2015-01-10 18:53:00

Dekorieren für Päpste: Ein Besuch im vatikanischen Ausstattungsamt


Im Vatikan gibt es sichtbare und unsichtbare Realitäten. In alle Welt hinausgetragene Botschaften und stille Szenenwechsel. Goldglänzendes und Farbloses. An der Schnittstelle beider wirkt ein vatikanisches Amt mit einem rätselhaften Namen: die „Floreria“. Mit Blumen, wie der Name es vermuten lässt, hat die Floreria nichts zu tun. Hantiert wird dort mit Möbeln, Teppichen, vergoldeten Papstwappen, Kandelabern und 50.000 Plastikstühlen. Wo immer der Papst im Vatikan öffentlich zu sehen ist, haben die Mitarbeiter der Floreria ihre Hände im Spiel, doch im Bild sind sie nie. Es ist eine nach außen hin geräuschlos ablaufende Maschinerie. Gudrun Sailer hat sie besichtigt.

 

Ingenieur Paolo Sagretti ist gut organisiert. Andernfalls würde er keinen seiner Arbeitstage überleben. Der päpstliche Floriere, ein hochgewachsener und dynamischer Mann, empfängt uns pünktlich in einem winzigen Zimmerchen mit mehreren Papstgemälden, das zu seinem Büro gehört. Es liegt am Cortile di San Damaso, dem repräsentativen Innenhof des Apostolischen Palastes, doch die Tür zur Floreria ist so unscheinbar, dass wir sie ohne den Fingerzeig des Schweizergardisten kaum gefunden hätten. Das erinnert im Ganzen an den Dienst, der hier geleistet wird. Er soll durch Unauffälligkeit glänzen. Paolo Sagretti:

„Die Floreria organisiert logistisch alle Zeremonien des Heiligen Vaters, im Apostolischen Palast und  im Petersdom und in den übrigen drei päpstlichen Basiliken außerhalb des Vatikanstaates. Das ist die Hauptsache. Außerdem unterhalten wir drei Werkstätten, eine für Arbeit mit Stoffen, die Polsterei, eine weitere für Vergoldung und eine dritte für Tischlerei und Restaurierung. Über diese Werkstätten bewerkstelligt die Floreria die Möblierung und Instandhaltung aller Räumlichkeiten zur Repräsentation, im Apostolischen Palast und in den Büros in- und außerhalb des Vatikanstaates, auch in der päpstlichen Sommerresidenz Castelgandolfo, im Lateranpalast undsofort.“

Kurz: Die Floreria besorgt die ständige und die ad hoc-Raumausstattung für den Papst und seine höherrangigen Mitarbeiter. Deshalb gehören nicht bloß Papstmessen und Audienzen zu den Standards, sondern auch die Wohnungseinrichtung für Kardinäle und Büroausstattung inklusive aller Umzüge. Gut 40 Vatikanbedienstete sind in der Floreria beschäftigt, und sehr intensiv beschäftigt. „Wir laufen von früh bis spät“, erklärt Sagretti. Das liege vor allem an den vielen päpstlichen Zeremonien.

„Wir haben hier eine Abteilung, in der man nicht sagen kann, machen wir es halt morgen. Wenn die Zeremonie heute ist, ist sie heute. Und sie muss vorbereitet werden, in Eile, aber doch. Wir erhalten vom päpstlichen Haus einen Kalender, aber der wird täglich mit neuen Veranstaltungen aufgefüllt. Es ist ein andauerndes Rennen. Wir haben nie tote Zeiten. Nie!“

Die Werkstätten und Magazine der Floreria sind über mehrere Standorte im Vatikan verstreut. Bei den Möbelrestaurateuren sind soeben zwölf mächtige Sessel in Arbeit, es wird gesägt, gefräst und gehämmert. Die Sessel schickte die Casa Santa Marta: In seiner Residenz empfängt Papst Franziskus viele Gäste, und der Leiter des Hauses achtet darauf, dass der Repräsentationscharakter der Räumlichkeiten nicht unter bestimmte Mindestanforderungen sinkt. Die Abteilungen der Floreria arbeiten Hand in Hand, einen Papst ohne passende Sitzgruppe will sich hier niemand vorstellen.

