2014-10-12 10:02:11

Menschen in der Zeit: Beate Rudolf – Menschenrechtlerin


RealAudioMP3 Wieder einmal stehen die Menschenrechte im Blickpunkt unserer Sendung: diesmal haben wir Frau Professor Dr. Beate Rudolf gebeten, uns über diesen facettenreichen Themenbereich etwas aufzuklären.

Beate Rudolf ist seit vier Jahren Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Zuvor lehrte sie sechs Jahre als Professorin für Öffentliches Recht und Gleichstellungsrecht an der Freien Universität Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Grund- und Menschenrechte nach dem Völkerrecht. Ihre über zwanzigjährige Tätigkeit in Forschung und Lehre auf diesen Gebieten ergänzte sie durch praktische Erfahrungen in der Menschenrechtsarbeit im Direktorat für Menschenrechte des Europarates, als Vertreterin von Beschwerdeführern vor dem Europäischen Gerichtshof sowie in langjähriger ehrenamtlicher Arbeit innerhalb des Deutschen Juristinnenbundes. Das von Beate Rudolf geleitete Deutsche Institut für Menschenrechte hat die Aufgabe dazu beizutragen, dass Deutschland die Menschenrechte beachtet und fördert.


Frau Professor Rudolf, Sie sind eine reiche Quelle an juristischen Erfahrungen, vor allem auf dem Gebiet der Menschenrechte, von denen so oft die Rede ist. Es heißt - jeder Mensch kann sich auf die Menschenrechte berufen. Also auf die Gleichheit, die Sicherheit, die Freiheit, die Existenzsicherung – deren Anspruch in ihrer Gesamtheit auch als „menschliche Würde” bezeichnet werden. Würden Sie diese Wertsetzungen noch einmal einzeln betrachten und definieren?

„Jeder Mensch kann sich auf alle Menschenrechte berufen. Sie stehen ihm zu. Also jeder Mensch kann in jedem Lebensbereich, sein Leben selbst bestimmen. Das bedeutet: dass der Staat zum einen diese Freiheit schützen muss – er darf zum Beispiel die Meinungsfreiheit, auch die Religionsfreiheit nicht einschränken – und es geht darum, dass der Staat die Auslegung der Menschenrechte gewährleisten muss. Er muss zum Beispiel ein Bildungssystem schaffen, damit das Recht auf Bildung verwirklicht werden kann. Und diese Rechte stehen allen Menschen gleichermaßen zu, Die Gleichheit ist gewissermaßen die Schwester der menschenrechtlichen Freiheit, denn nur, wenn alle die gleichen Rechte haben, dann ist auch die gleiche Würde aller Menschen anerkannt. Das was die allgemeine Erklärung der Menschenrechte schon früh formuliert hat, als sie in ihrem Artikel 1 sagte: alle Menschen sind frei und gleich an Rechten und Würden geboren.”

Gelten die Menschenrechte wirklich für alle Menschen auf der Welt? Das würde ja bedeuten, dass die Menschenrechte von allen Menschen der Welt gleich aufgefasst und in gleicher Weise anerkannt werden. Ist das nicht eine etwas zu gewagte, weltfremde Weltanschauung. Was heißt Universalität der Menschenrechte?

„Nun, es gibt keinen Staat der Welt, der nicht mindestens einen internationalen Menschenrechtsvertrag unterschrieben hat und damit diese Menschenrechte auch für verbindlich erklärt hat. Und das bedeutet: jeder Mensch kann sich auch auf diese verbrieften Rechte berufen. Sicherlich gibt es Diskussionen über die Auslegung einzelner Rechte, das wäre auch seltsam, wenn das nicht der Fall wäre. Aber wir erleben doch gerade auch in den Debatten in den Vereinten Nationen, in den Entscheidungen der internationalen Gremien einen Konsens darüber, was der Inhalt der Menschenrechte ist und dort, wo es Dissens gibt, geht es darum, mit den besseren Argumenten sich durchzusetzen und die besseren Argumente sind die, bei denen die Menschenrechte nicht ausgelegt werden im Hinblick auf eine ganz bestimmte Ideologie, eine Weltanschauung, sondern dort, wo sie so ausgelegt werden, dass sie eben für alle Menschen gelten, unabhängig davon, was vielleicht die Mehrheit im Staat gerne als Lebensweise von Menschen etwa hätte. Und insofern sind diese Debatten ganz normal, die Universalität der Menschenrechte ist aber anerkannt worden von allen Staaten der Welt vor über 23 Jahren 1993 auf der Wiener Weltkonferenz für Menschenrechte, wo gesagt und feierlich bekräftigt worden ist: die Menschenrechte sind universell, sie gelten für alle Menschen, sie bedingen einander, man kann nicht nur ein Menschenrecht herausgreifen und sagen: das ist das wichtigste Menschenrecht, das anerkenne ich als Staat und andere Menschenrechte erkenne ich nicht an. Alle Menschenrechte gehören zusammen, weil sie die verschiedenen Facetten der menschlichen Persönlichkeit schützen.”

