2015-01-20 14:47:00

Dschihadisten seit 1979: Ein Überblick


Von Afghanistan über Irak zu Syrien: Seit 1979 hat sich der Dschihadismus entwickelt. An die Stelle des Zentralismus von Al Kaida ist eine dezentralisierte und heterogene Bewegung getreten. Die französische katholische Zeitung „La Croix“ hat einen Überblick zusammengestellt.

Pakistan: 1980er Jahre

In Peshawar hat alles begonnen. Der Salafismus-Dschihadismus ist in dieser Stadt im Nordwesten Pakistans geboren und wurde zu Beginn der 1980er Jahre die Drehscheibe des „Heiligen Krieges“ gegen die Sowjetunion im Nachbarland Afghanistan. Für das Anwerben von Freiwilligen ist der palästinensische Muslimbruder Abdallah Azzam zuständig, assistiert von dem Saudi Osama bin Laden. Die Bewegung vertritt eine neue Auffassung vom bewaffneten Dschihad: Wenn „der Feind in das Gebiet des Islam vordringt“, brauchen die Gläubigen für ihren Kampf keinerlei Autorisierung, weder von religiösen Autoritäten noch von Muslimgelehrten.

Auf der Ebene der internationalen Politik versuchen die USA – nach ihrer Demütigung in Vietnam – das Versagen der UdSSR in Pakistan herbeizuführen. Dabei setzen sie auf die Islamisten, die ihrerseits das Atheistische der UdSSR ablehnen. Die Islamisten kommen auch den Golfstaaten gelegen: ihre eigenen radikal orientierten Kräfte wenden sich den Gotteskriegern in Pakistan zu und sind somit für ihre Herkunftsländer entschärft. 1979 hatten Salafisten die Moschee von Mekka attackiert. Saudi-Arabien wiederum findet im afghanischen Dschihad das Mittel, sich in der muslimischen Welt neu zu legitimieren.

Afghanistan: 1990er Jahre

Im August 1988 gründet Osama bin Laden seine eigene Organisation, einige Monate vor dem sowjetischen Rückzug aus Afghanistan im Februar 1989. Seine Bewegung Al Kaida („das Fundament“) ist als Avantgarde des globalen Dschihad angelegt. Eine erste Generation von Dschihadisten – die Hälfte der 30.000 bis 40.000 ausländischen Freiwilligen, die in Afghanistan kämpfen, fast alle aus arabischen Ländern – setzt den Dschihad an anderen Fronten fort. Die meisten kehren in ihre Herkunftsländer zurück und schaffen dort bewaffnete Gruppen, um die örtliche Macht zu bekämpfen. Andere bleiben in Afghanistan, wieder andere kämpfen in Kaschmir, Bosnien-Herzegowina, Tschetschenien, Tadschikistan, Jemen, Xinjiang (China) oder auf den Philippinen. Einige infiltrieren Europa und die USA, um zu rekrutieren und ihre Ideen zu verbreiten.

Ab 1990 wächst in den afghanischen Lagern eine neue Dschihad-Generation heran, die zwischen 10.000 und 30.000 Mann stark ist. Osama Bin Laden lässt sich nach einem Exilaufenthalt in Sudan (1991-1996) in Afghanistan nieder und schließt ein Bündnis mit dem Chef der Taliban, Mullah Omar, mit finanzieller Förderung durch den pakistanischen Geheimdienst ISI.

In den ersten 15 Jahren von Al Kaida leitet Bin Laden eine hierarchische Struktur mit einem Rat, verschiedenen Kommissionen und Trainingslagern. Eine Serie von Attentaten setzt den Auftakt zum globalen Dschihad. Mitte Juli 2011 ist ein Kommando von 19 Al Kaida-Männern auf US-amerikanischem Boden einsatzbereit. Bei den Attacken vom 11. September sterben an die 3.000 Menschen. Nach dem Schock und der Zerstreuung der Taliban über ganz Amerika setzt die Dezentralisierung der Bewegung ein. Bin Laden und seine Anhänger verschanzen sich in Pakistan. Die Dschihadisten verteilen sich im Nahen und Mittleren Osten, in den Stammeszonen in Pakistan und in Afrika.

