2015-01-12 11:12:00

Die Rede an die Welt: Papst empfängt Botschafter


Papst Franziskus hat an diesem Montag eine Rede vor allen Botschaftern gehalten, die beim Heiligen Stuhl akkreditiert sind. Er sprach über die „Wegwerf-Kultur“, denunzierte das „entsetzliche Verbrechen der Vergewaltigung“ und den Terrorismus im Namen Gottes, lud zu Gastfreundschaft für Flüchtlinge ein und lenkte den Blick auf die aktuellen Krisenherde in der Ukraine, Irak, Syrien und Nahost. Im Arbeitsjahr des Heiligen Stuhles gilt der alljährliche Neujahrsempfang im Vatikan als einer der politischen Höhepunkte. 180 Länder unterhalten diplomatische Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl.

 

Hier eine Zusammenfassung der Papstrede vor den Diplomaten von Gudrun Sailer:

 

Wegwerf-Kultur

So wie Jesus von seiner Geburt an sofort „aussortiert“ und „draußen in der Kälte gelassen“ worden sei, so ergehe es „vielen unserer Brüder und Schwestern“ heute, erinnerte Franziskus. Ein „Modell der Ablehnung“ sei entstanden, das dazu verleitet, den Nächsten nicht mehr als einen aufzunehmenden Bruder anzusehen, sondern ihn „außerhalb unseres persönlichen Lebenshorizontes“ zu lassen. Diese Einstellung verschone nichts und niemanden: die Geschöpfe, die Menschen und Gott selbst nicht. Franziskus erwähnte die ermordeten Schulkinder in Pakistan und die Attentate in Paris.

 

Versklavung des Menschen

Wo die anderen nicht mehr als Wesen gleicher Würde wahrgenommen werden, „als Brüder und Schwestern der Menschlichkeit“, würden sie zu Objekten degradiert. „und aus einem freien Menschen wird ein Sklave der Mode, der Macht oder des Geldes, manchmal sogar von fehlgeleiteten Formen von Religion.“ Die Mentalität der Ablehnung und die „Kultur der Versklavung“ führten zu beständigen Ausweitungen von Konflikten, analysierte Franziskus. Es sei „wie ein echter Weltkrieg, der in kleinen Stücken ausgetragen wird“.

 

Konflikt in der Ukraine

Für die Ukraine wünscht der Papst, „dass auf dem Weg des Dialogs die laufenden Anstrengungen vermehrt werden, um die Feindseligkeiten zu beenden“. Die Konfliktparteien – Russland benannte der Papst nicht direkt - sollten „so bald wie möglich“ und im Respekt des Völkerrechts „einen aufrichtigen Weg gegenseitigen Vertrauens und brüderlicher Versöhnung“ gehen.  

 

Heiliges Land

Im Nahen Osten regt der Heilige Stuhl seit langem eine Zweistaatenlösung an. Papst Franziskus schloss sich diesem Weg in seiner Ansprache vor den Diplomaten ausdrücklich an. Sowohl das Volk der Palästinenser als auch jenes der Israelis sollten „endlich in Frieden leben“ können, in „klar definierten und international anerkannten Grenzen“.

 

Islamisten-Terrorismus in Syrien und Irak

Den fundamentalistischen Terrorismus des „Islamischen Staates“ gliedert Franziskus unter den Auswüchsen der „Wegwerf-Kultur“ ein: „Dieses Phänomen ist die Folge der auf Gott angewandten Wegwerf-Kultur. Noch bevor er mittels grauenerregender Massaker Menschen ausschaltet, lehnt der religiöse Fundamentalismus Gott ab und degradiert ihn zu einem reinen religiösen Vorwand.“ Angesichts einer solchen „ungerechten Aggression“, so der Papst weiter, „braucht es eine einmütige Antwort, die im Rahmen des internationalen Rechts die Ausbreitung der Gewalt stoppt, die Eintracht wiederherstellt und die tiefen Wunden heilt, die die fortlaufenden Konflikte verursacht haben.“ Franziskus rief ausdrücklich die gesamte Staatengemeinschaft und die betroffenen Regierungen zur Pflicht. Diese sollten in Syrien und im Irak „konkrete Initiativen für den Frieden und zur Verteidigung starten“, sowohl zur Wiederherstellung des Friedens als auch zur Verteidigung der Flüchtlinge.

