2015-04-17 08:58:00

Flüchtlingsdrama vor Italien: „Das geht ganz Europa an“


Stadtverwaltungen, überholte Strukturen und der fehlende Wille Europas: Das sind die größten Hindernisse bei der Hilfe für Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Europa kommen. Das sagt im Interview mit Radio Vatikan Kardinal Francesco Montenegro, der Erzbischof von Agrigent, zu dem Lampedusa gehört. Afrika sei ein leidender Kontinent, man könne nicht erwarten, dass die Flüchtlingsströme bald aufhörten, so Montenegro. Aber um die Ursachen für die Tragödien zu sehen, dürfe man nicht nur über das Meer schauen: „Wir hier sind auch verantwortlich für das Drama, wenn die Politiker Italiens und vor allem Europas sich entscheiden, das Problem nicht so anzugehen, wie man es müsste! Dann weinen wir weiter und sehen immer wieder die Toten, während wir aber passive Zuschauer bleiben.“

Vor einigen Tagen war ein Flüchtlingsboot auf der Überfahrt gekentert; über 140 Flüchtlinge konnten gerettet werden, aber 400 werden noch vermisst. Der Strom der Flüchtlinge reißt nicht ab, und auch nicht die Katastrophen, bei denen immer mehr Menschen ums Leben kommen.

Natürlich seien die Menschen in Sizilien über die vielen Flüchtlinge nicht begeistert, aber sie nähmen sie dennoch auf. Er verstehe allerdings nicht, warum einige Beamte Widerstand leisteten. „Wir können doch nicht einfach die Türen schließen und ihnen sagen ‚Geht weg!’ Wir müssen die Augen öffnen und wahrnehmen, dass hier eine neue Situation entstanden ist, der wir mit einer Struktur begegnen müssen. Einfach ‚Nein’ zu sagen ist der falscheste Umgang mit diesem Problem!“

Die Regionen im Süden Italiens bräuchten dringend Hilfe, so der Flüchtlingsbeauftragte der Caritas Italiens, Olivero Forti. „Die Lage ist sehr schwerwiegend, es ist genau das eingetreten, was die Regierung und auch viele Organisationen vorausgesagt haben. Wir nehmen viele Menschen auf, aber die Kapazitäten sind erschöpft, weil immer noch die Menschen da sind, die schon 2014 hierher gekommen sind. Unsere Verfahren zur Anerkennung von Flüchtlingen sind zu langsam! Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen einen legalen Status bekommen.“ Auch Forti beklagt sich über die mangelnde Kooperation einiger Teile Italiens, so nehme der Norden im Vergleich zum Süden des Landes viel zu wenig Flüchtlinge auf. Ein Beispiel unter vielen: Das Aostatal liess am Donnerstag wissen, es habe derzeit die Kapazität zur Aufnahme nur eines einzigen Flüchtlings.

Der Umgang mit den Flüchtlingen auf dem Meer habe sich sehr verschlimmert, seit Europa die Aktion „Mare Nostrum“ in „Triton“ verwandelt habe und diese damit von einer Hilfsaktion zum Küstenschutz geworden sei. „Wir verlangen, dass wir wieder zu einer Aktion wie „Mare Nostrum“ zurückkehren, die wenigstens besser dafür sorgen kann, dass die Menschen hier ankommen und nicht auf dem Meer sterben.“

Die Flüchtlingsfrage sei ein Ergebnis einer Kultur, die Geld und Wirtschaft und nicht den Menschen ins Zentrum stelle, so Kardinal Montenegro. Und auch er weist auf den Kern des Problems: Italien alleine sei überfordert. „Wir müssen dieses Problem gemeinsam angehen. Aber wenn Europa nicht das Seine tut, dann kann Italien alleine diese Notlage nicht beheben. Die Menschen, die hierher kommen, wollen ja nicht hier bleiben, das sind Menschen, die in andere Teile Europas wollen. Das geht ganz Europa an!“

 

(rv 17.04.2015 ord)








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