Niemand hat so wie er den deutschen Humor verkörpert, niemand den Durchschnittsbürger,
den kleinen Mann auf der Suche nach seinem privaten Glück über Jahrzehnte so glaubwürdig
dargestellt wie Heinz Rühmann. Rühmann war keine idealisierte Heldenfigur, kein mit
Glamour sich schmückender Star, er war die Personifizierung des menschlich verzauberten
Alltags - und gerade deshalb war und ist er zweifellos der populärste deutsche Schauspieler
unserer Zeit.
Ein Porträt zum 20. Todestag des deutschen Filmstars
Mit
seiner leicht heiseren, hellen Stimme, seiner Kleinwüchsigkeit und schmächtigen Gestalt
war er dafür prädestiniert, jene zu spielen, die das Leben immer wieder übersieht.
Diese vermeintlichen Schwächen waren Schutz und Stärke zugleich Rühmanns Stärke lag
in seiner absoluten Glaubwürdigkeit. Seine Figuren waren jedem vertraut und sie waren
jedes Vertrauens würdig.
Bekannt wurde Heinz Rühmann, der 1902 in Essen geboren
wurde, vor allem durch seine Mitwirkung an über 100 Filmen: als Darsteller, als Produzent
und als Regisseur. Vor allem aber war er "Der Hauptmann von Köpenick" (1956; Regie:
Helmut Käutner) - seine populärste, eindrucksvollste und im besten Sinne volkstümlichste
darstellerische Leistung. In Theater und Film spielte er unter den besten Regisseuren
seiner Zeit, unter Max Reinhardt, Gustaf Gründgens, Fritz Kortner, Heinz Hilpert,
Wolfgang Liebeneiner, Helmut Käutner und August Everding - um beispielhaft nur einige
zu nennen. Seine letzte Filmrolle in Wim Wenders "In weiter Ferne so nah" brachte
ihn 1992 zurück nach Berlin, jener Stadt, die ihn nach seinen Worten mehr geprägt
hat als jede andere.
Mit Genehmigung der Evangelischen Rundfunkbeauftragten
beim WDR blenden wir jetzt Ausschnitte aus einer Sendung von Pressepfarrer Joachim
Gerhardt, mit und über Heinz Rühmann ein:
Musik: Von guten Mächten treu
und still umgeben behütet und getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mit euch
leben und mit euch gehen in ein neues Jahr.
„Von guten Mächten“ ist eine Aufnahme
des schon älteren Rühmann. Seit Mitte der 70-er Jahre ist der „Jahrhundertschauspieler“
immer wieder mit Lesungen in Kirchen aufgetreten. Unter anderem in Bonn und jedes
Jahr im Advent im Hamburger Michel. Dort hat er seinen Vortrag stets beendet mit diesem
berührenden Gedicht des evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer.
„Von guten
Mächten wunderbar geborgen“. Über Heinz Rühmann ist viel geschrieben und gesendet
worden. Es gibt Biographien, sogar eine Ausstellung. Wenig bekannt ist, dass der große
Schauspieler auch eine religiöse Seite hatte. Rühmann, der evangelisch getauft ist,
hat sie lange Jahre wenig zu erkennen gegeben. Mit 25 Jahren ist er sogar aus der
Kirche ausgetreten. Gründe sind nicht bekannt. Doch die Fragen nach Glaube, Hoffnung
und Liebe haben ihn – mal mehr mal weniger wie bei vielen Menschen – ein Leben lang
begleitet. „Man macht sich so seine Gedanken – und das ist sehr schön“, hat Rühmann
öfter im Freundeskreis gesagt. Mit dem „Von guten Mächten“ lässt er im Alter Menschen
dann teilhaben, was seiner ganz persönlichen Hoffnung einen Grund gibt:
Musik:
Noch will das alte unsre Herzen quälen, noch drückt uns böser Tage schwere Last,
Ach Herr, gib unsern aufgescheuchten Seelen das Heil, für das Du uns bereitet
hast.