 

Konflikte in afrikanischen Ländern

In Nigeria denunzierte der Papst besonders die Entführung von Menschen, namentlich von Mädchen, um sie zu verkaufen. Dieser Menschenhandel „darf nicht weitergehen“, rief der Papst aus. In der Zentralafrikanischen Republik  schmerze es ihn zu sehen, wie der gute Wille jener, die eine Zukunft des Friedens wollten, auf Widerstand und „egoistische Eigeninteressen“ treffen. Besorgniserregend sei auch die Lage im Südsudan, am Horn von Afrika – Somalia und Äthiopien – und im Kongo.

 

Das grauenvolle Verbrechen der Vergewaltigung

In diesem Zusammenhang kam Franziskus auf „das grauenvolle Verbrechen der Vergewaltigung“ zu sprechen. Dieses sei „eine sehr schwere Beleidung der Würde der Frau, die nicht nur im Intimen ihres Körpers vergewaltigt wird, sondern auch in ihrer Seele, mit einem Trauma, das schwerlich wieder ausgelöscht werden kann, und deren Folgen auch sozialen Charakter haben.“ Dieses Verbrechen geschehe nicht nur in Kriegsgebieten, so der Papst.

 

Ebola

Die “Leprakranken von heute” sind nach der Formulierung von Papst Franziskus die Ebola-Patienten. „Ich möchte heute öffentlich alle Helfer würdigen und ihnen danken, die gemeinsam mit Ordensleuten und Freiwilligen den Kranken und ihren Familien beistehen.“ Die Staatengemeinschaft rief der Papst nochmals dazu auf, den Patienten eine „angemessene Versorgung“ zukommen zu lassen und gemeinsam für das Ende der Seuche zu kämpfen.

 

Flüchtlinge und Migranten

Zu den Flüchtlingsströmen auf der Welt sagte Franziskus, viele Menschen gingen „nicht auf der Suche nach einer besseren Zukunft weg, sondern auf der Suche nach einer Zukunft überhaupt“: Bleiben sei mitunter gleichbedeutend mit einem sicheren Tod. Gesondert wies der Papst auf das Phänomen der Kindermigranten in Amerika hin. Allein flüchtende Minderjährige seien „leichte Beute“ und bräuchten genau deshalb mehr Aufmerksamkeit und Schutz.

 

In jenen Ländern, die Flüchtlinge aufnehmen, mahnte Franziskus einen Gesinnungswandel an. Statt Desinteresse und Angst brauche es „eine aufrichtige Annahme des anderen“. Auch hier dankte Franziskus ausdrücklich allen Helfern, die „bis hin zum Einsatz ihres eigenen Lebens“ Flüchtlingen und Migranten beistehen. Außerdem rief er dazu auf, an den Ursachen und nicht nur an den Folgen der Flüchtlingsbewegungen zu arbeiten. Das sei auch für später wichtig, wenn die Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren wollen und dort für Wachstum und Entwicklung sorgen.

 

Alte, Behinderte, ausgeschlossene Jugendliche

Als „versteckte Exilianten“ in unseren Häusern und Familien bezeichnete Franziskus alte Menschen, solche mit Behinderung und arbeitslose Jugendliche. Es gebe „keine schlimmere Armut als die, die von der Arbeit und der Würde der Arbeit ausschließt“. Ebenso verheerend sei eine Arbeit, die Formen der Sklaverei annehme, Franziskus nannte das Phänomen der Kinderarbeit, aber auch Schwarzarbeit. „All das läuft der Würde des Menschen zuwider und kommt von einer Mentalität, die das Geld, den Nutzen und den wirtschaftlichen Profit in den Mittelpunkt stellt, zum Nachteil des Menschen selbst.“

 

Arbeit und Familie

Auch die Familie selbst werde nicht selten Objekt des Wegwerfens. Ein immer mehr sich verbreitender Individualismus lockere die familiären Bindungen und begünstige „das dramatische Phänomen der niedrigen Geburtenrate“. Ursache dafür seien aber auch Gesetze, die Formen des Zusammenlebens mehr fördere als die Ehe und Familie“. Franziskus ordnete diese Zusammenhänge in einen größeren Kontext ein: eine „gleichmacherische Globalisierung“, die Unterschiede einebnet und „die Kulturen selbst aussortiert“ und so die Identität der einzelnen Völker unterminiert. In einer „uniformierten und ihrer Identität beraubten Welt" seien viele Menschen entmutig und hätten buchstäblich den Lebenssinn verloren. Die fortdauernde Wirtschaftskrise verschärfe dieses Drama noch.

