2015-04-04 15:32:00

Beten 2.0: Ein Selbstversuch


Das Internet ist schon lange kein Neuland mehr, sondern Alltag, auch in Sachen Verkündigung. Das Bistum Essen zum Beispiel teilt die Ostergeschichte auf Whatsapp mit über 6.000 Nutzern. Auch die Bischöfe haben sich auf ihrer Frühjahrsvollversammlung mit dem Thema Social Media auseinandergesetzt. Und die Webseite Amen.de gehört zu den inzwischen zahlreichen medialen religiösen Angeboten. Diese Seite hat Pia Dyckmans für uns einmal – im Selbstversuch – ausprobiert.

„Amen.de – Gib deine Sorgen ab“ steht in großen Buchstaben und einem Ausrufezeichen oben links auf der Homepage. In der Mitte ein Zählerstand: 617.166 Gebete bei amen.de zeigt er an. Klickt man auf den Reiter „mitfreuen“ findet man sogenannte „erfolgreiche“ Gebetanliegen: „Danke, tausend Dank an Euch, Ihr Lieben! Es tat sich viel. Gott hat geholfen! Ich bin so froh, dies erfahren zu dürfen! Gott segne alle Menschen“, schreibt Domi-Yvonne.

Irgendwie finde ich das befremdlich. Menschen tragen ihr Gebetsanliegen im Internet vor, andere bekommen es als E-Mail, beten für einen und schreiben noch ein paar liebe Worte dazu. Klar, ich bete auch, aber andere und vor allem Fremde zu bitten, für mich zu beten, war mir schon immer ein wenig zu intim. Kann man das überhaupt?

Ich will es ausprobieren. Rufe die Seite amen.de noch einmal auf und tippe mein Gebetsanliegen ein: „Seit drei Monaten habe ich ein neues Leben gestartet. Neuer Job, neues Land, neue Sprache. Viele neue Eindrücke stürzen auf mich ein und oft bleibt keine Zeit, einfach mal anzukommen. Gib mir die Kraft das neue Leben an den Hörnern zu packen und neben der Arbeit schnell die Sprache zu lernen. Gib mir den Mut, aus meiner Wohlfühlzone herauszutreten und immer wieder Neues kennenzulernen.“

So, jetzt noch meine Mailadresse eintippen, und schon ist es abgeschickt. Die Redaktion hinter amen.de überprüft nun mein Anliegen, schaltet es frei und schickt es dann anderen Mitglieder, die sich haben eintragen lassen, eine gewisse Anzahl von Gebetsanliegen pro Tag oder pro Woche zu bekommen. Mal schauen, ob ich eine Rückmeldung bekomme.

Aber wie kommt man überhaupt darauf, etwas so Persönliches wie Beten online zu stellen? Rolf Krüger vom Bundesverlag ist einer der Initiatoren von amen.de. Die User von amen.de könne man in zwei Gruppen aufteilen, sagt er. Die eine hatte bisher noch keinen Kontakt zur Kirche oder zum Beten: „Das heißt, es ist etwas völlig Fremdes, aber irgendwie haben Menschen die Ahnung, da gib es jemanden, der vielleicht zuhört, dem ich meine Sorgen anvertrauen kann, nämlich Gott, aber ich weiß gar nicht, wie das geht. Und dann googeln sie, kommen auf amen.de und formulieren ihr Anliegen oder ihre Sorge.“

Aber es gibt auch schon routinierte Christen, die online beten. Sie nutzen das, was oft am Internet kritisiert wird, die Anonymität. „Man kennt das ja, Christen sind auch nur Menschen und quatschen in Gemeinden auch mal gerne. Da gibt es einfach Sachen, da sagen Leute, nein das möchte ich ungern den Menschen anvertrauen, die ich kenne. Deswegen mache ich es anonym bei amen.de.“ Seit zwei Jahren wurde schon über eine halbe Millionen Mal über amen.de gebetet. Knapp 3.000 Mitglieder hat die Plattform inzwischen. Mitglied sein bedeutet auch, für andere mitzubeten – nicht nur für sich selber. Ich frage mich, warum macht man das? Man braucht doch nicht das Internet für den Draht nach oben, theoretisch und auch praktisch brauch ich dafür auch kein Kirchengebäude. Gott ist doch überall. Liegt der Reiz für die User daran, dass andere Menschen mitbeten? Je mehr Beter, desto wirkungsvoller? Mein Gebet steht nun seit einem Tag online – Zwischenbilanz: acht Fremde haben für mein Anliegen mitgebetet, eine hat mir sogar eine Ermutigung geschrieben. Für mich wirkt es fast schon wie Facebook-Likes. Für Rolf Krüger zählt aber nicht die Anzahl der Mitbeter: „Gott ist ja kein Automat, wo ich oben einen Euro reinschmeiße und dann kommt unten die Erfüllung des Gebets raus. Definitiv nicht. Für uns ist Gebet ein Bitten an Gott, ein Flehen in der Gewissheit, dass er souverän ist und reagiert, wenn er reagiert, und nicht reagiert, wenn er eben nicht reagiert.“

