Ein Ebola-Fall in
Dallas, ein anderer in Madrid: Was in der Ebola-Berichterstattung im Westen etwas
aus dem Fokus gerät, das ist das Wüten der Pandemie in Westafrika, in Guinea, Liberia
und Sierra Leone. Der italienische Journalist Domenico Quirico ist gerade aus Sierra
Leone zurückgekehrt und berichtet:
„Ich habe ein verletzliches Land gesehen.
Der lange Bürgerkrieg ist gerade erst vorüber, Infrastrukturen und gesellschaftliche
Strukturen sind schwach oder gar nicht existent; es ist eines der ärmsten Länder der
Welt, wo die Menschen im Schnitt mit einem Euro am Tag überleben müssen. So ein Land
wird von Ebola in seinen alltäglichsten Gewohnheiten, in seiner sozialen Struktur
oder Wirtschaft vollkommen überwältigt. Sierra Leone wirkt wie ein Friedhof, über
den ein Taifun hinweggefegt ist, der alles zerstört hat. Die Zerstörung geht bis in
die einzelnen Familien hinein: Mütter reden nicht mehr mit ihren Kindern und vermeiden
jede Berührung.“
Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass die
Zahl der Ebola-Infizierten in Westafrika bis Anfang Dezember bei 10.000 Menschen liegen
wird. Die Berichterstattung zu Ebola im Westen wird aber dominiert von Schutzmaßnahmen
und Ansteckungsängsten in Hamburg, London oder Dallas.
„Dabei sollten wir
uns schon aus rein zweckmäßigen Erwägungen auf das Drama in Westafrika konzentrieren
– wenn die Pandemie nämlich dort nicht gestoppt oder wenigstens abgebremst wird, dann
kann sie tatsächlich zu einer weltweiten Katastrophe werden. Aber leider kriegen wir
Westler es nicht hin, uns dem Problem mal ohne das Starren auf unser eigenes Territorium
zu nähern. Eigentlich geht es bei uns erst um Ebola, seit wir Angst haben, dass irgend
ein Infizierter bei uns auf einem Flughafen landet. Das ist egoistisch.“
Das
eigentliche Drama finde eben nicht bei uns statt, sondern in Westafrika, erinnert
der Journalist. Dort würden ganze Dörfer isoliert, und aus der medizinischen und humanitären
sei längst auch eine Wirtschaftskrise geworden.
„Die Wirtschaft geht jeden
Tag weiter bergab. Sierra Leones einziger Reichtum sind die Diamanten-, Bauxit- und
Eisenminen. Jetzt wird das ganze Land aber vom Rest der Welt abgenabelt, die Busse
fahren nicht mehr, die Leute gehen nicht mehr zur Arbeit. Die Preise sind um das Dreifache
gestiegen, die Marktstände sind leer, weil die Händler Angst vor Ansteckung haben.
Es kommt auch keiner mehr zum Einkaufen. Das ist der Übergang vom Elend zum Hungern.
Nur ein Beispiel: die Quarantäne. Wenn es einen Verdachtsfall gibt, muss der Betreffende
in seinem Haus bleiben. Bei uns im Westen hätte er Strom und Wasser, aber die meisten
Einwohner von Sierra Leone haben weder das eine noch das andere. Wie können die also
in Quarantäne bleiben? Wer bringt denen etwas zu essen? Wer sorgt für all die Menschen,
die Zuhause bleiben sollen und die nicht rausdürfen, um sich etwas Nahrung zu beschaffen?“
Seit
Juni seien in Sierra Leone die Schulen geschlossen, berichtet Quirico, und mit ihrer
Wiederöffnung sei vor dem Frühjahr nicht mehr zu rechnen
„Und das in einem
Land, wo die Schulen wegen des Bürgerkriegs ohnehin jahrelang geschlossen waren! Diese
Katastrophen werden von einer Generation an die nächste weitergegeben. Diese Generationen
werden immer gezeichnet sein von fehlender Schulbildung, von Elend, Angst und dem
Gefühl der Unsicherheit.“
Das größte Problem bei der Bekämpfung von Ebola
in den am meisten betroffenen Ländern in Westafrika sei das Fehlen medizinischen Personals;
vor allem Spezialisten seien dünn gesät, und eine richtige Bekämpfung des Virus sei
sehr teuer.
„Nur ein Beispiel: Jeden Tag werden fünf bis acht Schutzanzüge
bei der Behandlung eines einzigen Kranken gebraucht, und die Zahl der Angesteckten
geht in die Tausende! Da muss etwas getan werden, und zwar schnell. Wenn es in maximal
acht Wochen nicht zu einem numerischen Rückgang der Krankheit kommt, dann wird das
ein noch schrecklicheres, noch universelleres Problem.“