2014-12-14 13:05:00

Krippenkunst in Neapel: Ein Besuch in der Werkstatt


In der süditalienischen Stadt Neapel gibt es eine Straße, die das ganze Jahr über einer einzigen Sache gewidmet ist: nämlich der neapolitanischen Krippe. Via San Gregorio Armeno, oder auch „Via dei pastori“, also die Straße der Hirten genannt. Sie hat derzeit Hochsaison.

 

Gedränge in der engen Gasse, vor allem jetzt zur Adventszeit. Klingende Weihnachtslieder aus allen Ecken, leuchtende Lichterketten und Krippen. Krippenszenerien: von klein bis groß, Häuser, Paläste, Tempel, Märkte, Figuren aus Holz, Ton, Utensilien jeder Art. Man scheint inmitten einer Puppenwelt angekommen zu sein. In manchen Krippenfiguren identifiziert man Politiker und Fernsehstars, anderes ist chinesischer Kitsch; auch die traditionsreiche Krippenstraße in Neapel ist im 21. Jahrhundert angekommen.

 

„Papa Francesco, Berlusconi e Renzi“

 

Das sind die Top-3 Verkäufe der Krippenfiguren in der historischen Krippenwerkstatt Bottega Ferrigno, erzählt Gennaro Pugliano. Der 37-Jährige arbeitet seit vier Jahren dort, wo alles noch so gemacht wird wie im 18. Jahrhundert. Er hat schon als Junge angefangen Figuren zu sammeln und anfangs half er mit, kleine Croissants zu formen. Heute macht er hauptsächlich:

 

„Tiere, Hände Füße…. Wir rekonstruieren hier eine überarbeitete Variante des neapolitanischen Hirten des 18. Jahrhunderts. Dieser besteht aus einem aus Terrakotta gebastelten Kopf mit Glasaugen und ist handbemalt. Hände und Füße sind aus Holz und der Körper aus beweglichem Eisendraht geformt, damit er gelenkig ist.“

 

Die ursprünglich figürliche Darstellung der Heiligen Familie im Stall mit dem Jesuskind in einer Krippe, mit Ochs und Esel und meist mit der Anbetung der Hirten und der Weisen aus dem Morgenland hat eine lange Tradition. Sie geht zurück bis ins Mittelalter und hat ihren Anfang in den Mysterienspielen im 10. und 11. Jahrhundert, angeregt durch die Krippenfeier des heiligen Franz von Assisi (1223), gefördert und verbreitet durch die Jesuiten. Eine Hochblüte erlebte die Krippenkunst im Barock, vor allem in Sizilien und Neapel, später auch in Tirol oder München. In Neapel ist die Krippe auch heute noch wichtiger als der Weihnachtsbaum. Sie ist bekannt für die Vielzahl der weltlichen Figuren und die Geschichten, die hinter jeder Figur steht:

 

„Es gibt Bennino, das ist der der schlafende Hirte, der von der Krippe träumt. Er wird immer vor die Krippe gestellt. Und es gibt auch den Teufel in der neapolitanischen Krippe. Der Teufel will Bennino wecken, der friedlich von der Krippe träumt, damit der Traum der Krippe verschwindet. “

 

Was eine Krippe alles braucht

 

Der Besitzer der Handwerkstatt Marco Ferrigno führt den Familienbetrieb bereits in dritter Generation. Eine neapolitanische Krippe, erklärt er, sollte mindestens elf Figuren haben.

 

„Die Basisfiguren sind elf, sie stellen die Geburt von Jesus dar. Neben Josef, Maria und dem Jesuskind gibt es den Ochs, den Esel, die heiligen drei Könige. Alle Figuren haben auch eine zusätzliche Bedeutung und ein Geschichte. Dann gibt es auch den „Zampagnaro“, den Dudelsack spielenden Hirten, den „Ciaramellaio“, ein Hirte, der auf einer antiken Flöte spielt, und den Engel. Rundherum gibt es da noch viele andere! Meine Lieblingsfigur ist zum Beispiel der Hirte des Wunders. Er ist einfach nur da, ohne nichts. Die Legende besagt, er bringt keine Geschenke so wie die anderen Hirten, er will nur das Wunder bestaunen. Maria verteidigt ihn und sagt, die Welt wird wundervoll sein, solange es Menschen wie dich gibt, die fähig sind, einfach Sachen zu bewundern.“

 

Dann gibt es auch die „Lavandaia“, die Waschfrau, die symbolisch die Sünden abwäscht. Es gibt den Koch, der für den Alltag steht, für die Laster der Welt, für die Völlerei. Ein anderer Krippencharakter ist „Cici Bacco“, der Lenker eines Fuhrwerks: Er fährt mit Weinfässern in Richtung Krippe und bringt symbolisch die Seelen zum Wunder. Die Herstellung einer einzigen Figur dauert im Schnitt mindestens zehn Tage, erklärt Marco Ferrigno.

 

„Es ist ein langer Prozess, der Geduld abverlangt. Liebe ist eine Voraussetzung für diese Arbeit und natürlich die Fähigkeit zeichnen zu können. Denn alles hat seinen Anfang im Zeichnen: das Modellieren, das Gesicht des Hirten; anstatt auf ein Blatt Papier wird es eben auf den Ton gezeichnet. Langsam entwickelt sich das Gesicht, die Form, die Ohren, die Nase und dann kreierst du die Persönlichkeit. Die Inspiration dafür holen wir uns oft von antiken Bildern oder auch von echten Menschen. Meine Lieblings-Hirtin Carmela trägt diesen Namen, weil bis vor 20-30 Jahren hier am Ende der Straße eine Carmela arbeitete. Ihr wunderschönes und ausdrucksvolles Gesicht ist nun die Hirtin Donna Carmela“.

 

Hand, Fuß und Seidenkleider

 

Das Besondere an diesen Krippen ist natürlich die Herstellung. Alles handwerklich, alles selbstgemacht. An einem Tag modelliert man den Kopf, der muss trocknen, gut trocknen, bevor er im Ofen „gebacken“ wird. Dann werden die Glasaugen eingesetzt, bevor der bewegliche Körper, und Hände und Füße aus Holz hinzugefügt werden. Die Kleidungsstücke kommen aus der historischen Seidenmachersiedlung San Leucio bei Caserta, Werkstätten, die heute Teil des UNESCO-Weltkulturerbes sind. Gennaro Pugliano erzählt, dass diese Arbeit zwar viel Mühe Zeit und Genauigkeit abverlangt, doch nichts könne ihn mehr erfüllen:

 

„Es ist die schönste Arbeit auf der Welt. Ich weiß nicht, wer das gesagt hat: Mach das was dir Spaß macht und du wirst nicht einen Tag in deinem Leben arbeiten. Und ich mach das, was mir Spaß macht. Und deswegen bin ich zufrieden.“

 

(rv 12.12.2014 no)








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