2014-12-15 13:42:00

Jahr der Orden: „Ich musste einfach springen“


Es ist ein Festtag in der Via Cassia 645, hoch oben auf dem Berg eines äußeren Stadtteils von Rom. Mehrere hundert Menschen feiern in dem Hauptsitz der Steyler Missionsschwestern mit einem Gottesdienst das 125-jährige Jubiläum des Ordens. Die „Dienerinnen des Heiligen Geistes“ kommen aus vielen Nationen, Frauen aus beinahe 50 Ländern der Welt gehören der missionarischen Ordensgemeinschaft an: Freundliche Schwestern aus Asien drängen die Besucher zur heiligen Kommunion, am Einlass steht eine spanische Schwester und begleitet verspätete Gäste in die Hauskapelle – und gerade legt eine zierliche junge Frau ihre Gitarre zur Seite, um eine Fürbitte zu sprechen.

Schwester Michaela Leifgen hat sich nach ihrem Abitur in Bonn und einem freiwilligen Auslandseinsatz in Brasilien bereits vor zwölf Jahren für das Ordensleben entschieden - und senkt den Altersdurchschnitt mit ihren 32 Jahren immer noch beträchtlich. In seinem Brief zum Jahr des geweihten Lebens machte Papst Franziskus den Orden Mut, die „Zukunft voll Hoffnung“ zu ergreifen – das Nachlassen der Berufungen und die Überalterung sei eine der Schwierigkeiten, die das geweihte Leben in seinen verschiedenen Formen herausfordern. Auch die 79-jährige Steyler Missionsschwester Ortrud hat noch andere Zeiten erlebt.

„In diesen großen kinderreichen Familien, da war immer die Hälfte frei für das Ordensleben, Priestertum oder für eine Magdstelle. Da waren ja manche Geschwister, die sind einfach auf dem Hof geblieben als willkommene Knechte und Mägde und da hat sich manche dann gesagt – das finden Sie manchmal auch in Briefen – wenn zum Beispiel eine nach Steyl kommen will und schreibt – so einen Brief haben wir – „Ich käme gerne als Schwester, ich komme aber auch gerne als Magd. Vielleicht ist für mich Magd besser als Schwester. Im Grunde machen die doch dasselbe…“. Und so sind die dann gekommen. Und heute, wo gibt’s denn heute noch zwölf Geschwister, wo sechs freigemacht werden können für das?“

Nachwuchsperspektiven

Vor allem in Europa kämpfen die katholischen Ordensgemeinschaften mit Nachwuchssorgen. Die Steyler Missionarinnen mussten zuletzt sogar ein englischsprachiges Noviziat einführen, um zumindest eine Handvoll Anwärterinnen aus den verschiedenen Ländern gemeinsam ausbilden zu können. Für die 32-jährige Michaela, in ihrer deutschen Heimat die zweitjüngste Schwester, ist das sogar reizvoll.

„Ich mag besonders gerne, dass wir verschiedene Kulturen sind, weil ich so eben viel über andere Kulturen lerne und ich finde dass es einfach so eine Weite gibt, die es in einem rein deutschen Orden nicht gäbe. Ich kann mir gut vorstellen, noch mal in ein anderes Land zu gehen, noch mal eine neue Sprache zu lernen, neue Gewohnheiten, neue Menschen und Sichtweisen, das fasziniert mich total.“

Nach einem ersten Studium und einem journalistischen Volontariat studiert Schwester Michaela aktuell im dritten Jahr Psychologie an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Später will sie als Psychologin arbeiten und insbesondere Ordensleuten helfen, ihre Berufung besser zu verstehen und Blockaden abzubauen. Damit sie sich ganz auf das zeitaufwendige Studium konzentrieren kann, wohnt sie unter der Woche in einem Wohnheim in der Stadt. Äußerlich ist sie von ihren Kommilitonen kaum zu unterscheiden – auch wenn es ein Minirock sicherlich nicht mehr in ihren Schrank schafft, verzichtet sie auf das Tragen der Ordenstracht. An Michaelas Generation ist es, sich an die Tradition zu erinnern und gleichermaßen auch neue Wege zu gehen.

In seinem Brief zum Jahr des geweihten Lebens wandte sich Papst Franziskus auch direkt an die jungen Schwestern und Brüder: „Ihr seid die Gegenwart, denn ihr lebt bereits aktiv im Innern eurer Ordensinstitute und leistet einen entscheidenden Beitrag mit der Frische und der Großherzigkeit eurer Entscheidung. Zugleich seid ihr die Zukunft eurer Gemeinschaften, denn bald werdet ihr berufen sein, die Leitung des geistlichen Lebens, der Bildung, des Dienstes, der Sendung in die Hand zu nehmen.“

Ihr seid Gegenwart und Zukunft

Auch wenn der Nachwuchs in den Klöstern zunehmend weniger wird: für die nahe Heidelberg geborene Schwester Ortrud ist das kein Grund zur Sorge. Dass materielle Grundsicherung beim Ordenseintritt keine Rolle mehr spiele, sei ein Vorteil. Von den vier Novizinnen aus Ungarn, Österreich und der Slowakei, die aktuell im Hauptsitz der Steyler Missionsschwestern leben, hätten alle studiert.

