Braucht Frankreich ein neues Gesetz zur Sterbehilfe?
Was ist das große
Projekt der sozialistischen Regierung in Frankreich? Das Sparen wohl nicht, auch wenn
Berlin und Brüssel das gerne so hätten. Aber in Erinnerung bleiben wird die glücklose
Regierung von Präsident Francois Hollande wohl vor allem durch ihre Zeitgeist-Initiativen:
das Umdefinieren von Ehe und Familie, zum Beispiel (wir erinnern uns: „Mariage pour
tous“, Ehe für alle – und dagegen demonstrierten Hunderttausende im ganzen Land unter
dem Motto „Manif pour tous“, Demo für alle). Neuestes Thema auf der Hollande-Agenda:
Euthanasie. Wobei Euthanasie gar nicht Euthanasie heißen darf, weil darin nach den
Worten des früheren Ministers Bernard Kouchners das Wörtchen „Nazi“ steckt. Also sprechen
Hollande und seine Mannen lieber von „fin de vie“, Lebensende.
„Ich bin
immer wieder verstört, wenn ich mit belgischen Kollegen – darunter auch katholischen
Kollegen – spreche und sehe, wie schon das Erlaubtsein von aktiver Sterbehilfe dazu
führt, dass sie solche zulassen oder praktizieren in Fällen, wo das sehr grenzwertig
ist. Um das mal so zu formulieren.“
Das sagt der katholische Priester und
Arzt Bruno Cazin, delegierter Rektor der Katholischen Universität von Lille. In Belgien
ist aktive Sterbehilfe erlaubt, jetzt plant Premierminister Manuel Valls für Frankreich
Ähnliches. Noch vor dem Ende von Hollandes Amtszeit 2017 will Valls ein entsprechendes
Gesetz vorlegen, das hat er dem Parteichef der radikalen Linken Baylet versprochen.
Noch vor Jahresende wird sich die „Assemblée Nationale“, das Pariser Parlament, erstmals
mit dem Thema beschäftigen. Der Nationale Französische Ethikrat hat schon im Juli
2013 gewarnt, es sei für eine Gesellschaft gefährlich, wenn Ärzte sich am Töten statt
am Lebenserhalten beteiligen. In die gleiche Kerbe schlägt im Gespräch mit uns auch
Bruno Cazin:
„Man sieht in Belgien gut, wie eine Gesetzgebung, die das Töten
auf Verlangen erlaubt – auch wenn viele sehr gewissenhaft mit ihr umgehen! – doch
in Situationen führen kann, wo letzlich die Freiheit des Einzelnen sich ohne Grenzen
durchsetzt. Wo selbst Leute, die viel vom Wert des menschlichen Lebens halten, schließlich
diesen Sirenenklängen von der Freiheit des Einzelnen, und dass doch eigentlich jeder
frei über seinen Körper verfügen könne, erliegen. Wenn sich dieser Blickwinkel erst
einmal durchsetzt: ‚Das ist doch mein Körper, und ich kann damit doch tun, was ich
will’, dann wird der Arzt nur noch zu dem, der das am Schluß ausführen muss. Ich glaube,
sobald wir Ausnahmen am Euthanasie-Verbot zulassen, öffnen wir einen Damm, und letztlich
ist dann alles erlaubt. Das wird zu einer schweren Belastung des Vertrauensverhältnisses
zwischen Arzt, Pflegenden, Patienten und ihren Familien führen.“
Das bisherige
Gesetz zum Lebensende, die „loi Léonetti“, verbietet aktive Sterbehilfe, aber auch
lebensverlängernde Therapien um jeden Preis. Es war 2005 von der konservativen Regierung
von Präsident Jacques Chirac formuliert worden, nachdem der Fall eines schwerbehinderten
22-Jährigen namens Vincent Humbert die Nation aufgewühlt hatte. Humbert wurde das
von ihm reklamierte „Recht auf Tod“ verweigert, seine Mutter ließ ihn mithilfe eines
Arztes sterben, vor Gericht kamen beide damit durch. Das Gesetz betont das Recht auf
ein „würdiges Leben bis zum Tod“; ein schwer und unheilbar Kranker kann danach um
die Einstellung jeder Therapie bitten, selbst wenn das zu seinem Tod führt. Jetzt
soll das Gesetz „weiterentwickelt“ werden. Cazin:
„Leider glaube
ich, dass die öffentliche Meinung in Frankreich durch außerordentliche, dramatische
Fälle geprägt, ja manipuliert worden ist, die von den Medien breit ausgerollt worden
sind. Das hat dazu geführt, dass viele Menschen zunächst mal instinktiv für Euthanasie
sind. Sobald man aber erklärt, worum es da genau geht und was da alles auf dem Spiel
steht, zum Beispiel im Vertrauensverhältnis Arzt-Patient oder was die Verantwortungen
betrifft, dann verstehen viele Menschen doch, wie gut ein Verbot der aktiven Sterbehilfe
der Gesellschaft tut: einfach damit man zusammen leben und sich gegenseitig vertrauen
kann. Die Leute verstehen es, wenn man ihnen erklärt: Die Mission eines Pflegers oder
Arztes ist es, zu begleiten, nicht, den Tod zu geben. Dieses Prinzip wird ganz gut
aufgenommen.“