Kriminologe Kury: Kriminalitätsbekämpfung an der Wurzel
Es war eine Grundsatzrede
über Missbrauch im Strafrecht, die der Papst vor einigen Tagen vor Strafrechtlern
im Vatikan hielt. Franziskus hat dabei zentrale Punkte angesprochen, die in der Kriminologie
derzeit auf internationalem Niveau diskutiert werden. Das sagte uns der Kriminologe
Helmut Kury. Der emeritierte Professor für Kriminologie und studierte Psychotherapeut
war unter anderem Direktor des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen.
„Ich finde es wirklich bemerkenswert, dass der Papst sich mit dem Thema
Straffälligkeit beschäftigt. Denn Straftäter sind natürlich Menschen, die etwas Böses
gemacht haben. Aber wenn man sie ändern will und man das Problem reduzieren will,
dann muss man diese Menschen auch achten und schätzen und ihnen helfen.“
So
ist das erklärte Ziel des Strafvollzugs, zumindest in Deutschland, auch die „Resozialisierung“,
die „Wiedereingliederung des Täters in die Rechtsgemeinschaft“. Kury hat schon viele
psychologische Gutachten über inhaftierte Straftäter erstellt. Er weiß: „Abschreckung
hilft bei schwersten Straftaten so gut wie gar nicht.“ Dementsprechend seien auch
härtere Strafen „nicht das adäquate Mittel“, um Kriminalität insgesamt zu bekämpfen.
Das führt der Kriminologe am Beispiel der Todesstrafe aus:
„Die Todesstrafe
ist ein Übel in der Gesellschaft, das letztlich zur Lösung von Konflikten nichts beiträgt
- man sieht das auch mehr und mehr ein. Es gibt immer weniger Staaten, die die Todesstrafe
praktizieren. Selbst in den USA praktizieren sie von 50 Bundesstaaten nur noch 32,
glaube ich - vor allem die Südstaaten. Das Interessante dabei: Diese Südstaaten haben,
z.B. Texas, die höchste Mordquote, eine weit höhere als
die Bundesstaaten in den USA, die die Todesstrafe nicht haben! Schon daran können
Sie sehen, dass die Todesstrafe so gut wie keinen kriminalpräventiven Effekt hat,
was schwere Straftaten betrifft.“
Dass Kriminalität viel effektiver an
der Wurzel zu bekämpfen sei, habe der Papst in seinen Ausführungen „sehr klug“ dargelegt,
so Kury.
„Man muss sich überlegen: Was sind die Hintergründe von straffälligem
Verhalten? Und das sind eben vielfach Sozialisationsprobleme in der Familie – die
Täter sind oft in gestörten Familien aufgewachsen. Und wenn wir Kriminalität verhüten
wollen, dann müssten wir eigentlich bei diesen Sozialisationsbedingungen, also bei
der Familienpolitik und Jugendpolitik ansetzen; das ist wesentlich wirksamer, und
vor allem ist es auch wesentlich kostensparender. Es gibt in den USA, in England und
Deutschland Untersuchungen, die zeigen, dass solche Maßnahmen zwar zunächst einmal
etwas kosten, aber langfristig dann kostensparend sind.“
Die Tendenz zu
härteren Strafen, die der Papst ansprach, kann Kury für die USA bestätigen. Dort habe
sich „seit Mitte der 70er Jahre die Sanktionshärte enorm verschärft“. Die Folge: In
der Staatengemeinschaft kommen auf 100.000 Bürger 700 Inhaftierte. In Russland sind
es 500, in Deutschland dagegen nur 80 bis 90. Die USA und Russland sind es auch, die
eine ganz eigene Interpretation der Untersuchungshaft praktizieren: Der Papst hatte
in seiner Rede über den Missbrauch der Untersuchungshaft als „Strafe“ geklagt. Dazu
Kury:
„Gerade im Osten oder in unter- bzw. weniger entwickelten Ländern
kann es durchaus sein, dass die Untersuchungshaft Jahre dauert, ohne dass ein Urteil
gefällt worden ist. Denken Sie auch an die Fälle in Guantanamo, wo Menschen einsitzen
seit Jahren und auf ihr Strafverfahren warten und unter Umständen sogar unschuldig
sind. Das ist natürlich ein Zustand, der nicht akzeptabel ist, da hat der Papst vollkommen
recht.“
Auch die Frage des „Populismus im Strafrecht“, auf die der Papst
einging, ist Kury sehr wohl bekannt. Das Strafrecht stehe heute „unter einem enormen
Druck der öffentlichen Meinung“, so der Kriminologe:
„Der typische Fall
ist sexueller Missbrauch eines Kindes, wobei das Kind noch getötet wird. Das ist natürlich
eine extrem schlimme Straftat, keine Frage. Aber dann kocht die Volksseele, und dann
wird diese Sanktionseinstellung verschärft: Man will dann härter gegen Straftäter
vorgehen, obwohl die Kriminologen zu Recht sagen, das bringt letztendlich nicht allzu
viel. Man müsste mehr nachschauen, was sind die Ursachen dafür, und müsste dann bei
den sozialen Bedingungen ansetzen. Das ist das, was der Papst betont: Man müsste schauen,
dass die sozialen Lebensbedingungen der Menschen insgesamt besser werden.“
Die
Bevölkerung sei über die Herkunft von Kriminalität und die Hintergründe straffälligen
Verhaltens wenig informiert, berichtet Kury. So beruhe auch der Ruf nach der Todesstrafe
oftmals schlichtweg auf Unwissen:
„Es gibt Studien, die eben zeigen: Je
mehr man die Bevölkerung informiert, umso weniger ist sie für so ein hartes Vorgehen
gegenüber Straftätern. Das zeigt eine neu veröffentlichte Studien aus Japan, wo es
noch die Todesstrafe gibt. Und auch dort hat man deutlich zeigen können, dass, je
mehr Information die Bürger über Praktiken der Todesstrafe und deren Nicht-Effekt
haben, sie umso weniger dieser harten Sanktion zustimmen.“