2015-03-27 10:06:00

Nigeria: Flüchtlingsströme und versickernde Gelder


Entführungen, Korruption und Boko Haram überschatten die Wahlen in Nigeria. Während in dem bevölkerungsreichsten Land in Afrika die Vorbereitungen auf Hochtouren laufen und die Nation am Samstag einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament wählt, sitzen internationale Caritas-Vertreter in Rom zusammen und suchen nach einer Strategie gegen den Terror von Boko Haram.

Der hat eine ohnehin notorisch arme Region vollends in Chaos und Elend gestürzt. „Wir besprechen mit europäischen Geldgebern und Organisationen und afrikanischen Partnern vor Ort, die im Tschad, in Kamerun, in Nigeria, in Niger und auch in der Zentralafrikanischen Republik arbeiten, wie wir gemeinsam, abgestimmt und koordiniert die Flüchtlinge und Binnenvertriebene, die es mehr und mehr in Nordkamerun und Nordnigeria – und jetzt auch im Tschad – gibt, unterstützen, versorgen und integrieren.“ Das sagt Frank Wiegandt von dem kirchlichen Hilfswerk Misereor, der lange im französischsprachigen Afrika gearbeitet hat.

„Wir wollen auch dafür sorgen, dass die Jugendlichen im Norden – auch in Nordkamerun – eine Perspektive bekommen, qualifiziert werden können und in Lohn und Brot gehen können. Denn wir wissen, dass Boko Haram immer noch aktiv rekrutiert, auch in Nordkamerun, auch im Tschad. Sie sprechen Jugendliche an, die manchmal relativ gut ausgebildet sind, aber die im eigenen Land, in der eigenen Region keine Perspektive bekommen.“ Das habe mit der stagnierenden Wirtschaft zu tun, sagt Wiegandt, aber auch „mit schlechter Regierungsführung und mit mangelnder demokratischer Partizipation“ – vor allem in Nigeria, dem Staat mit der größten Bevölkerung Afrikas.

In dieses gesellschaftlich-soziale Vakuum stößt Boko Haram vor. Über eine Million Menschen ist im letzten Jahr in Nigeria vor den Steinzeit-Islamisten geflohen. „Es ist wirklich dramatisch“, berichtet der Priester Evaristus Bassey, Direktor von Caritas Nigeria: „Wir haben viele, viele Menschen, die die Häuser ihrer Vorfahren verlassen und viele Kilometer über die Berge flüchten müssen, um Kamerun zu erreichen. Viele haben nur das zum Anziehen, was sie auf dem Leib tragen, die hygienischen Bedingungen sind schlecht, wenig zu essen. Dramatisch.“

Die meisten der Flüchtlinge bleiben allerdings in Nigeria selbst. „Wir haben Camps mit Zehntausenden von Flüchtlingen; das sind oft keine offiziellen Camps, sondern einfach Anhäufungen von behelfsmäßigen Behausungen, die Leute streichen von dort aus über die Felder und suchen etwas Essbares. Es gibt auch offizielle Camps, die die Regierung eingerichtet hat; dafür wird zwar auf dem Papier viel Geld bereitgestellt, aber irgendwie erreicht das Geld nicht die Bedürftigen. Das ist das eigentliche Thema. Und darum gibt es viel Druck auf die Kirche: Die muss sehen, was sie mit den wenigen Ressourcen, die sie hat, zustande bringt.“ Die Not der Menschen macht erfinderisch: Nicht wenige Flüchtlinge werden in Kirchen oder auf kirchlichen Compounds untergebracht, in der Teresa-Kathedrale von Yola zum Beispiel lagern über 2.500 Menschen.

„Die Priester geben ihr Bestes, um den Menschen mit Rat und Tat beizustehen, aber eigentlich wird dringend professionelle psychologische Hilfe gebraucht, und dafür wollen wir jetzt mit einer in diesem Bereich erfahrenen Organisation sorgen. Leider ist das aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Ansonsten besteht unsere Strategie jetzt darin, dass wir den Community Leaders, darunter auch den christlichen und muslimischen Verantwortlichen, ein Training über Elemente der Trauma-Bewältigung anbieten, damit sie das den Menschen weitergeben können.“

Frank Wiegandt von Misereor ergänzt: „Wir arbeiten mit der katholischen Kirche, mit katholischen Partnern – die sind vor Ort die Garanten für Kontinuität und Stabilität, auch für effiziente, ehrliche Arbeit für die Bevölkerung. Die Kapazitäten der lokalen Partner stärken wir einmal im Nothilfebereich, aber auch in der nachhaltigen Entwicklungshilfe. Die staatlichen Strukturen müssen sich erst entsprechend entwickeln, aber das wird aufgrund der bestehenden Korruption, aufgrund des oft verantwortungslosen Verhaltens der Politiker und der wirtschaftlichen Eliten in diesen Ländern noch Zeit brauchen.“

Soldaten aus Kamerun, Niger und dem Tschad haben in den letzten Wochen eine Offensive gegen Boko Haram durchgeführt – mit einigem Erfolg, die Terrorkrieger wurden zurückgedrängt. „Die militärische Antwort ist erst einmal die naheliegende Antwort“, kommentiert Wiegandt; „die erste Antwort, um wieder Sicherheit und eine relative Stabilität für die Bevölkerung herzustellen. Langfristig wird es aber nicht reichen: Da muss es halt Entwicklung geben. Gerade in den verarmten nördlichen Regionen von Nigeria, Kamerun und Tschad – das sind historisch und von den Zentralregierungen vernachlässigte Regionen, da muss investiert werden, um den Menschen eine Perspektive zu geben und sie davon abzuhalten, sich einer radikalislamischen Sekte anzuschließen.“

In dieser Woche soll Boko Haram über vierhundert Frauen und Kinder entführt haben – nicht zu ersten Mal. „Das ist furchtbar!“, sagt der Misereor-Experte, „das ist eine Tragödie für die Region, die dringend Entwicklung und Fortschritt braucht. So eine Schlagzeile dringt oft gar nicht nach Deutschland oder nach Europa, da muss auch in Europa mehr Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass wir eng miteinander zusammenhängen…“

(rv 27.03.2015 sk)

 








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