2015-04-02 11:51:00

Bildung im Flüchtlingscamp: Chance für Chancenlose


Im Schnitt 17 Jahre lang bleiben Flüchtlinge im östlichen und südlichen Afrika im Flüchtlingscamp. Die größten Leidtragenden sind die Kinder. Sie werden nicht nur ihrer Kindheit, sondern auch ihres Rechts auf Bildung beraubt. Der entscheidende Punkt ist das Fehlen von Lehrern im Flüchtlingslager. Hier setzt ein Projekt an, das die US-amerikanische Katholikin Mary McFarland mit Unterstützung des Jesuitenordens ins Leben rief: Jesuit Commons: Higher Education at the Margins, kurz HEM.

McFarlands Grundgedanke ist es, Mädchen und Frauen im Flüchtlingscamp höhere Schulbildung zu ermöglichen, sodass sie ihrerseits Lehrerinnen werden können. „Bildung ist nicht das Problem einer einzelnen Gemeinschaft, es ist ein Problem der Welt“, sagte die Aktivistin, die jüngst zum Weltfrauentag im Vatikan bei der Veranstaltung „Voices of Faith“  ihr Projekt vorstellte.

Das Projekt HEM besteht seit 2010 und operiert mit Fernbildungsprogrammen für mehr als 2.000 Flüchtlinge in Kenia, Malawi, Tschad, Syrien, Jordanien, Afghanistan, Thailand, Sri Lanka und den Philippinen. Mehrere Jesuiten-Universitäten und andere Hochschulen in den USA und außerhalb sind Partner der Initiative. Für die Studierenden im Camp ist die Ausbildung gratis, aber bezahlt wird sie doch, stellt Mary McFarland klar: „Wir sind da ganz offen mit den Studierenden, und sie schätzen das: das ist keine Bildung zum Nulltarif. Das ist Bildung, die sie sich verdienen mit den Beiträgen, die sie später ihrer Gemeinschaft zurückgeben.“

Bildung gerade für Frauen im Flüchtlingscamp ist sogar noch herausfordernder, weil es auch kulturelle Hürden zu überwinden gilt, erzählt Mary McFarland. So betrachten es einige Kulturen als Unsitte, dass Mädchen auf dem Boden sitzen. Das ist aber meist die einzige Option in einer Bildungseinrichtung, die keine Schultafel hat, geschweige denn Möbel. Dabei zeigten gerade die Mädchen und Frauen besonderes Engagement in der Ausbildung anderer. Und: sie seien selbst dort vor Ort, im Camp. „Wenn wir keine Lehrer ausbilden, können wir alle Schulen der Welt bauen, aber die Kinder werden trotzdem keine Bildung erhalten. Wir brauchen Lehrer, damit die Kinder zur Schule gehen“, so McFarland.

Eines der Vorzeigebeispiele des Projekts HEM ist die junge Somalierin Suad. Im riesigen Flüchtlingscamp Kakuma auf kenianischem Boden absolvierte die Muslimin Suad dank der Stiftung einen Fernstudiengang in  „Liberal Studies“, eine Art Grundstudium. Damit wurde sie die erste Frau, die als Lehrerin in ihrem Camp arbeitete, später stieg sie zur Schuldirektorin auf und brachte die Zahl der eingeschriebenen Studierenden von 300 auf 1.600. Suads Familie überlebte den Bürgerkrieg in Somalia nur zur Hälfte, die andere floh nach Kenia. Dass sie zur Schule gehen durfte, musste Suad sich dort erkämpfen: die Familie konnte sich nicht die geringste Anschaffung wie Schulhefte leisten. Schließlich, erzählt Mary McFarland, fand die Familie zu einem Abkommen. Um das Mädchen zur Schule schicken zu können, verzichtete die Familie auf eine Mahlzeit. Statt der Mahlzeit saßen sie gemeinsam um den Tisch und lernten.

Bildung im Flüchtlingscamp – das ist eine Frage der Entwicklung, aber der Entwicklung in einem umfassenden Sinn, erklärt Mary McFarland: „Wie werden wir auf ganze Weise menschlich?“ Gerade weil die Flüchtlinge im Schnitt unvorstellbare 18 Jahre ihres Lebens im Lager zubringen, hätten sie Hunger und Durst nach Bildung: weil es ihre Horizonte öffnet. Und während hunderttausende von Flüchtlingskindern wenig oder gar keinen Zugang zu Schulbildung haben und als „verlorene Generationen“ apostrophiert werden, sagt McFarland: „Wenn tatsächlich Generationen verloren gehen, dann ist das ein Preis, den die Welt nicht ertragen kann.“

(rv 02.04.2015 gs)








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