2015-04-07 10:38:00

Kirchliche Soziallehre kann in Osteuropa helfen


Ukraine, Weißrussland, baltische Staaten und andere: Viele Länder Osteuropas machen in diesen Jahren gewaltige Umbauprozesse durch. Die Jahrzehnte kommunistischer Herrschaft sind überwunden, doch gesellschaftlich und wirtschaftlich sind diese Länder in einer heiklen Phase. Die katholische Soziallehre könnte diesen Gesellschaften helfen, das Wirtschaften menschengerechter zu gestalten, sodass auch die ärmeren Schichten davon profitieren. Soziale Marktwirtschaft also - und dabei kann die katholische Soziallehre helfen. Davon ist der Priester und Moraltheologe Peter Schallenberg überzeugt. Er leitet die Katholische Sozialwissenschaftliche Zentralstelle und ist im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz damit beschäftigt, die katholische Soziallehre in Osteuropa bekannter zu machen. Jüngst organisierte er dazu eine Konferenz in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Gudrun Sailer sprach mit dem Sozialethiker.

„Die Idee ist, in verschiedenen Ländern Osteuropas – Ukraine, Weißrussland, baltische Staaten, Georgien, Rumänien, Bulgarien, in diesen Ländern, die Transformationsprozesse durchmachen, den Beitrag der Kirche und der Soziallehre zu verdeutlichen für das, was soziale Marktwirtschaft bedeutet. Denn sonst besteht die Gefahr, dass es einfach irgendeine Marktwirtschaft wird, eine Form von oligarchischer freier Wirtschaft, und das entspricht nicht dem christlichen Menschenbild.“

Muss man bei Null anfangen, was die Kenntnis der Soziallehre angeht, oder gibt es einen Sockel?

„Das ist unterschiedlich. Man fängt nicht bei Null an, aber es ist schon zu spüren, das große Interesse an den Verbindungen von Soziallehre und sozialer Marktwirtschaft. Was bei uns in Deutschland, Österreich und der Schweiz ganz normal ist, dass Christen bei der Erstellung der demokratischen Rechtsordnung und der Marktwirtschaft nach dem Krieg mitgewirkt haben, das ist da doch zum Teil sehr verschüttet, dieses Wissen."


Die katholische Soziallehre ist noch keine alte Lehre, sie entstand im späten 19. Jahrhundert und hat sich nach dem II. Weltkrieg voll entfaltet. Das sind Prozesse, die man mit bedenken muss, das Historische und in Westeuropa Verflochtene, wenn man über Soziallehre in Osteuropa spricht…

„Genau, und deswegen muss man in den unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Traditionsstränge oder Voraussetzungen bedenken. In der Ukraine ist es von West nach Ost eine sehr unterschiedliche Ausgangslage. Der Westen, früher nach Polen orientiert und Teil des Habsburgischen Reiches gewesen, nach Osten viel stärker von der orthodoxen Theologie geprägt, die orthodoxe Theologie hat bis heute nie systematisch eine eigene Sozialdoktrin ausgebildet, ähnlich schwierig ist die Situation in Weißrussland. In Bulgarien, da wollen wir als nächstes hin mit der Adenauer-Stiftung, da gibt es bereits gute Anfänge mit der Bildung eines christlichen Unternehmerverbandes, auch da eine ganz kleine katholische Minderheit, große Teile sind orthodoxe – da kann man allerdings aufbauen auf das Wirken von Roncalli, der damals Delegat war – also in jedem Land ist die Lage anders. Insgesamt kann man sagen, was bei uns in West- und Mitteleuropa seit Rerum Novarum [der päpstlichen Sozialenzyklika 1891] eine einheitliche Linie, eine konsequente Linie gewesen ist der Entwicklung der Soziallehre, das ist in dieser Weise nicht vorauszusetzen.“

Sehen Sie in Osteuropa auch gesellschaftliche Widerstände gegen die christliche Soziallehre?