Irak: 2004

Einige Monate nach dem Einmarsch der USA im Irak (2003) wird dieser für eine dritte Generation von Dschihadisten das symbolische Epizentrum des „globalen Dschihad“. Schlüsselfigur ist Abu Moussab Zarqaoui, geadelt als „Emir von Al Kaida in Mesopotamien“. Die Attentate von Madrid im März 2004 und von London im Juli 2005 zeigen die breite Streuung der Terrorzellen.

Syrien: 2011

Zarqaoui stirbt bei einem US-Bombardement im Juni 2006. Die US-Streitkräfte ziehen sich im Dezember 2011 aus dem Irak zurück (im selben Jahr ist es ihnen gelungen, Bin Laden in Pakistan zu töten). Sunnitische Aufstände im Irak und in Syrien treten in Konkurrenz zu Al Kaida. Der „Islamische Staat“ zieht eine vierte Generation von Dschihadisten an; unter ihnen sind - erstmals - sehr viele Europäer.

Die vier Kategorien der Dschihadisten

In einem Bericht für das US-Staatssekretariat über die Entwicklung von Al Kaida und andere Dschihad-Salafisten unterscheidet der Autor Seth G. Jones zwischen vier großen Kategorien und beobachtet eine immer dezentralere und uneinheitlichere Bewegung. Die erste Kategorie ist der harte Kern von Al Kaida rund um Ayman Al Zawahiri, Nachfolger Bin Ladens, mit Basis in Pakistan. Zawahiris Einfluss ist begrenzt. Das zeigt sich am Misserfolg seiner Vermittlung zwischen Abu Mohammed Al Jouanli, Emir von Jabhat Al-Nusrah in Syrien, und Abu Bakr Al Baghdadi, Emir des „Islamischen Staates“.

Die zweite Kategorie setzt sich aus zugehörigen Gruppen zusammen, die im Jahrzehnt davor entstanden sind. Sie sind etwas wie lokale „Franchise-Nehmer“ der Marke Al Kaida, beispielsweise Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel (Aqpa), das die Terrorattacke auf „Charlie Hebdo“ für sich reklamiert und 2009 aus der Fusion zwischen dem saudischen und dem jemenitischen Zweig entstand. Zu dieser Kategorie gehören auch die Gruppen Al Shabaab in Somalia, Al Kaida im islamischen Maghreb (Aqmi) mit Sitz in Algerien und den angrenzenden Ländern, sowie die Al Nusrah-Front in Syrien.

In der dritten Kategorie sind salafistisch-dschihadistische Gruppen vertreten, die nicht zum harten Kern von Al Kaida gehören oder sich von Al Kaida nach dem Vorbild des „Islamischen Staates“ abgespalten haben. Das hindert alle diese Gruppen nicht daran, zusammenzuarbeiten, sofern ihre Interessen übereinstimmen. Gruppen der dritten Kategorie sitzen im Mittleren Osten, in Afrika und im Kaukasus und sind besonders aktiv in Ägypten, im Libyen, Mali und in Nigeria (Boko Haram).

Die vierte und letzte Kategorie setzt sich aus Einzelkämpfern, kleinen Terrorzellen und locker strukturierten Netzen zusammen und sieht sich als Verteidiger der Muslime. Zwischen diesen Terror-Einheiten bestehen Auffassungsunterschiede in zahlreichen Fragen. Sie haben kein zentrales Kommando noch in Gruppen organisierte Kämpfer, bilden aber Netzwerke, sei es im Dschihad selbst, sei es im Gefängnis oder auf den Seiten der sozialen Netzwerke.

(la croix 20.01.2015 gs)








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