Heinz Rühmann hat berichtet, wie sehr ihn die Auftritte in Kirchen persönlich
bewegt haben. Sie waren für ihn ganz anders als die Auftritte auf einer Bühne oder
vor der Kamera. In den Kirchen fand er, was ihm ein Leben lang nach eigenen Worten
unendlich wichtig war: äußere Stille und innere Ruhe.
Musik: Lass still und
warm die Kerzen heute flammen, die Du in unsre Dunkelheit gebracht, führ,
wenn es sein kann, wieder uns zusammen! Wir wissen es, Dein Licht scheint in der
Nacht.
Autor: Doch es ist bemerkenswert, dass sich Rühmann zum Abschluss seiner
Lesungen gerade „Von guten Mächten“ ausgesucht hatte. Der Text ist von Dietrich Bonhoeffer.
Rühmann und Bonhoeffer sind dieselbe Generation. Bonhoeffer ist nur vier Jahre jünger.
Aber der Lebensweg der beiden könnte unterschiedlicher nicht sein. Bonhoeffer ging
in den Widerstand im Dritten Reich und bezahlte ihn am Ende mit dem Tod. Nur einen
Monat vor Kriegsende wurde Bonhoeffer im KZ von den Nazis ermordet. Die Verse „Von
Guten Mächten“ – mehr ein Gebet als nur ein Gedicht – sind wenige Wochen vorher im
Gefängnis für seine Familie entstanden.
Anders Heinz Rühmann. Er hat sich im
Dritten Reich arrangiert mit dem Regime und bis zum Ende der Nazidiktatur davon profitiert.
Rühmann ist das oft vorgehalten worden. So musste er nach dem Krieg immer wieder deutlich
machen, er habe keinem persönlich geschadet. Und auch die Trennung von seiner ersten
Frau Maria Bernheim 1938, sie war Jüdin, habe nur private Gründe gehabt.
Letzte
Wahrheiten lassen sich bis heute nicht finden. Ich glaube, das Leben ist zu kompliziert,
um über fremde Biografien endgültige Urteile zu fällen. Es ist schon schwer genug,
den eigenen Lebensweg einzuordnen. Vielleicht ist das Rühmann nicht anders gegangen.
Und vielleicht verbindet sich in seinem Vortrag von den „Guten Mächten“ für ihn noch
viel mehr, als wir das erahnen.
Es ist Rühmanns letzter Film, der ihn nicht
nur mit Religion, sondern mit seiner eigenen Lebensgeschichte konfrontiert. Es ist
der Wim Wenders-Film „In der Ferne, so nah“. Rühmann, inzwischen 91 Jahre alt, spielt
den 90-jährigen Taxifahrer Konrad, der mitten in Berlin seinen persönlichen Schutzengel
trifft. Gemeinsam blicken sie auf sein Leben zurück.
Film-O-Ton: In weiter
Ferne, so nah! (1993): Konrad (Rühmann): Wenn man stirbt, muss man doch wissen, wie
man gelebt hat. Komm, erzähl mir meine Geschichte.
Autor: Es ist eine Lebensbeichte,
besonders für das Leben in der Nazizeit:
Film-O-Ton: Konrad (Rühmann): Einer
muss mir doch sagen, ob ich richtig gelebt habe. Ich war, glaube ich, kein sehr mutiger
Mann. Korrekt ja, aber mutig…?
Autor: Und am Ende nimmt der Engel ihn in die
Arme, um zu sagen: Du bist gefunden worden. Der Regisseur Wim Wenders erinnert sich
Jahre später noch gut an diese Szene:
Film-O-Ton: Wim Wenders: …Heinz Rühmann,
egal, was er gespielt hat, er war immer so dabei. Auch bei dieser Szene hier. Das
ging wirklich für ihn um Leben und Tod. Und er hat alles auf sich bezogen, was er
gespielt hatte. Das war ja klar, das war hier höchstwahrscheinlich seine wohl letzte
Rolle. Und dass er hier seine Schutzengel trifft, das hat ihn sehr bewegt. (O-Ton-Film,
Konrad: Ich habe keine Angst vor dir, Wie lange kennen wir uns denn schon und haben
uns doch nie gesehen.)Das hat ihn sehr, sehr gefallen, vielleicht auch schon am Drehbuch,
dass da einer auf sein Leben zurückblickt, auf seine Fehler und seine Irrtümer wie
auf seine guten Entscheidungen.
