2015-01-16 06:44:00

Der Schwarze Nazarener von Manila: Wallfahrt der Superlative


Auf dem Weg zur Kathedrale ist Papst Franziskus an diesem Freitag auch durch Quiapo gefahren: Hier steht die berühmte Wallfahrtskirche des Schwarzen Nazareners, deren Fest jedes Jahr im Januar Millionen von Filipinos anzieht. „Wir sind extra nicht mit der Statue des Schwarzen Nazareners zum Papst gegangen, sonst hätten die Leute sich nur noch auf die Statue gestürzt und nicht mehr so sehr für den Papst interessiert.“ Das sagte uns der zweite Leiter der Pilgerseelsorge in Quiapo, Pater Ricardo Valencia jr., bei einem Gespräch in seinem Büro neben der Kirche. Wir fragten ihn nach der Geschichte und der Bedeutung der Wallfahrt.

„Die Statue des Schwarzen Nazareners kam aus Mexiko, aus Acapulco; sie wurde von den ersten Missionaren hierher gebracht und zunächst in einer Kirche namens St. Johannes der Täufer im Luneta-Park aufgestellt; diese Kirche lag außerhalb der (spanischen Stadt-) Mauern, also extra-muros. Als sie zerstört wurde, gelangte die Statue in eine Kirche in Intramuros, und jetzt ist sie hier, seit 1706.“

Warum diese unglaubliche Verehrung für den Schwarzen Nazarener?

„Dazu gibt es viele Theorien. Soziologen würden sagen: Er ist so populär bei uns Filipinos, weil er zum einen ebenfalls eine dunkle Hautfarbe hat. Zum anderen können wir uns mit einem Bild des Leidens identifizieren, weil unsere Geschichte in erster Linie eine Leidensgeschichte war; darum sagt uns ein Abbild Christi auf seinem Kreuzweg unmittelbar etwas.

Wenn man auf die Statue des Schwarzen Nazareners schaut, muss man bedenken, wieviel er vielen Menschen bedeutet. Sie stellt nicht einen Menschen vor, der vom Leiden schon besiegt ist; wenn man genau hinsieht, stellt man fest: Er fällt nicht, sondern er steht gerade wieder auf. Nach der Überlieferung ist Jesus auf seinem Kreuzweg zum Kalvarienberg dreimal gestürzt – aber das Bild, das wir hier haben, ist eines der seltenen, das ihn beim Wiederaufstehen darstellt. Er steht wieder auf, und seine andere Hand ist ausgestreckt, um denen zu helfen, die seine Hilfe brauchen. Für uns Filipinos bedeutet das symbolisch eine Ermutigung, fortzufahren in unserer Aufgabe. Wer Ermutigung braucht, findet sie in seinem Antlitz – darum ist das für uns ein Bild der Hoffnung.

„Er fällt nicht, sondern steht wieder auf“

Hinzu kommt, dass der Schwarze Nazarener als ausgesprochen wundertätig gilt. Wenn Sie mit seinen Verehrern sprechen, dann werden Sie hören: An einem bestimmten Punkt in ihrem Leben haben sie Hilfe von ihm gespürt. Ich halte das für etwas ganz Natürliches: Wenn Sie irgendwo hingehen, um um etwas zu bitten, kommen Sie doch nicht hinterher wieder, wenn Sie nichts bekommen haben. Viele Filipinos, die aus Arbeitsgründen ins Ausland ziehen, kommen vorher hier vorbei, bitten um Erleuchtung und Hilfe. Und wenn sie wieder in die Heimat kommen, dann kommen sie auch hierhin.

Es ist auch sehr eingebettet in unsere Kultur als ein Volk, das sehr dankbar ist. Wenn Sie uns etwas Gutes tun, dann werden wir das niemals vergessen. Und deswegen kommen die Menschen immer wieder hierhin – aus Dankbarkeit. Nicht nur, um um etwas zu bitten, sondern auch zum Dank. Aus Dankbarkeit.“

Erzählen Sie uns doch bitte auch etwas von der Prozession des Schwarzen Nazareners durch Manila, jedes Jahr am 9. Januar.

„Die Königin der Fiestas“

„Wir sehen das als die Königin unserer Fiestas, und der Höhepunkt der Fiesta besteht darin, dass die Statue in feierlicher Prozession von der Stelle, wo sie ursprünglich einmal aufgestellt war, hierhin nach Quiapo getragen wird. Früher mal fand diese Prozession nur hier in der Kirche von Quiapo statt, und wir müssen vielleicht wieder dahin zurückkehren, vor allem um die vielen Unfälle zu verhindern, zu denen es leider am Rand der Prozession jedesmal kommt. Letztes Jahr haben zwölf Millionen Menschen an unserer Fiesta teilgenommen, und dieses Jahr waren es noch mehr – vielleicht dreizehn oder vierzehn Millionen. Sie sehen ja, noch ein paar Tage nach der Fiesta haben wir hier ziemlich viel Betrieb.