„Es gibt das Team der Ausstatter. Die machen Umzüge, transportieren, sorgen für die Bestuhlung. Wir hier restaurieren die Möbel und machen sie schön, die Polsterer beziehen sie mit Stoff. Und die Vergolder vergolden. Jeder hat seine Aufgabe. Aber wenn es einen Notfall gibt, dann wäscht die eine Hand die andere!“

Fröhliche Ordensfrauen – Calasanzianerinnen – arbeiten in der Näherei, die der Polsterei angegliedert ist. Der Erzpriester von Sankt Paul Kardinal Harvey hat neue Vorhänge bestellt. „Da haben wir zu zweit dran genäht, die eine saß an der Maschine, die andere zog den Stoff“, erzählt Schwester Pascalina aus dem Kongo. Acht Meter Stoff waren es. Das ist bescheiden, verglichen mit dem Aufwand bei einer Papstwahl.

„Kilometerweise Vorhänge! Für das letzte Konklave waren es 500 Meter Stoff.  Wir haben die Nähmaschinen in einen eigenen Raum in der Nähe der Sixtina getragen, weil es so viel Stoff war.“

In der Polsterei arbeitet Werkstattleiter Mauro Viscontini an einem Sitzpolster für einen Sessel, den Kardinal Bertello etwas unbequem fand, nebenan wird gelber Damast über die Rückenlehne eines Möbels gespannt.

„Einen Diwan neu zu überziehen, ist wie ein Maßkleid zu schneidern. Es muss perfekt sein, faltenfrei, linear und glatt“, erläutert Viscontini sein Metier. Vorbei geht es an einer Stoffmuster-Kollektion, wie man sie umfangreicher in jedem Ausstattungshaus finden kann, in ein Depot.

„Das hier ist das Lager, wo wir alle Stoffe für den Heiligen Vater und den Vatikan und Castelgandolfo aufbewahren, die wir haben. Für die Päpstlichen Paläste also. Hier sehen Sie die Damaste, die gewöhnlich auf die Wände tapeziert werden, die größeren Räume dort sind alle mit Damast ausgekleidet.“

In den Schubladen versteckt sich manch textile Kostbarkeit, Seidenstoffe und handgewirkte Zierbänder aus dem 17. Jahrhundert fördert Viscontini zutage.

„Stickereien in Gold, angefertigt von Schwestern, ich glaube in Florenz oder in Turin. Diese Stickereien wurden gebraucht für Standarten und Baldachine von Kardinälen.“

Aussterbende, vielmehr: bereits ausgestorbene Kunstfertigkeit. Seit langem benutzt kein Kardinal mehr goldgewirkte Baldachine im Vatikan. Auch beim Wohngeschmack der meisten Purpurträger macht sich heutzutage – ganz allgemein – ein Franziskus-Effekt bemerkbar. Der Floriere Paolo Sagretti: „Wissen Sie, wenn jemand im fortgeschrittenen Alter die Gewohnheit ändern muss, ist das nicht einfach. Aber eine leichte Änderung sehen wir doch, es werden derzeit etwas nüchternere Dinge nachgefragt. Zum Beispiel bei den vergoldeten Objekten, den Wandtischchen und Lampen, da neigt man dazu, sie nicht mehr so opulent zu wünschen sondern eher aus Holz.“

Die Floreria stellt den Kurienleitern die Möbel kostenlos zur Verfügung. Für die Instandhaltung allerdings müssen die Nutznießer mit Ausnahme des Papstes selbst aufkommen. Auch Sonderwünsche bei den Stoffen gehen auf eigene Rechnung. Das meiste Mobiliar wurde vor mehr als 70 Jahren geschreinert, einiges ist weitaus älter und wertvoller; es gehört gewissermaßen schon immer dem Vatikan, oft via Erbschaften, erzählt Sagretti. Heute komme es aber praktisch nicht mehr vor, dass sterbende Prälaten oder papsttreue Adelige dem Vatikan etwas vermachen. Hie und da werden Neuanschaffungen fällig. „Wir fahren auch mal zu Ikea“, gesteht der vatikanische Chef-Ausstatter, „aber nur für kleine Büromöbel“.

Alles in allem verwaltet Ingenieur Sagretti an die 40.000 Objekte im Vatikan-Besitz, von der 300 Jahre alten Saloneinrichtung bis zur Nachttischlampe, von der Vierer-Kniebank bis zu den Dutzenden Bildern ohne künstlerischen Wert, wie Päpste sie andauernd geschenkt erhalten – die guten kommen in die Museumsdepots, die anderen zu Sagretti. Sofern sie nicht im Einsatz sind, lagern die Objekte in einem von etwa zehn Magazinen.