Autor: Habe ich mein Leben richtig gelebt?
Diese Frage stellt sich wahrscheinlich jeder Mensch einmal. Ein Segen, wenn man sich
dann von einem Engel gehalten fühlt. Heinz Rühmann hat in einer seiner letzten Interviews
davon gesprochen, dass er „glaubt, dass Engel um uns sind“ – ganz so wie in seinem
letzten Film.
Rühmann hatte eine erstaunlich religiöse Seite. Auf dem Schreibtisch
in seinem Haus am Sternberger See stand eine Karte mit dem Gebet eines evangelischen
Theologen:
Sprecher: Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die
ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit,
das eine vom anderen zu unterscheiden.
Autor: Heinz Rühmann hat mit Pater Brown
sogar erfolgreich einen Pfarrer gespielt, einen ziemlich kriminalistischen. Doch immer
wieder hat er nach nachdenklichen Rollen gesucht, mit Tiefe. Angeboten wurden sie
ihm selten. So wie 1960 in „Mein Schulfreund“. Rühmann spielt dort einen Geldbriefträger,
der mit dem Leben nicht zu Recht kommt. Er wird für unzurechnungsfähig erklärt und
deutet sein Leben verzweifelt in apokalyptischen Worten der Bibel:
O-Ton aus
Film„Mein Schulfreund“ (1960) aus Rühmann Doku „Kleiner Mann ganz groß“: Bestrafen
wird unser Herrgott, wies geschrieben steht ohne Gnade. Aus dem Trümmern der Städte
wird klingen das Geschrei der Gequälten. Jedoch Gott wird nicht mehr hören ihr Flehen,
gebrochen sein soll ihr Volk wie ein Baum auf dem Feld.
Autor: Rühmann hat
in vielen Rollen unverdrossen die Leichtigkeit des Lebens verkörpert. Doch er kannte
auch ganz persönlich die Verzweifelung. Der Tod seiner zweiten, geliebten Frau, der
Schauspielerin Hertha Feiler, traf ihn hart. Er war 1970, er hat ein Jahr nicht arbeiten
können und kaum darüber gesprochen. Aber zumindest seine engsten Weggefährten konnten
spüren, dass die oft so lebenslustigen Rollen des Heinz Rühmann sich nicht immer in
seinem Leben widerspiegelten.
Weil ich dein Freund sein kann.
Autor:
Heinz Rühmann wollte ein Leben lang Positives bewirken und Menschen verbinden. Das
ist ja durchaus gut biblisch. Dass er am Ende seines Lebens auch öffentlich von Glauben,
Hoffen und Lieben gesprochen hat, wirkt fast wie ein Bekenntnis:
Musik: Von
guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott
ist bei uns am Abend und am Morgen, und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
Autor:
Heinz Rühmann hat Filmgeschichte geschrieben. Oft hat er uns aus dem Herzen gesprochen.
Von meiner Großmutter bis zu meinen Kindern kennen alle seine Filme. Wir haben viel
über ihn gelacht. Gut zu wissen, dass Heinz Rühmann auch eine stille, eine andächtige
Seite hatte. Und mit den Jahren Wege fand, sie mit anderen Menschen zu teilen, sagt
Ihnen Ihr Joachim Gerhardt von der Evangelischen Kirche in Bonn.
Musik: Das
bleibt nicht so Das bleibt nicht so Das bleibt nicht so Auch du wirst einmal
wieder froh Alles geht vorüber Alles heilt die Zeit
Es kommt die Zeit,
es geht das Leid Denn nichts währt eine Ewigkeit Alle geht vorüber Alles
hielt die Zeit
Ist heute dein Himmel trübe Verlier nicht gleich den Mut Ein
kleines Bisschen Liebe Macht alles wieder gut.
