2014-12-20 10:12:00

Diesseitiges Jenseits: Wo Religion heute lebendig ist


Unser Buchtipp: Hubertus Lutterbach – Vom Jakobsweg zum Tierfriedhof.

 

Es ist eine Binsenweisheit: Religion sieht heute anders aus als noch vor 30 oder 40 Jahren, sie drückt sich aus im Massenphänomen des Pilgerns, in Kritik an der Institution Kirche, in säkularer Trauer oder im Motto „Einfach Leben!“ des Benediktinermönches und Autors Anselm Grün. Völlig verschiedene Phänomene, wo heute Religion lebt.

 

Untersucht hat sie Hubertus Lutterbach, Professor für Christentums- und Kulturgeschichte in Essen. Das alles seien Weisen, wie Religion heute lebendig sei, erklärt er im Gespräch mit Radio Vatikan. Von religiösen Phänomenen heute ausgehend wolle er mit seinem Buch die Brücke schlagen zur Vergangenheit und Religion insgesamt.

 

Zum Beispiel das Pilgern, manchmal touristisch, manchmal tief religiös, die Buchläden sind voll solcher Werke. Lutterbach sieht hier drei verschiedene Aspekte von Religiosität. Zum einen gäbe es dort „Räume für die eigene Individualität: Ich pilgere als Original, ich pilgere als Einzelwesen.“ Zweitens treffe man aber beim Pilgern andere Einzelwesen, so entstehe etwas, was man Ganzheitlichkeit nennen könne, ein Miteinander. Drittens sei gerade dadurch aber auch der eigentliche Ursprung des Pilgerweges, die große christliche und kirchliche Tradition, für diese Individuen gar nicht mehr bemerkbar. „Das heißt für mich sehr stark auf Individualität bezogen, aber wenig an kirchliche Institutionen rückgebunden.“

 

Ähnliches diagnostiziert Lutterbach an einem völlig anderen Phänomen, der Frage der Glaubwürdigkeit. Dem geht er anhand von Bischofsrücktritten nach, dem von Margot Kässmann und dem von Walter Mixa. „Bis vor noch gar nicht so langer Zeit waren Amtsträger durch ihre Institutionen ab gesichert. Sobald die Öffentlichkeit aber meint festzustellen, dass hier Unglaubwürdigkeit vorliegt, dann fällt dieser institutionelle Schutz weg.“ Es gibt also eine Parallele zum ersten Beispiel: Die Individualisierung. Das Amt wird aus der Struktur heraus gelöst. „Dem würde ich unbedingt zustimmen“, sagt Lutterbach.

 

Der zweite Punkt, das Miteinander und das Soziale, gehöre aber genauso zur heute gelebten Religion dazu: Das aufeinander angewiesen Sein, das aneinander Denken und das Sorgen. „Während das aber in der christentumsgeschichtlichen Tradition ganz lange und selbstverständlich auch immer einen jenseitigen Bezug hatte – die Lebenden denken an die Verstorbenen – ist dieser Bezug inzwischen sehr verdiesseitigt. Man könnte es anders sagen: Während im Barock der Himmel bis hin zu den Deckengemälden noch selbstverständlich offen war, ist er heute für viele Menschen geschlossen.“

 

Es bleibt die Frage, wo Gott in all dieser Religion ist. Als Theologe findet Lutterbach diese Frage beunruhigend. „Es ist eine ganz starke und für viele Menschen heute selbstverständliche Verdiesseitigung. Die Rede von Gott als einer jenseitigen Macht, wohlmöglich als einer Macht, gegenüber der wir uns als Christen verantworten – jetzt und in Zukunft – ist sehr schwer zu vermitteln.“

 

In den von ihm untersuchten Phänomenen jedenfalls ist sie nur ganz am Rande vorgekommen.

 

Das Buch ist im Verlag Butzon und Bercker erschienen und kostet etwa 25 Euro.

 

(rv 17.12.2014 ord)








All the contents on this site are copyrighted ©.