Gelten Menschenrechte auch in Notsituationen bzw. in Kriegszeiten?

„Ja, das hat der internationale Gerichtshof in Entscheidungen und Gutachten sehr deutlich gemacht: es ist zum einen so, dass die Menschenrechtsverträge das ausdrücklich festhalten. Sie machen sogar deutlich, dass bestimmte Menschenrechte auf keinen Fall im Kriegsfall suspendiert werden können, d.h. ihre Geltung ausgesetzt werden kann. Das Diskriminierungsverbot gilt auch in Kriegszeiten, das Recht auf Leben, das Folterverbot, das Sklavereiverbot, auch die Religionsfreiheit. Also der Krieg ist nicht Rechtfertigung für die Aufhebung dieser Rechte. Natürlich ist es so, dass die Menschenrechte im Krieg anderen Beschränkungen unterliegen, denn das so genannte Kriegsvölkerrecht, heute spricht man vom humanitären Völkerrecht, erlaubt ja die Tötung von Menschen, unter bestimmten Bedingungen. Also Soldaten, die sich an das humanitäre Völkerrecht halten, werden ja nicht bestraft, nach dem Krieg, dafür dass sie andere Soldaten oder auch Zivilpersonen getötet haben. Also insofern ist das humanitäre Völkerrecht eine Einschränkung der Menschenrechte, aber eben auch nur für einzelne Menschenrechte. Aber die Menschenrechte gelten insgesamt weiter auch in Kriegszeiten. Die Frage ist natürlich, ob sie durchgesetzt werden, das ist bei allen Menschenrechten, auch in Friedenszeiten, die große Herausforderung.”

Darf ich nochmals zusammenfassen: Gewisse Menschenrechte, wie das Folterverbot oder das Sklavereiverbot oder die Diskriminierung allein wegen der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion oder der sozialen Herkunft gelten eben als absolut, das heißt, sie können unter keinen Umständen, auch nicht in Notsituationen eingeschränkt oder gar aufgehoben werden. De facto werden diese Rechte jedoch andauernd und weltweit gebrochen. Das heißt einige Staaten, die die Konventionen unterschrieben haben, scheren sich um diese Rechte. Stimmt das?

„Ja, das ist die zentrale Herausforderung der Menschenrechte und des Einsatzes für Menschenrechte. Der Staat ist derjenige, der durch die Menschenrechte verpflichtet ist, er ist aber auch der, der die Machtmittel hat, Menschenrechte zu verletzen. Und das ist ja auch gerade die Idee der Menschenrechte: dass sie die Macht des Staates begrenzen sollen, dass sie die Willkür des Staates verhindern sollen, und deshalb kann man nicht erwarten, dass Menschenrechte von heute auf morgen umgesetzt werden, sondern wir brauchen in den Staaten der Welt eine Kultur der Menschenrechte, d.h. wir brauchen Staatsorgane, die ihre Verpflichtungen anerkennen, also den Gesetzgeber, der die Gesetze macht, die mit den Menschenrechten vereinbar sind. Wir brauchen eine Verwaltung, die diese Rechte dann auch menschenrechtskonform anwendet und Gerichte, die das unabhängig überprüfen. Und es braucht eine Bevölkerung, die diese Menschenrechte immer wieder einfordert, und zwar nicht nur, wenn sie für einen selbst beschränkt sind, sondern es braucht auch den solidarischen Einsatz für die anderen, deren Rechte vielleicht eingeschränkt werden. Deshalb ist es wichtig, dass es in Gesellschaften große, starke Stimmen gibt, ob das religiöse Gemeinschaften sind, ob das Nicht-Regierungs-Organisationen sind, ob das Parteien sind, die sich eben auch auf die Menschenrechte berufen und vom Staat die Beachtung der Menschenrechte verlangen. Das ist ein Prozess, der immer wieder stattfindet, Menschenrechte sind eine unabgeschlossene Lerngeschichte, es muss immer wieder gelernt und verstanden werden, was die Menschenrechte vom Staat verlangen und der Staat und die Staatsorgane müssen das verstehen, dass das ihre zentrale Aufgabe ist: der Schutz der Menschenrechte ist der zentrale Staatszweck.”

