2014-10-27 14:41:09

Franziskus über den Schlüssel der Familienseelsorge


RealAudioMP3 Unvollkommene Familien begleiten, Zeit schenken, nicht Anstoß nehmen, Geduld haben: Das ist das Grundrezept von Papst Franziskus für die Familienseelsorge. Wenige Tage nach Abschluss der ersten Bischofssynode über Ehe und Familie äußerte sich Papst Franziskus zum ersten Mal über seine Vorstellungen zur richtigen Pastoral für Paare ohne Trauschein, untreue Eheleute, zerfallende Familien und andere schwierige Situationen mehr. Die Familie sieht Franziskus heute in einer noch nie dagewesenen gesellschaftlichen Krise. Die Kultur des Provisorischen setze dem katholischen Eheverständnis zu, und es gelte auch offen der Ansicht entgegenzutreten, Familie sei „eine Art Verein“. Der Papst äußerte sich in freier Rede auf Spanisch, bei seiner Audienz für Angehörige der Schönstatt-Bewegung am vergangenen Samstag. Gudrun Sailer hat Papst Franziskus zugehört.


Seelsorge muss „Zeit verlieren“ im Begleiten

„Ich denke, die christliche Familie, die Familie, die Ehe, wurden noch nie so sehr angegriffen wie jetzt. Direkt angegriffen oder de facto angegriffen. Es kann sein, dass ich mich irre. Das werden uns die Kirchenhistoriker erklären können, aber jedenfalls wird die Familie verprügelt, sie bekommt Prügel, sie wird verdorben, als irgendeine Art von Verein angesehen. Heutzutage kann man alles Familie nennen, nicht wahr? Wie viele Familien sind verwundet, wie viele Ehen kaputt, wie viel Relativismus gibt es im Begriff des Ehesakraments! In diesem Moment gibt es vom Standpunkt der Soziologie und der menschlichen Werte her, und eben auch vom katholischen Sakrament her, eine Krise der Familie.

Deine Frage also: Was können wir tun? „Nun, wir können eine schöne Rede halten, Grundsatzerklärungen…“ Sicher, das muss man manchmal tun. Mit klaren Ideen: „Sehen Sie, das was Sie hier vorschlagen, ist nicht Ehe! Das ist ein Verein, aber keine Ehe.“ Manchmal ist es nötig, die Dinge beim Namen zu nennen, und das hier müssen wir sagen. Die Seelsorge der Hilfe muss aber in diesem Fall von Angesicht zu Angesicht stattfinden. Sie muss begleiten. Und das heißt: Zeit verlieren. Der große Meister im Zeitverlieren ist Jesus, nicht wahr? Er hat Zeit verloren im Begleiten, um die Gewissen heranreifen zu lassen, um Wunden zu heilen, um zu lehren. Dieses gemeinsame Voranschreiten begleiten.


Flexibel bei der Uhrzeit, aber nicht bei der Ehevorbereitung

Ganz offensichtlich wurde das Sakrament der Ehe entwertet, und vom Sakrament ist nur der Ritus übrig geblieben. Die Reduktion des Sakraments auf den Ritus. So kommt es also, dass das gute Sakrament eine soziale Gegebenheit wird. Sicher, es ist etwas Religiöses, sie müssen getauft sein, aber das Soziale überwiegt. Wie oft habe ich im seelsorgerlichen Leben Leute getroffen, die zusammenlebten, „und warum heiratest du nicht?“ „Naja, die Feier, wir haben kein Geld.“ Und so verdeckt das Soziale die Hauptsache, die Verbindung mit Gott.

