2014-10-16 12:39:31

Ebola: „Sierra Leone ist wie ein Friedhof“


RealAudioMP3 Ein Ebola-Fall in Dallas, ein anderer in Madrid: Was in der Ebola-Berichterstattung im Westen etwas aus dem Fokus gerät, das ist das Wüten der Pandemie in Westafrika, in Guinea, Liberia und Sierra Leone. Der italienische Journalist Domenico Quirico ist gerade aus Sierra Leone zurückgekehrt und berichtet:

„Ich habe ein verletzliches Land gesehen. Der lange Bürgerkrieg ist gerade erst vorüber, Infrastrukturen und gesellschaftliche Strukturen sind schwach oder gar nicht existent; es ist eines der ärmsten Länder der Welt, wo die Menschen im Schnitt mit einem Euro am Tag überleben müssen. So ein Land wird von Ebola in seinen alltäglichsten Gewohnheiten, in seiner sozialen Struktur oder Wirtschaft vollkommen überwältigt. Sierra Leone wirkt wie ein Friedhof, über den ein Taifun hinweggefegt ist, der alles zerstört hat. Die Zerstörung geht bis in die einzelnen Familien hinein: Mütter reden nicht mehr mit ihren Kindern und vermeiden jede Berührung.“

Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass die Zahl der Ebola-Infizierten in Westafrika bis Anfang Dezember bei 10.000 Menschen liegen wird. Die Berichterstattung zu Ebola im Westen wird aber dominiert von Schutzmaßnahmen und Ansteckungsängsten in Hamburg, London oder Dallas.

„Dabei sollten wir uns schon aus rein zweckmäßigen Erwägungen auf das Drama in Westafrika konzentrieren – wenn die Pandemie nämlich dort nicht gestoppt oder wenigstens abgebremst wird, dann kann sie tatsächlich zu einer weltweiten Katastrophe werden. Aber leider kriegen wir Westler es nicht hin, uns dem Problem mal ohne das Starren auf unser eigenes Territorium zu nähern. Eigentlich geht es bei uns erst um Ebola, seit wir Angst haben, dass irgend ein Infizierter bei uns auf einem Flughafen landet. Das ist egoistisch.“

Das eigentliche Drama finde eben nicht bei uns statt, sondern in Westafrika, erinnert der Journalist. Dort würden ganze Dörfer isoliert, und aus der medizinischen und humanitären sei längst auch eine Wirtschaftskrise geworden.

„Die Wirtschaft geht jeden Tag weiter bergab. Sierra Leones einziger Reichtum sind die Diamanten-, Bauxit- und Eisenminen. Jetzt wird das ganze Land aber vom Rest der Welt abgenabelt, die Busse fahren nicht mehr, die Leute gehen nicht mehr zur Arbeit. Die Preise sind um das Dreifache gestiegen, die Marktstände sind leer, weil die Händler Angst vor Ansteckung haben. Es kommt auch keiner mehr zum Einkaufen. Das ist der Übergang vom Elend zum Hungern. Nur ein Beispiel: die Quarantäne. Wenn es einen Verdachtsfall gibt, muss der Betreffende in seinem Haus bleiben. Bei uns im Westen hätte er Strom und Wasser, aber die meisten Einwohner von Sierra Leone haben weder das eine noch das andere. Wie können die also in Quarantäne bleiben? Wer bringt denen etwas zu essen? Wer sorgt für all die Menschen, die Zuhause bleiben sollen und die nicht rausdürfen, um sich etwas Nahrung zu beschaffen?“

Seit Juni seien in Sierra Leone die Schulen geschlossen, berichtet Quirico, und mit ihrer Wiederöffnung sei vor dem Frühjahr nicht mehr zu rechnen

„Und das in einem Land, wo die Schulen wegen des Bürgerkriegs ohnehin jahrelang geschlossen waren! Diese Katastrophen werden von einer Generation an die nächste weitergegeben. Diese Generationen werden immer gezeichnet sein von fehlender Schulbildung, von Elend, Angst und dem Gefühl der Unsicherheit.“

Das größte Problem bei der Bekämpfung von Ebola in den am meisten betroffenen Ländern in Westafrika sei das Fehlen medizinischen Personals; vor allem Spezialisten seien dünn gesät, und eine richtige Bekämpfung des Virus sei sehr teuer.

„Nur ein Beispiel: Jeden Tag werden fünf bis acht Schutzanzüge bei der Behandlung eines einzigen Kranken gebraucht, und die Zahl der Angesteckten geht in die Tausende! Da muss etwas getan werden, und zwar schnell. Wenn es in maximal acht Wochen nicht zu einem numerischen Rückgang der Krankheit kommt, dann wird das ein noch schrecklicheres, noch universelleres Problem.“



(rv 16.10.2014 sk)









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