2014-11-05 13:49:16

Kriminologe Kury: Kriminalitätsbekämpfung an der Wurzel


RealAudioMP3 Es war eine Grundsatzrede über Missbrauch im Strafrecht, die der Papst vor einigen Tagen vor Strafrechtlern im Vatikan hielt. Franziskus hat dabei zentrale Punkte angesprochen, die in der Kriminologie derzeit auf internationalem Niveau diskutiert werden. Das sagte uns der Kriminologe Helmut Kury. Der emeritierte Professor für Kriminologie und studierte Psychotherapeut war unter anderem Direktor des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen.

„Ich finde es wirklich bemerkenswert, dass der Papst sich mit dem Thema Straffälligkeit beschäftigt. Denn Straftäter sind natürlich Menschen, die etwas Böses gemacht haben. Aber wenn man sie ändern will und man das Problem reduzieren will, dann muss man diese Menschen auch achten und schätzen und ihnen helfen.“

So ist das erklärte Ziel des Strafvollzugs, zumindest in Deutschland, auch die „Resozialisierung“, die „Wiedereingliederung des Täters in die Rechtsgemeinschaft“. Kury hat schon viele psychologische Gutachten über inhaftierte Straftäter erstellt. Er weiß: „Abschreckung hilft bei schwersten Straftaten so gut wie gar nicht.“ Dementsprechend seien auch härtere Strafen „nicht das adäquate Mittel“, um Kriminalität insgesamt zu bekämpfen. Das führt der Kriminologe am Beispiel der Todesstrafe aus:

„Die Todesstrafe ist ein Übel in der Gesellschaft, das letztlich zur Lösung von Konflikten nichts beiträgt - man sieht das auch mehr und mehr ein. Es gibt immer weniger Staaten, die die Todesstrafe praktizieren. Selbst in den USA praktizieren sie von 50 Bundesstaaten nur noch 32, glaube ich - vor allem die Südstaaten. Das Interessante dabei: Diese Südstaaten haben, z.B. Texas, die höchste Mordquote, eine weit höhere als die Bundesstaaten in den USA, die die Todesstrafe nicht haben! Schon daran können Sie sehen, dass die Todesstrafe so gut wie keinen kriminalpräventiven Effekt hat, was schwere Straftaten betrifft.“

Dass Kriminalität viel effektiver an der Wurzel zu bekämpfen sei, habe der Papst in seinen Ausführungen „sehr klug“ dargelegt, so Kury.

„Man muss sich überlegen: Was sind die Hintergründe von straffälligem Verhalten? Und das sind eben vielfach Sozialisationsprobleme in der Familie – die Täter sind oft in gestörten Familien aufgewachsen. Und wenn wir Kriminalität verhüten wollen, dann müssten wir eigentlich bei diesen Sozialisationsbedingungen, also bei der Familienpolitik und Jugendpolitik ansetzen; das ist wesentlich wirksamer, und vor allem ist es auch wesentlich kostensparender. Es gibt in den USA, in England und Deutschland Untersuchungen, die zeigen, dass solche Maßnahmen zwar zunächst einmal etwas kosten, aber langfristig dann kostensparend sind.“

Die Tendenz zu härteren Strafen, die der Papst ansprach, kann Kury für die USA bestätigen. Dort habe sich „seit Mitte der 70er Jahre die Sanktionshärte enorm verschärft“. Die Folge: In der Staatengemeinschaft kommen auf 100.000 Bürger 700 Inhaftierte. In Russland sind es 500, in Deutschland dagegen nur 80 bis 90. Die USA und Russland sind es auch, die eine ganz eigene Interpretation der Untersuchungshaft praktizieren: Der Papst hatte in seiner Rede über den Missbrauch der Untersuchungshaft als „Strafe“ geklagt. Dazu Kury:

„Gerade im Osten oder in unter- bzw. weniger entwickelten Ländern kann es durchaus sein, dass die Untersuchungshaft Jahre dauert, ohne dass ein Urteil gefällt worden ist. Denken Sie auch an die Fälle in Guantanamo, wo Menschen einsitzen seit Jahren und auf ihr Strafverfahren warten und unter Umständen sogar unschuldig sind. Das ist natürlich ein Zustand, der nicht akzeptabel ist, da hat der Papst vollkommen recht.“

Auch die Frage des „Populismus im Strafrecht“, auf die der Papst einging, ist Kury sehr wohl bekannt. Das Strafrecht stehe heute „unter einem enormen Druck der öffentlichen Meinung“, so der Kriminologe:

„Der typische Fall ist sexueller Missbrauch eines Kindes, wobei das Kind noch getötet wird. Das ist natürlich eine extrem schlimme Straftat, keine Frage. Aber dann kocht die Volksseele, und dann wird diese Sanktionseinstellung verschärft: Man will dann härter gegen Straftäter vorgehen, obwohl die Kriminologen zu Recht sagen, das bringt letztendlich nicht allzu viel. Man müsste mehr nachschauen, was sind die Ursachen dafür, und müsste dann bei den sozialen Bedingungen ansetzen. Das ist das, was der Papst betont: Man müsste schauen, dass die sozialen Lebensbedingungen der Menschen insgesamt besser werden.“

Die Bevölkerung sei über die Herkunft von Kriminalität und die Hintergründe straffälligen Verhaltens wenig informiert, berichtet Kury. So beruhe auch der Ruf nach der Todesstrafe oftmals schlichtweg auf Unwissen:

„Es gibt Studien, die eben zeigen: Je mehr man die Bevölkerung informiert, umso weniger ist sie für so ein hartes Vorgehen gegenüber Straftätern. Das zeigt eine neu veröffentlichte Studien aus Japan, wo es noch die Todesstrafe gibt. Und auch dort hat man deutlich zeigen können, dass, je mehr Information die Bürger über Praktiken der Todesstrafe und deren Nicht-Effekt haben, sie umso weniger dieser harten Sanktion zustimmen.

(rv 31.10.2014 pr)








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