„Diese Magazine sind im ganzen Vatikan verstreut, unbequem, sehr unbequem, für das, was wir tun müssen, also Hervorholen, Transportieren, Einlagern. Für Objekte, die ja teils auch empfindlich sind, bräuchte es ein geeignetes Magazin, das haben wir nicht. Unsere Magazine sind eingekeilt in alte Palazzi oder Garagen. Es sollte ein eigenes Magazin gebaut werden, aber das Vorhaben wurde vor drei, vier Jahren blockiert, und wir warten immer noch auf einen zugänglicheren Platz zum Unterstellen.”

Die vatikanischen Möbellager sind „heilige Orte“, scherzt Umberto Antonelli, einer der Aufseher. Nur Auserwählte dürfen hinein, nicht aber noch so hochstehende Prälaten auf der Suche nach passender Möblierung.

„Wer Möbel braucht, schreibt eine Anfrage an den Kardinalpräfekten, der die Floreria autorisiert, tätig zu werden. Dann darf der Betreffende uns um Möbel bitten. Ich möchte einen Tisch für acht Personen mit acht Stühlen und eine Nusskredenz. Wenn wir sie haben, holen wir sie hervor und zeigen sie ihm, welche möchten Sie? Aber niemand darf in die Depots der Floreria eintreten."

Wir durften. Es sieht aus wie in anderen Möbellagern auch und hat doch seine Eigenheiten. Kein anderes Möbellager bietet ein Kruzifix wie jenes große schwarzgoldene, das der Papst bei jeder Generalaudienz neben sich stehen hat. In keinem anderen Magazin lagert der Teppich, der bei den Priesterweihen im Petersdom zum Einsatz kommt, auf den sich die Weihekandidaten längs hinlegen, mit dem Gesicht nach unten.

„Dieser Teppich muss von zehn Männern getragen werden, so schwer ist er. Er ist auf einer Rolle aus Holz aufgerollt, wiegt 400 Kilo und wird von Hand in die Terza Loggia getragen; die Loggien sind sehr hoch, zwei normale Stockwerke.“

Und noch so eine Eigenheit in der zeremoniellen Ausstattung der Päpste, die uns gar nicht bewusst war:

„Wo immer der Papst ist, muss ein Teppich sein. Zum Beispiel am 8. Dezember, wenn der Papst zur Spanischen Treppe fährt, da ist diese Zeremonie mit der Verehrung der Muttergottesstatue. Und der Papst hat bei jedem Schritt einen Teppich unter den Füßen.“ Was zum amtierenden Papst nicht so recht passen will. Ob Franziskus die Floreria einmal anweist, den Teppich beim nächsten Mal eingerollt im Vatikan zu lassen? Oder ob er sich das verkneift, aus Zartgefühl für seine Mitarbeiter etwa? Umberto Antonelli nämlich erklärt uns: „Das ist kein Prunk, sondern einfach etwas, das man unter den Füßen hat, zur Hervorhebung der Würde seiner Person. Ein Teppich eben, keine Spezialeffekte, kein Gold, kein Silber. Zur Zierde – auch unserer – legen wir unter die Füße des Papstes einen Teppich.“

Die Königsdisziplin der vatikanischen Ausstatter ist das Konklave. Bis zu Johannes Paul II. war die Floreria für alles bis hin zu den Feldbetten rund um die Sixtina zuständig, in denen die Kardinäle spartanisch nächtigten. Das dann errichtete Hotel Santa Marta, die heutige Papstresidenz, schickte die Feldbetten in Pension, zumindest für Kardinäle. Im Einsatz sind sie noch für die Ausstatter selbst, die zum Konklave auch vier Nächte am Stück in den Depots schlafen, weil sie dem Camerlengo uneingeschränkt zu Diensten stehen. Der berühmte Ofen, der schwarzen oder weißen Rauch aus der Sixtina bläst, wartet in einem der Magazine der Floreria auf seinen nächsten Einsatz, neben den Stühlen, die auch bei der Papstwahl eine logistische Schlüsselherausforderung sind.