 

Asienreise

Seine Reise nach Sri Lanka und die Philippinen, die er noch am Montagabend antritt, bezeichnete Franziskus als Ausdruck seiner pastoralen Sorge für alle Völker Asiens, also auch Koreas sowie Chinas, das der Papst bei der Rückreise zum zweiten Mal überfliegen wird. Weder mit Nordkorea noch mit China unterhält der Heilige Stuhl diplomatischen Beziehungen. In seiner Ansprache an die Botschafter sagte Franziskus, er wolle den asiatischen Ländern und ihren Regierungen „nochmals die Sehnsucht des Heiligen Stuhles bekräftigen, seinen dienenden Beitrag zum Gemeinwohl, zur Harmonie und zur sozialen Eintracht anzubieten. Besonders wünsche ich mir eine Wiederaufnahme des Dialogs zwischen den beiden Koreas, die Zwillingsländer sind und dieselbe Sprache sprechen.“

 

Früchte des Friedens

Einen langen abschließenden Teil seiner Ansprache widmete Franziskus positiven Entwicklungen in der Weltpolitik. Dass eine „Kultur der Begegnung“ möglich sei, habe er beispielsweise in Albanien gesehen. Trotz der Wunden in seiner jüngeren Geschichte sei Albanien gekennzeichnet von einem friedlichen Zusammenleben zwischen Katholiken, Orthodoxen und Muslimen. „Das ist ein bedeutendes Zeichen dafür, dass ein aufrichtiger Glaube an Gott zum anderen hin öffnet, Dialog hervorbringt und für das Gute wirkt.“ Hingegen rühre Gewalt „immer von einer Mystifizierung der Religion her“. Die Religionen selbst dienten dann als Vorwand für ideologische Projekte, die ihrerseits nichts anders als „das Herrschen des Menschen über den Menschen“ zum Ziel habe. Die Türkei lobte Franziskus abermals für ihre Fortschritte im interreligiösen Dialog und für Aufnahme von Flüchtlingen, letzteres gelte auch für Jordanien und Libanon, „dem ich die Überwindung der derzeitigen politischen Schwierigkeiten wünsche“.

 

Kuba und Guantanamo

Auch den bedeutenden diplomatischen Erfolg des Heiligen Stuhles mit Blick auf Kuba benannte Franziskus. Es sei ein „mir sehr teures Beispiel dafür, wie der Dialog wirklich aufbauen und Brücken schaffen kann.“ Die Vereinigten Staaten und Kuba hätten beschlossen, einen Schlussstrich unter fünf Jahrzehnte Schweigen zu legen „und sich zum Wohl der Bürger in beiden Staaten wieder anzunähern“. Zufrieden zeigte sich der Papst mit der geplanten Schließung des US-amerikanischen Gefangenenlagers von Guantanamo auf Kuba; er würdigte die Bereitschaft jener Länder, die Häftlinge von dort aufnehmen. Fortschritte gebe es auch in Burkina Faso, Kolumbien, Venezuela und auf den Philippinen. Er setze überdies Hoffnung auf eine Einigung mit Iran zur friedlichen Nutzung der Atomenergie, sagte Franziskus.

 

70 Jahre Vereinte Nationen

2015 jährt sich das Endes des Zweiten Weltkriegs zum 70. Mal. Aus der Asche jener unendlichen Tragödie, formuliert der Papst, sei unter den Völkern eine neuer Wille zum Dialog erstanden: Die Vereinten Nationen wurden gegründet. Franziskus zitierte seinen seligen Vorgänger Paul VI. mit seiner Ansprache vor der UNO in New York 1965: „Nie wieder Krieg, nie wieder Krieg! Der Friede, der Friede muss das Schicksal der Völker und der gesamten Menschheit anleiten.“ 

 

(rv 12.01.2015 gs)








All the contents on this site are copyrighted ©.