„Bisher scheint mir das wenig der Fall, aber vielleicht liegt das daran, dass sich die bei uns nicht bemerkbar machen. Eher sehe ich doch eine große Bereitschaft, etwas zu tun für den Aufbau von Ökonomie und Zivilgesellschaft, auch in der Ukraine, weil man nach Europa will, weil man sich als Teil Europas empfindet. Da ist eine große Bereitschaft, diesen ausgestreckten Armt und die Hand der Kirche zu ergreifen.“

War das immer so?

„Nun, bei einem der ersten Besuche in Kiew und Charkow kann ich mich erinnern, da hat man etwas Reserve feststellen können von älteren Generationen in Bezug auf das Konzept der sozialen Marktwirtschaft, weil man es mit anarchischen Zuständen eines völlig freien Wettbewerbs, eines unregulierten Wettbewerbs, eines am Ende eigensüchtigen wirtschaftlichen Verhaltens, verwechselt hat. Und da ist natürlich wichtig, deutlich zu machen, was ist der ethische Markenkern dessen, was wir soziale Marktwirtschaft nennen. Nicht einfach ein angelsächsisches Modell, freier Liberalismus, ungezügelter Kapitalismus, sondern schon eine regulierte Form von Marktwirtschaft, natürlich mit der Freiheit des Unternehmertuns, mit der Vereinigungsfreiheit, mit Tarifautonomie, Autonomie der Berufsausbildung, aber doch mit einem gesetzgeberischen Rahmen, der dafür sorgt, dass Menschenrechte, Arbeitsrechte, Arbeitsschutz gewährleistet sind.“


Was ist für die Menschen in Osteuropa das Attraktive an der christlichen Soziallehre?


„Vordergründig Wohlstand. Die Länder sehen durch die Medien und die Reisemöglichkeit, was es im Westen gibt und wie geht es uns. Aber das bleibt nicht einfach auf der Ebene des materiellen Wohlstands, sondern das bündelt sich im Begriff der Freiheit. Die Freiheitsrechte ergreifen zu können, das war ja das Versprechen nach dem Zusammenbruch des Kommunismus, und diese Freiheitsrechte [sind noch nicht verwirklicht], das sieht man jetzt - das große Stichwort in der Ukraine ist jetzt Oligarchie. Jedes dritte Wort ist: die Oligarchen. Die, die ihre Schäfchen rechtzeitig ins Trockene gebracht haben, und deren Schäfchen jetzt sich kapitalisiert haben und viele Schäfchen geworden sind – und die anderen sinken ab. Und jetzt die Möglichkeit deutlich zu machen: Freiheit für jeden, für jede Bürgerin und jeden Bürger. Freiheit der Berufsausbildung, der Berufswahl, der Ausbildung überhaupt, der Schulbildung, Freiheit der Talententfaltung, so würden wir vielleicht sagen.“

Da gilt es also deutlich zu machen, das Versprechen der sozialen Marktwirtschaft ist nicht einfach ein kapitalistisches Versprechen, also das der Anhäufung von Konsumgütern, nicht?

„Genau. Das Versprechen der sozialen Marktwirtschaft ist wirklich die Entwicklung der Freiheitsrechteeiner jeden Person. Das ist das, was wir attraktiv machen können, und das entspricht der Personalität. Das Grundprinzip der katholischen Soziallehre lautet: Freiheitsrechte. Personalität, Solidarität, Subsidiarität, Gemeinwohl, das war ein wichtiges Stichwort in der Ukraine – was ist der Inhalt des Gemeinwohles – das ist nicht ein akkumuliertes Bruttosozialprodukt, sondern der Inhalt des Gemeinwohls ist: Grundrechte der Person auf Entfaltung ihrer Fähigkeiten. Dass der Staat die Aufgabe, die Pflicht hat, eine jede Person zu fördern, das ist das Versprechen des Rechtsstaates und des ökonomischen Modells der sozialen Marktwirtschaft.“

(rv 07.04.2015 gs)








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