen; allein Frankreich verzeichnete 2014 doppelt so viele antisemitische Straftaten wie im Vorjahr.

Franziskus verwies auf die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor siebzig Jahren und forderte, die Tragödie der Shoah im Herzen Europas müsse ein Mahnmal für jetzige und für künftige Generationen bleiben. Zugleich müssten auch „überall Hass- und Gewalttaten gegen Christen und Angehörige anderer Religionen verurteilt werden“, so der Papst. Er verwies auf die nahezu fünfzig Jahre des systematischen christlich-jüdischen Dialogs seit der Konzilserklärung „Nostra Aetate“ und würdigte die erzielten Fortschritte und die heute bestehende freundschaftliche Beziehung.  

Franziskus forderte die europäischen Rabbiner dazu auf, gemeinsam mit Christen für den Schutz des Lebens und die Präsenz der Religion in der Gesellschaft einzutreten. Die Gesellschaften des Kontinents seien immer mehr von „Säkularismus und von der Drohung des Atheismus“ gezeichnet und der Mensch oft in der Versuchung, sich selbst an die Stelle Gottes zu setzen. „Juden und Christen haben die Gabe und Verantwortung, dazu beizutragen, den Sinn für Religion bei den Menschen und in der Gesellschaft lebendig zu erhalten, indem sie die Heiligkeit Gottes und des menschlichen Lebens bezeugen: Gott ist heilig, und heilig und unantastbar ist das Leben, das er schenkt.“

Der Papst drückte auch seine Anteilnahme am Tod des langjährigen römischen Oberrabbiners Elio Toaff aus, der am Sonntag im hohen Alter verstorben war. Er beendete seine Ansprache mit der Bitte an die Rabbiner, für ihn zu beten.

Es handelte sich um die erste Audienz der europäischen Rabbinerkonferenz beim Papst. Präsident der Vereinigung ist Pinchas Goldschmidt. Der Oberrabbiner von Moskau benannte bei der Audienz vor dem Papst die Schwierigkeiten vieler Juden in Europa mit einem drastischen Bild. „Zwei Züge rasen immer schneller aufeinander zu, und auf dem Gleis stehen wir, die Juden, und wissen nicht, welcher Zug uns zuerst zerschmettert.“ Der erste Zug, das seien die Attentate auf Juden durch radikalisierte muslimische Einwanderer in Europa. Der zweite Zug sei die Reaktion des säkularen alten Europa auf diesen muslimischen Radikalismus, so Goldschmidt: „Statt die Radikalen zu bekämpfen, reagierte das alte Europa mit einer Attacke auf den Islam“, indem es das Minarett, das Kopftuch und die Beschneidung ächte. Das europäische Judentum riskiere, hier zum „Kollateralschaden“ der antimuslimischen Offensive zu sein.

Goldschmidt dankte dem Heiligen Stuhl und den katholischem Gemeinden Europas für ihren Einsatz im Sinn der Religionsfreiheit. Auch stehe man gemeinsam für einen Kampf gegen die Gefahren eines radikalen Islam ein, „der eine Bedrohung nicht nur für uns, sondern für die ganze Welt“ geworden sei. Als russischer Rabbiner kam Goldschmidt auch auf den Konflikt mit der Ukraine zu sprechen, der Zehntausende von Menschen in die Flucht geschlagen habe. Sanktionen und Gegensanktionen hätten für die Bevölkerungen in Russland wie in der Ukraine zu „großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten“ geführt. Er sehe auch die Gefahr einer „neu hochgezogenen Mauer zwischen Ost und West“, fuhr Goldschmidt fort. „Wer hätte vor 25 Jahren gedacht, dass der Osten der Verteidiger traditioneller religiöser Werte werden würde, während der Westen einen Säkularismus annimmt, der ihn von seinem jüdisch-christlichen Erbe wegführt?“, fragte der Rabbiner. Der Papst sei in einer einzigartigen Lage als Oberhaupt der westlichen Christenheit; er könne „Gottes Gesandter“ sein, um Ost und West „vom Rand des Krieges zurückzuholen“.

(rv 20.04.2015 gs)








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