„Die sind also nicht mehr 18. Und eine davon hat sich die Missionsarbeit vor Ort angesehen und hat sich dann dafür entschieden. Früher wollte man die möglichst jung haben, damit die die Sprachen noch lernen konnten und wegen der besseren Formbarkeit. Und wenn heute eine junge Frau kommt und eintritt, die kann sich vorher genau erkundigen, was da auf sie zukommt und kann dann ihre Wahl treffen.“

Bei den Steyler Missionsschwestern kommt für sie vor allem das Leben im Ausland zu.

„Wenn zum Beispiel zu uns eine kommt und sagt: Mir gefällt das ganz gut bei euch, aber ich möchte nicht nach Afrika, nicht nach China und nicht nach Asien. Dann sagen wir: Dann gehen Sie besser woanders hin. Denn wir geben keiner Schwester das Versprechen, dass sie im Land bleiben darf. Im Gegenteil: Die müssen raus, auch wenn es Tränen kostet.“

Die ganze Welt

Das Ordensleben ist generell einem Wandel unterworfen. Dass das nicht nur den raren Nachwuchs betrifft, weiß Schwester Ortrud.

„Heutzutage geht man gewöhnlich nicht mehr fürs ganze Leben, schon deshalb, weil wir einen Papierkrieg haben, den es früher nicht gab. Unser Stifter zum Beispiel – der konnte eine Schwester mitschicken von jetzt auf nachher, von einer Woche zur anderen. Die drei, die reisen nächste Woche ab, aber für vier ist es derselbe Fahrpreis, denn ich muss eine Kabine mieten, also schicken wir eine vierte mit. Die sucht er aus: Was könnten die noch für eine Berufung brauchen? Hauswirtschaftlich, Schule, Textil?“

„In viele Länder kommen wir ja überhaupt nicht mehr hinein, so wie zum Beispiel in Indien. Und dann, wenn sie die Zusage haben, dass sie da hinein dürfen, dann müssen sie sehen, dass sie die Papiere bekommen, das Visum. Und dann fliegen sie hin und sind in zwölf Stunden da. Von Frankfurt nach Bangalore brauchen sie genau acht Stunden, früher ja schon auch mal sechs bis acht Wochen.“

Globalisiertes Ordensleben

Das Ordensleben ist durch die Globalisierung auch schneller geworden, unmittelbarer. Zwischen Tradition und Moderne haben die Gemeinschaften jedoch nach wie vor ihren Platz in der Welt und ziehen neue Mitglieder an. „Die Hoffnung, von der wir sprechen, gründet sich nicht auf die Zahlen oder auf die Werke, sondern auf denjenigen, auf den wir unsere Hoffnung gesetzt haben (vgl. 2 Tim 1,12) und für den „nichts unmöglich“ ist (Lk 1,37). Das ist die Hoffnung, die nicht enttäuscht und die dem geweihten Leben erlauben wird, in der Zukunft weiter eine bedeutende Geschichte zu schreiben“, schreibt Papst Franziskus. Auf die Zukunft müssten wir unseren Blick richten, in dem Bewusstsein, dass der Geist uns auf sie zutreibt, um weiterhin Großes mit uns zu vollbringen. Novizen und Novizinnen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung sind mit ihren fachlichen Kompetenzen auch eine Bereicherung für die Orden. Und die Ausbildung bietet ihnen selbst auch Sicherheit: Sollte es mit dem Ordensleben doch nicht klappen, können sie im Gegensatz zu früher wieder in ihren Beruf zurückkehren. Der hohe Bildungsstand ermöglicht erst die reflektierte Entscheidung für ein Leben in Armut, Gehorsam und Keuschheit.

„Die hätten ja auf der Universität – und haben sie sicher auch – die jungen Männer kennengelernt, von denen sie sich gesagt haben: Zu dem könnte ich passen, mit dem könnte ich gehen. Aber dann haben sie gemerkt „Ich werde irgendwie anders geführt“ – und das gilt heute noch genauso wie früher.“

Orden oder Familie?

Ähnlich ging es auch Michaela. Sie hatte schon als Jugendliche den ersten Freund. Eine Familie zu gründen, hätte sie sich damals vorstellen können. Doch irgendwie erschien ihr die Beziehung zu einem Menschen zu eng, das Ordensleben bot ihr mehr Erfüllung. Das änderte sich auch nach ihrem Eintritt vor zwölf Jahren nicht.

„Ich hab mich schon mal verliebt als Ordensschwester. Ist es nicht vielleicht doch die Ehe, sollte ich vielleicht nicht doch heiraten? Aber das so durchzudenken, hat mich schon wieder dazu gebracht, dass ich denke: Das allein reicht mir nicht. Also die Beziehung alleine füllt mich nicht aus, das ist nicht genug.“

Ganz im Sinne von Franziskus’ Hoffnungen für das Jahr des geweihten Lebens kann sich Schwester Michaela auch vorstellen, enger mit anderen Ordensgemeinschaften zu kooperieren und vielleicht sogar unter demselben Dach zu leben. Die 32-jährige weiß, dass sie trotz mancher Zweifel die richtige Entscheidung für ihre Zukunft getroffen hat.

„Ich hab selbst auf den Moment gewartet und gehofft, dass ich irgendwann ganz sicher bin und weiß, das ist genau das, was ich will. Aber dieser Moment ist nie gekommen. Es gab nicht so die Erleuchtung vom Himmel oder die Stimme vom Himmel, aber es gab einfach so den Moment, in dem ich gedacht habe, ich muss es jetzt einfach trotzdem machen. Einfach mit der Sicherheit, die ich habe und auch mit einer gewissen Risikotoleranz, jetzt einfach zu springen.“

(rv 11.12.2014 kin)

 








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