In Quiapo haben wir jeden Tag zehn Messen; an Sonn- und Feiertagen sind es fünfzehn. Und alle diese Messen werden auf tiefe Weise erlebt; dabei stehen noch mehr Menschen draußen vor der Kirche als drinnen. Die Kirche fasst 5.000 Menschen, die meisten stehen deshalb draußen um die Kirche herum. Zur Fiesta kommen so viele Menschen – ein ständiges Kommen und Gehen –, dass wir uns sehr professionell organisieren müssen, um das alles zu managen; wir können auf freiwillige Helfer zählen, und die Regierung stellt uns alles zur Verfügung, was wir anfragen. Nur damit Sie sich eine Vorstellung machen: Bei der jetzigen Fiesta hatten wir mindestens 29.600 Freiwillige. Dazu kamen 4.000 Polizisten, verstärkt durch Militär, 3.000 freiwillige Helfer aus dem Arzt- und Erste-Hilfe-Bereich, 82 voll besetzte Krankenwagen mit Ärzten und Krankenschwestern.

Die Vorbereitung auf die Fiesta beginnt jedes Jahr sechs Monate im voraus. Eine nicht nur logistische, sondern auch geistliche Vorbereitung: Jede Woche schicken wir eine oder zwei Gruppen in geistliche Exerzitien, aber die Freiwilligen sind so viele, dass wir noch nicht einmal zehn Prozent von ihnen erfasst haben. Zum Glück bilden sie selbst Gruppen und kommen vor allem an Freitagen (wo an das Leiden Jesu gedacht wird). Unser letzter Freitag im Jahr hat alle Rekorde gebrochen, da kamen so viele Menschen, dass man noch nicht mal eine Stecknadel hätte fallen lassen können, ohne dass sie jemanden getroffen hätte. Alles war voller Menschen; es ist während dieser Stunden nicht einfach, hierhin zu kommen.“

„Dann greifen wir erst recht zu!“

Für einen Europäer ist diese Art der Volksfrömmigkeit auf den Philippinen etwas Überraschendes; wir haben große Theologie, aber keine so vollen Kirchen wie hier. Woher kommt diese philippinische Art des Katholisch-Seins? Ist das eine Mentalitätsfrage, oder ist das wirklich eine andere Art des Christseins?

„Es gibt eben ganz verschiedene Arten und Weisen, wie die Kirche sich in der Welt manifestiert! Der europäische Katholizismus hat einen hohen Grad an Reinheit des Glaubens, weil er sehr rationell ist, aber er verliert gleichzeitig seine Gläubigen. Dabei sind eure Kirchen in Europa viel größer als unsere… aber sie leeren sich, und einige verwandeln sich sogar in Museen. Hierhin dagegen kommen die Leute – nicht etwa, weil sie die Dinge theologisch oder rationell gut verstanden hätten. Es sieht also so aus: Die Kirchen, die auf Reinheit des Glaubens und seine systematische Durchdringung setzen, verlieren Gläubige. Die Kirchen hingegen, die auf Volksfrömmigkeit, Heiligenverehrung, Prozessionen, Sakramentenarbeit und Gottesdienste setzen, sind die Kirchen, die immer noch voll von Menschen sind.

Wir sind Asiaten: Wir sind sehr expressiv in unserem Glauben. Wenn Sie uns sagen ‚Bitte nicht anfassen‘, dann greifen wir erst recht zu! Wenn wir unsere Liebe zu jemandem ausdrücken wollen, dann müssen wir das aus innerem Antrieb auch physisch fühlen. Darum ist es im Orient auch etwas ganz Normales und nicht etwa Verfängliches, wenn sich Männer in aller Öffentlichkeit an der Hand halten. Hier zum Schwarzen Nazarener bringen sich die Menschen – das werden Sie überall sehen – Stofftüchlein mit, oder was auch immer sie gerade haben, um damit die Statue zu berühren, und das nehmen sie dann wieder mit nach Hause. Und auch wenn das nur ein Augenblick war – diese Berührung werden sie ihr Leben lang im Gedächtnis behalten.

„Das ist keine Idolatrie“

Das ist keine Idolatrie im protestantischen Verständnis; wir sind einfach Menschen, die gerne Bilder haben. Wir nehmen gern ein Andenken mit von etwas, das wir mögen. Sie werden sehen, wie die Menschen am Schwarzen Nazarener Fotos machen, während alle anderen in der Schlange warten müssen, aber das ist eben unsere Art und Weise, unsere Liebe, unsere Zuneigung, unsere Gastfreundlichkeit auszudrücken. Unsere Aufmerksamkeit. Unsere Vereinigung mit dem Göttlichen. Natürlich bemühen wir uns, diese Sichtweise (so gut wir können) durch Weiterbildung zu reinigen, durch Gespräche und Seminare; aber dabei müssen wir natürlich weiter die Art respektieren, auf die die Menschen ihre Verehrung ausdrücken. Uns geht es nur darum, diese Verehrung zu vertiefen.

Es ist nicht leicht, die Menschen zu unserer Art und Sichtweise zu bekehren; es ist einfacher, ihre Lebensweise zu respektieren und ihre Sprache zu sprechen, und von da ausgehend kommen wir auf unsere Vorstellungen, auf das, was wir studiert haben, und auf die Lehre, die wir kennen.“

(rv 16.01.2014 sk)








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