Für Krüger ist der wichtigste Part beim Gebet immer noch die Person selber, die durch das Gebet verändert werden soll, und das Gemeinschaftserlebnis, dass andere einem gut zusprechen – ob nun analog oder online.

Kirchen und Glaubensgemeinschaften entdecken das Internet immer mehr für sich. Der Papst twittert regelmäßig, viele Bistümer haben eine eigene Facebook-Fanpage und das Bistum Freiburg feiert sogar regelmäßig Gottesdienste in der virtuellen Welt Second Life. Doch Rolf Krüger denkt nicht, dass durch Online-Angebote die offline Gemeinden irrelevant werden, auch wenn man dies eine Zeit lang dachte: „Ich glaube, dass die Kommunikation über elektronische Medien, Social Media oder Newsletter für Gemeinden an Stellenwert gewinnen wird. Zum einen zur Mitgliederbindung. Aber der Kern von Gemeinde, glaube ich, ist immer noch Gemeinschaft, das man sich persönlich trifft, miteinander spricht und Kaffee trinkt und gemeinsam im Gottesdienst Gott anbetet und ihn trifft. Das ist der Kern und das wird auch bleiben.“

Es ist eine Kommunikationsplattform, die Gemeinden immer mehr nutzen sollten. Doch es ist kein Ersatz für den persönlichen Kontakt in den Gemeinden, da ist sich Rolf Krüger sicher. Und wie kommt man überhaupt dazu, auf amen.de sein Leid zu klagen? Ich habe dazu mit Anja telefoniert. Sie ist seit der Geburtsstunde von amen.de vor zwei Jahren aktive Nutzerin dieser Online-Gemeinde. An ihr erstes Anliegen kann sie sich noch genau erinnern, ihr Sohn hatte einen Unfall. Es half ihr zu wissen, dass sie über amen.de in kürzester Zeit mehrere Mitbeter erreichen konnte. Für sie ist die Schnelligkeit, aber eben auch die Anonymität der Reiz von amen.de: „Die Anonymität hilft auch Sachen als Anliegen vorzubringen, für die man sich vor anderen Leuten, die man besser kennt, schämen würde, wie Eheprobleme oder Erziehungsfragen. Wenn der Partner mit im Gebetskreis sitzt, ist das natürlich schwierig. Da zu sagen, im Moment läuft es ganz doof zwischen den Kindern oder mit den Kindern oder ich bin die Tage total ausgeflippt, es tut mir total Leid. Solche Sachen kann man bei amen.de gut anvertrauen.“

Anja betet nicht nur für eigene Anliegen, sondern auch für die Sorgen ihrer Freunde, und um die Last zu teilen, stellt sie diese Gebete online. Die Tochter einer guten Freundin hat immer wieder Angstzustände, für Anja ein Fall für amen.de. Sie schreibt das Anliegen ein - ohne zu wissen, dass jene Tochter auch bei amen.de ist. „Plötzlich bekommt sie ihr eigenes Gebetsanliegen geschickt. Dadurch, dass ich es detailliert formuliert hatte, hat sie sich wiedererkannt und hat mir dann geschrieben. Sie hat gesagt, sie sei so gerührt und bewegt, dass so viele Menschen für sie beten. Das kann kein Zufall sein, dass sie ihr eigenes Gebetsanliegen bekommt.“

So wie Anja habe auch ich sogenanntes Feedback von meinen inzwischen neun Betern bekommen. Es tut doch irgendwie gut zu wissen, dass andere Menschen deine Sorgen verstehen können und dir Kraft spenden wollen. Deswegen finde ich den Ansatz von amen.de eigentlich echt gut. Auch wenn es mir doch noch irgendwie fremd ist, andere zu bitten, für mein Anliegen zu beten. Aber wenn es gut tut, Kraft spendet und man so näher zu Gott kommt: Warum nicht?

(rv 04.04.2015 pdy)








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