2015-02-27 11:21:00

Syrien: IS soll 15 Christen hingerichtet haben


Die Terrorgruppe „Islamischer Staat“, kurz IS, soll 15 junge assyrische Christen hingerichtet haben. Das berichteten christliche Internetseiten am Donnerstagabend. Die Ermordeten sollen zu den mehreren Dutzend Christen gehören, die am Montag im Norden Syriens entführt wurden. Der assyrisch-christliche Pressedienst Aina spricht von mindestens 150 Christen, die vom IS verschleppt worden seien; die Gesamtzahl der Entführten könnte aber noch weit höher liegen. Der Erzbischof von Hassake, Jacques Hindo, gab die Zahl der Verschleppten mit 250 an, unter ihnen seien auch Frauen und Kinder. Sie stammten aus assyrischen bzw. chaldäischen, christlichen Dörfern am Fluss Khabur. Die IS habe sie in die Stadt Sheddadi südlich von Hassake gebracht.

Der Päpstliche Nuntius in Syrien, Erzbischof Mario Zenari, ist trotz des Bürgerkriegs in Damaskus geblieben. Er sagte im Interview mit Radio Vatikan, dass Papst Franziskus die Nachrichten aus Syrien mit großer Besorgnis verfolge. Franziskus feierte am Freitag zum Abschluss der Fastenexerzitien mit der römischen Kurie eine Messe für die verfolgten Christen in Syrien, dem Irak und anderen Ländern. „Es ist klar, dass der Papst ständig an uns denkt, an die Lage der Christen und die Lage aller Leidenden. Er wird ständig auf dem Laufenden gehalten und betet für die Leidenden... Natürlich machen diese Meldungen Angst, vor allem den Angehörigen von Minderheiten: Sie sind am exponiertesten, sie waren immer das schwächste Glied in der Kette. Das alles trägt nicht gerade dazu bei, Hoffnung in die Zukunft zu schöpfen. Schon seit langem lebt die christliche Gemeinschaft in solcher Spannung; nicht nur die Christen, alle Leute haben Angst – vor allem, wenn sie hören, was in den von den Dschihadisten kontrollierten Gebieten vorgeht. Alle haben Angst, und wer kann, flüchtet.“

Von der internationalen Gemeinschaft fühlten sich „die Menschen im allgemeinen und speziell die Christen“ im Stich gelassen. Er könne das verstehen, sagte der Nuntius: „Sie sehen ja keine greifbaren Resultate.“ Die Dschihadisten müssten unbedingt gestoppt werden: „Ich würde sagen, da hat ja die internationale Gemeinschaft schon einige Linien gezogen, auf diesem Weg muss man jetzt mit vereinten Kräften weitergehen. Den Nachschub dieser Leute abschneiden, die Konten, das Öl; diejenigen abfangen, die dieser Ideologie ins Netz gegangen sind und die jetzt von Europa in diese Gebiete hin aufbrechen: verschiedene Maßnahmen. Man muss versuchen, diese Lage zu stoppen.“

Die immer neuen Schreckensmeldungen ließen in den Hintergrund treten, dass sich in Syrien „die schwerste humanitäre Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg“ abspiele, formuliert Erzbischof Zenari. „Und das vor den Augen der Weltöffentlichkeit!“ Längst gebe es in Syrien zwei Fronten, und „eine sei schlimmer als die andere“: „Da ist zum einen die Front des Bürgerkriegs, der jetzt schon seit vier Jahren anhält, bald treten wir ins fünfte Jahr. Er hat mehr als 200.000 Menschenleben gekostet, dazu kommen mehr als eine Million Verletzter, mehr als sieben Millionen Binnenflüchtlinge und vier Millionen Flüchtlinge ins Ausland. Jeden Tag kommt es zu neuen Schäden und Toten, zu neuen Flüchtlingsströmen. Und dann sind da auf der anderen Seite diese brutalen, schrecklichen Vorgänge in der Zone, die vom sogenannten Kalifat kontrolliert wird. Man darf diese zwei Fronten nicht vergessen, von denen leider die eine schlimmer ist als die andere!“

Inzwischen sollen die Kämpfer des „Islamischen Staats“ einige der christlichen Dörfer am Khabur-Fluss wieder geräumt haben; die Bewohner fürchten allerdings Sprengfallen oder gar eine Rückkehr der Terroristen. Hunderte von Menschen, vor allem Christen, sind in die Provinzhauptstadt Hassake geflüchtet. Die internationale Koalition hat am Donnerstag in der Provinz Luftschläge gegen IS-Stellungen rund um Tall Tamer durchgeführt; trotzdem fürchten viele, dass der IS jetzt versuchen wird, Hassake selbst einzunehmen, eine von vielen Christen und vielen Kurden bewohnte Stadt.