„Wir haben Stühle für alle. Und da gibt es verschiedene Kategorien. Für den Kardinal: Gold. Für den Bischof: auch Gold, aber etwas andersfarbiges Gold. Für den Heiligen Vater gibt’s den Thron. Papst Franziskus benutzt ihn nicht, er will keinen Prunk-Thron, aber wir haben ihn natürlich vorrätig. Wir sind jederzeit dazu in der Lage, das ganze Kardinalskollegium aufzunehmen, Wähler und Nichtwähler. Wir haben zwei- bis dreihundert dieser goldenen Stühle.“

Überhaupt, die Sitzgelegenheiten im Vatikan: Das Verhältnis zwischen Stühlen und Bürgern ist in keinem anderen Staat so disproportional wie im Papststaat. 500 Bewohner, 50.000 Stühle, grob gerechnet. Die allermeisten stehen im Magazin unter der Audienzhalle, sie werden für die wöchentliche Generalaudienz gebraucht, sind aus Hartschalenplastik und müssen Sonne und Regen aushalten. Am anderen Ende der Skala rangieren verschiedene Papst-Throne sowie, unmittelbar darunter, die Kardinals-Sessel für die Papstmessen, nicht zu verwechseln mit jenen fürs Konklave.

„Hier die Kardinals-Sessel für die Messen, vergoldet und mit beigem Samt bezogen. Sie kommen bei den Papstliturgien zu Einsatz, in der Basilika und auch draußen auf dem Petersplatz. Sie sind mit 24-karätigem Gold vergoldet, reinem Gold. Kein Falschgold.“

In all dem Gold spiegelt sich die lange höfische Tradition des Papsttums; ähnlich glänzt es bis heute in den meisten Staats- und Regierungskanzleien der Welt. Dort, wo das äußere Gepräge auf den Gast und damit die Welt zielt, ist Gold auf Ornament oft erste Wahl. Im Vatikan gesellt sich überdies das Motiv des Dienstes am Höchsten dazu: alles zur Ehre Gottes. Zeit für einen Abstecher in die Vergoldungs-Werkstatt der Floreria.

„Zu restaurieren gibt es hier sehr viel…!“, erklärt Werkstattleiter Massimo Buonamici. Sitzfläche gegen Sitzfläche, die goldenen Beine in die Luft gereckt, warten Stühle auf ihre Restaurierung. An den Wänden Gipsmodelle verschiedener Papstwappen und bündelweise leere Bilderrahmen. Es riecht nach Leim, Lack und Staub. In der Ecke glänzt ein massives Möbel. Buonamici lüpft die Folie:

„Das ist das Evangeliar, das man bei den großen Festmessen mit dem Papst im Petersdom sieht, in der Christmette zum Beispiel. Ein wunderbares Stück aus der Zeit von Leo XIII. von der vorletzten Jahrhundertwende. Das muss man wegen seines Alters nach jedem Einsatz begutachten und stückchenweise ausbessern.“

Buonamicis Kollegin hat einen Kandelaber unter den Händen. Vorsichtig schabt sie eine schadhafte Stelle ab. „Wir vergolden nach einer Technik, die seit dem Spätmittelalter unverändert ist. Die Basis ist ein Spezialmörtel aus Lehm, darüber kommt Kaninchenleim. Das Blattgold wird mit einem ganz feinen Messer zugeschnitten, dann hochgehoben und mit einem Pinsel aufgetragen. Dazu braucht es Meisterschaft. Die Ausbildung zum Vergolder dauert mindestens fünf Jahre.“

Das alles ist sichtbar und unsichtbar zugleich. Wenn die Papst-Scheinwerfer angehen, stehen da in größter Selbstverständlichkeit diese Objekte, als hätten sie immer da gestanden. Die Leute von der Floreria sind nie im Bild. Sie haben ihr Werk schon vollbracht und kommen erst hinterher wieder. Es ist kein Dienst wie jeder andere, sagt Umberto Antonelli.

„Wir sind nicht bloß Polsterer, Tischler, Restaurateure, Vergolder. Die Floreria ist ein Dienst für den Heiligen Vater. Jeder seiner Wünsche – Papst Franziskus hat wenige Wünsche – aber alles, was Zeremonie ist, alle seine öffentlichen Auftritte, die ja in die ganze Welt ausgestrahlt werden, das muss perfekt sein. Sowohl für den, der zelebriert, als auch für den, der assistiert. Wer assistiert, soll es bequem haben, soll in der besten Lage sein, zuzuhören und mitzufeiern. Wir achten auf alles. Und auf den Heiligen Vater.“

 

(rv 11.01.2015 gs)








All the contents on this site are copyrighted ©.