Ich erinnere mich, dass mir in Buenos Aires Priester vorschlugen, Hochzeiten zu egal welcher Tageszeit anzubieten. Normalerweise macht man an einem Donnerstag oder Freitag die zivile Ehe und am Samstag die sakramentale Ehe. Aber da gab es immer irgendeine Feierlichkeit… und viele Priester sagten, um dem abzuhelfen: „Zu welcher Zeit auch immer Sie wollen“. Nach der zivilen Feier gingen die Brautleute zur kirchlichen Hochzeit in die Pfarrei. Das ist ein Beispiel, um die Dinge zu erleichtern. Die Vorbereitung erleichtern, denn man kann die Leute nicht bei zwei Treffen, mit zwei Reden auf die Ehe vorbereiten. Das ist eine Sünde der Unterlassung von unserer Seite, durch Priester und Laien, die in Wirklichkeit daran interessiert sind, die Familie zu retten.

Die Vorbereitung auf die Ehe muss sehr früh ansetzen. Brautleute begleiten. Begleiten, aber immer von Angesicht zu Angesicht, und vorbereiten. Sie sollen wissen, was sie sich anschicken zu tun. Viele wissen nicht, was sie tun, und heiraten, ohne zu wissen, was das bedeutet. Die Bedingungen, was sie versprechen. „Ja, ja! Alles klar!“ Aber sie sind sich nicht im Klaren, dass das für immer ist! Das muss man dieser Kultur des Provisorischen entgegenstellen, in der wir leben, nicht nur in der Familie, sondern sogar unter Priestern.


An nichts Anstoß nehmen, was in der Familie vorfällt

Ein Bischof erzählte mir einmal von einem ausgezeichneten jungen Mann, der Priester werden wollte, aber nur für zehn Jahre, und dann wollte er zurück. Das ist die Kultur des Provisorischen. Alles ist auf Zeit. Das „Für immer“ scheint wie vergessen. Wir müssen in der verletzten Familie von heute viele Dinge zurückgewinnen. Viele Dinge. Aber an nichts Anstoß nehmen, was in der Familie vorfällt: die Dramen, die Zerstörung in der Familie, die Kinder. Nein!

Bei der Synode stellte ein Bischof folgende Frage: Sind wir Hirten uns darüber im Klaren, was ein Kind leidet, wenn die Eltern sich trennen? Sie sind die ersten Opfer. Wie also sollen wir die Kinder begleiten? Wie den Eltern helfen, die sich trennen, damit sie ihre Kinder nicht als Geiseln benutzen? Wie viele pseudokrankhafte Psychologien von Leuten, die mit der Sprache die anderen zerstören, kommen von der Erziehung durch den Vater, der schlecht über die Mutter spricht, und von der Mutter, die schlecht über den Vater spricht. Das sind Dinge, denen man sich in jeder Familie annähern muss. Sie sollen sich dessen bewusst sein, was sie tun.


Der Schlüssel ist das „von Angesicht zu Angesicht“

Es gibt heute ziemlich vielfältige Situationen, nicht? Sie heiraten nicht. Sie nehmen sich eine Wohnung, haben einen Freund, eine Freundin, aber sie heiraten nicht. Eine Mutter sagte mir: Pater, was kann ich tun, damit mein 32jähriger Sohn heiratet? Nun ja, gute Frau, zuerst muss er eine Freundin haben! Ja, die hat er, aber er heiratet nicht. Liebe Frau, wenn er eine Freundin hat, aber nicht heiratet, dann hören Sie auf, ihm die Hemden zu bügeln, und dann sehen Sie, ob er Mut fasst, nicht wahr? Das, um zu sagen, wie viele Leute heutzutage nicht heiraten. Sie leben ganz zusammen oder auch in Teilzeit zusammen, wie ich es in meiner eigenen Familie gesehen habe. Von Montag bis Donnerstag mit meiner Freundin und von Freitag bis Sonntag mit meiner Familie. Das sind neue Formen, die die Größe und die Liebe der Ehe zerstören und einschränken.

Dinge dieser Art sehen wir viele: Zusammenleben, Trennungen, Scheidungen. Der Schlüssel, der helfen kann, ist das „von Angesicht zu Angesicht“, das Begleiten, aber ohne direkte Einflussnahme, denn das bringt nichts. Begleiten. Geduld. Geduld. Und heute ein Wort, morgen eine Geste, so ungefähr. Das schlage ich Ihnen vor.“

(rv 27.10.2014 gs)








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