Der Priester Pascal Gollnisch ist Generalsekretär des französischen Hilfswerks „Œuvre d’Orient“. Er erklärt uns die Hintergründe der neuen Nachrichten: „Die entführten Menschen sind offenbar alle assyrische Christen, die in den dreißiger Jahren aus dem Irak geflohen waren. Dort hatte es damals nämlich Massaker an Christen gegeben, und sie fanden in Syrien eine neue Heimat. In der Regel sind das einfache Leute, Bauern, Landwirte. Leider ist ihre Region jetzt im Mittelpunkt des Konflikts zwischen Regierungstruppen, dem IS und den kurdischen Kämpfern. Die Kurden, denen es um die Autonomie ihrer Region geht, sind offenbar in letzter Zeit vorgestoßen und haben dem IS einige Dörfer wieder abgenommen. Daraufhin gab es eine Art Gegenoffensive des IS, bei der diese Christen aus ihren Dörfern verschleppt wurden.“

Die Grausamkeit des IS ist bekannt; man denke nur an das Video, auf dem die Gruppe am Strand von Libyen 21 gefangene koptische Christen tötet, Gastarbeiter aus Ägypten. Muss man jetzt für die verschleppten Christen dasselbe Schicksal befürchten? „Wir haben Grund zur Hoffnung, dass zumindest die Frauen und die Kinder freigelassen werden. Was die Männer betrifft, könnten sie dem IS gewissermaßen als Geiseln dienen, um Repressalien abzuwenden. Die Männer sind eindeutig in Lebensgefahr. Darum kann man nur sehr besorgt sein, diese Menschen riskieren ihr Leben.“

Immerhin gibt es nach Angaben des Experten „Kommunikationskanäle“: Das liefe „unter Syrern“ ab, offenbar habe man schon miteinander gesprochen. Der französische Schriftsteller Jean d’Ormesson, Mitglied der Académie Francaise, hat in einem Interview von einem „Völkermord an den Christen des Orients“ gesprochen. Ist das übertrieben, Pater Gollnisch?

„Er hat vollkommen recht! Den Begriff hat übrigens auch Außenminister Laurent Fabius schon verwendet, als er im vergangenen Juli in Kurdistan war. Ein Völkermord kann aus rassischen, aber auch aus religiösen Gründen durchgeführt werden, und das Letztere ist hier der Fall. Ein Versuch der Säuberung, der einem Völkermord gleichkommt. Es geht eindeutig darum, Syrien und den Irak von den Christen zu säubern.“

Gollnisch sagt, er wolle nicht die bisherigen Maßnahmen des Westens gegen den IS bzw. für eine Beendigung des syrischen Bürgerkriegs kritisieren. Aber man müsse schon zur Kenntnis nehmen, dass sie bisher offenbar „keine konkrete Wirkung am Boden“ zeigten. Im Moment sprächen nur die Waffen. „Wir brauchen unbedingt etwas, das vor Ort zu echten Resultaten führt!“ Was den IS betrifft: „Wie weit sind wir bei der Kontrolle seiner Finanzquellen? Kann die Gruppe etwa immer noch Öl über die Türkei verkaufen? Da könnte man dringend etwas tun. Ich weiß nicht, ob allen klar ist, was der ‚Islamische Staat’ ist: Ihre Aggression zielt eindeutig auch auf Europa, auf das von ihnen so genannte „Reich des Kreuzes“. Wir müssen langsam verstehen, mit wem wir es da zu tun haben! Natürlich hat Papst Franziskus recht, wenn er immer wiederholt, eine Militäraktion könne das Problem nicht in seiner Tiefe lösen. Aber in unserem Ansatz stimmt etwas Wesentliches nicht: Wir sagen den Sunniten „Ihr habt im Irak nicht das Sagen, weil ihr da nur eine Minderheit seid“ und sagen gleichzeitig „Ach ja, in Syrien habt ihr die Mehrheit, aber da könnt ihr auch nicht die Macht ergreifen“. Da stimmt etwas nicht... Wenn man also eine Tiefen-Lösung will, dann braucht man sowohl in Syrien als auch im Irak Regierungen der nationalen Einheit, in der jede Gruppe ihren gerechten Platz hat.“

In Frankreich hat es zu einer aufgeregten Debatte geführt, dass vor ein paar Tagen vier Abgeordnete verschiedener Parteien auf eigene Faust nach Damaskus gereist sind und dort sogar den vom Westen verfemten Präsidenten Assad getroffen haben. Der Generalsekretär des Hilfswerks für Christen des Orients will aber in die Kritik an diesem Himmelfahrtsunternehmen nicht einstimmen: „Ich finde, es muss sich jetzt einmal etwas bewegen in Syrien! Die westlichen Diplomaten fordern seit vier Jahren, dass Assad gehen muss. Seit vier Jahren haben wir das nicht erreicht. Darum muss jetzt etwas Neues versucht werden. Mir steht es nicht zu, das Handeln der Parlamentarier zu bewerten – aber ich fände es schon seltsam, das jetzt einfach nur zu verurteilen, ohne stattdessen etwas anderes vorzuschlagen. Ich verlange etwas, das effizient ist; diese Parlamentarier haben wenigstens etwas versucht. Man sollte auch mal etwas ausprobieren, um diesem Konflikt ein Ende zu setzen. Man kann nicht einfach nur sagen: Na ja, das wird alles noch Jahre dauern... Dann riskieren wir wirklich, dass die Christen endgültig aus diesem Land verschwinden. Und dass es weitere Tote, Verletzte, Flüchtlinge gibt.“

(rv 27.02.2015 sk)








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