Das waren Ausschnitte aus
der Sendung von Pressepfarrer Joachim Gerhardt, mit Genehmigung der Evangelischen
Rundfunkbeauftragten beim WDR in Deutschland.
«Ich habe nur sehr positive
Erinnerungen an Heinz Rühmann.» Hertha Rühmann, die mehr als 20 Jahre lang mit dem
berühmten und beliebten Theater- und Filmschauspieler verheiratet war, fühlt sich
noch immer ihrem 1994 gestorbenen Mann eng verbunden. «Ich freue mich immer, wenn
ich über meinen Mann sprechen kann. Auch wenn ich manchmal meiner Umgebung damit zur
Last falle», sagte die 85-Jährige lachend.
An der engen, liebevollen Beziehung
zu Heinz Rühmann, der wie kaum ein anderer deutscher Schauspieler die Sehnsüchte und
Hoffnungen seines Publikums verkörperte, habe sich bis heute nichts geändert. «Ich
bin froh, dass ich noch immer in unserer gemeinsamen Umgebung leben kann», sagte Hertha
Rühmann.
«Viele Menschen können sich gar nicht vorstellen, dass Heinz Rühmann
privat ganz anders war als im Film und auf der Bühne.» Selbstdarstellung habe ihm
immer fern gelegen. «Er war populär durch seine Filmrollen, nicht als Rühmann», meinte
die Witwe.
Für Filmproduzent Artur «Atze» Brauner (83) ist der Schauspieler
Heinz Rühmann die Inkarnation des Mannes aus dem Volke. «Er hat zig Millionen zum
Lachen gebracht, man konnte über ihn und mit ihm lachen - das war sein Geheimnis»,
sagt Brauner in einem Gespräch mit der Deutschen Presseagentur.
«Im Gegensatz
zu Schauspielern wie Paul Hubschmid oder O.W. Fischer gab es bei ihm einen direkten
Kontakt zum Publikum. Man traute und vertraute ihm.» Die Zuschauer hätten Rühmann
nach Ansicht von Brauner die Darstellung einer negativen Figur niemals abgenommen.
«Seine Filmfiguren boten Charme und Volkstümlichkeit», meint Brauner.
«Heinz
Rühmann war ein sehr seriöser Mensch. Ich habe ihn ganz selten lachen gesehen», erinnerte
er sich.. Brauner produzierte insgesamt drei Filme mit Heinz Rühmann: «Es geschah
am hellichten Tag»(1958), «Menschen im Hotel» (1959) und «Der brave Soldat Schwejk»
(1960). «Der sowohl künstlerisch als auch finanziell erfolgreichste Film wurde davon
"Der brave Soldat Schwejk", ein Film, den Heinz Rühmann in seinen Memoiren als seinen
besten Film bewertet hat», betont Brauner.
In seiner beispiellosen Karriere
erhielt Rühmann weit über 50 Auszeichnungen, Orden und Preise, die nicht nur seine
große und jahrzehntelange ungebrochene Popularität, sondern auch die selten einmütige
Wertschätzung von Politikern und Kulturkritikern reflektieren. Neben zwölf Bambis
und zahlreichen weiteren Preisen der deutschen und internationalen Filmkritik befinden
sich in der Sammlung auch alle offiziellen Ehrungsdokumente, die Heinz Rühmann durch
den Bund und das Land Bayern, aber auch durch Städte wie Köpenick und Vereine wie
Verehrer verliehen wurden. Die erhaltenen Briefe, unter anderem von Richard von Weizsäcker,
Norbert Blüm, Eberhard Diepgen, Helmut Schmidt, Hans Dietrich Genscher, Theo Waigel
und Peter Ustinov vermitteln nochmals ein eindrucksvolles Bild seines hohen Ansehens.
"Ich
glaube nicht, daß mit dem Tod alles aus ist. Dieser wunderbare menschliche Körper,
dieses so unendlich komplizierte System, unsere Seele, unsere Phantasie, unserer Gedanken
- alles nur für ein einmaliges kurzes Erdenleben? Nein, das glaube ich nicht. Kein
Schöpfer wäre so verschwenderisch. Wir verlassen die Erde. Aber wir kommen wieder.