Menschenrechte werden also überall auf der Welt verletzt, Haben die Menschenrechte überhaupt eine Wirkung? Wer prüft denn, ob sich die einzelnen Vertragsstaaten an die Menschenrechte halten? Lassen sich im Rahmen der Uno eigentlich Sanktionen gegen einen fahrlässigen Staat und deren verantwortlichen Politiker ableiten?

„Ja, Menschenrechte haben eine Auswirkung: sie verändern Politik in den einzelnen Staaten, aber das muss natürlich eingefordert werden von den Akteuren, die ich eben genannt habe. Es gibt internationale Kontrollen, etwa über die Vereinten Nationen. Aber es gibt wenig Sanktionen, die international verhängt werden können. Wir haben keine Weltpolizei, keinen Weltgerichtsvollzieher, der die Rechte durchsetzt. Aber die Staaten erleben den öffentlichen Druck, die Anprangerung als negativ und es gibt viele Anreize, etwa in der Entwicklungszusammenarbeit als Anreiz für Menschenrechtsschutz, es gibt aber auch die Anreize und Druck auf regionaler Ebene, etwa in der Europäischen Union Kontrollmöglichkeiten, das sind verschiedene Mechanismen, die zusammenwirken, aber letztlich kommt es darauf an, was im Staat selber passiert, und dafür brauchen Menschen unsere Unterstützung, wenn in ihren Staaten die Menschenrechte systematisch verletzt werden.“

Zwangsmittel, wie etwa Boykotte oder gar militärische Aktionen, wie etwa jetzt im Irak, in Syrien, in der Ukraine, im andauernden Kriegsherd im Nahen Osten, müssen vom UNO-Sicherheitsrat genehmigt werden. Allerdings entscheiden hier nur selten die Menschenrechte als vielmehr jeweils die Politik. Was kann man dazu sagen?

„Sie haben Recht, das ist eine große Schwäche des internationalen Systems, wir haben aber auch kein besseres. Insofern müssen wir uns alle, die wir uns für die Menschenrechte einsetzen, auch dafür einsetzen, dass der Sicherheitsrat Menschrechte maßgeblich bei seinen Entscheidungen berücksichtigt, und mir scheint - wenn ich mir die letzten 10 Jahre anschaue- dass der Sicherheitsrat merkt, dass er Menschenrechte berücksichtigen muss, weil er sonst seine Legitimität verliert. Und die Anerkennung auch der Schutzverantwortung der Vereinten Nationen als letztes Mittel einzugreifen, das heißt nicht notwendigerweise militärisch, aber einzugreifen, wenn schwerste Menschenrechtsverletzungen drohen und der jeweilige Staat nichts tut, das ist ein großer Schritt nach vorne, der eben noch einmal unterstreicht, dass die Legitimität von Staaten davon abhängt, dass sie die Menschenrechte beachten.”

Es ist bekannt, dass der Vatikan sich seit eh und je grundsätzlich für die Menschenrechte einsetzt. Er ist zwar nicht als Voll-Mitglied aber als Beobachter in allen internationalen Gremien vertreten und lässt als solcher seine Stimme, manchmal sogar die Stimme des Papstes selbst, zu Wort kommen. Wie schätzen Sie die Wirkung des Vatikan auf dem Gebiet der Einhaltung der Menschenrechte bzw. des Friedens auf der Welt im Allgemeinen ein?

„Ich glaube, dass der Vatikan eine sehr wichtige Rolle hat, dass der Einsatz für Menschenrechte sowohl gegenüber Staaten als auch auf der Ebene der Vereinten Nationen ganz wichtig ist, weil deutlich wird, dass neben den Staaten auch die Religionsgemeinschaften eine wichtige Aufgabe haben für den Einsatz der Menschenrechte zu wirken. Der Vatikan hat nun auf Grund seiner völkerrechtlichen Sonderstellung ja sogar einen Menschenrechtsvertrag unterschrieben: die Kinderrechtskonvention, was ein sehr großer Schritt gewesen ist, weil damit deutlich geworden ist, dass sich der Hl. Stuhl damit auch der internationalen Kontrolle unterwirft im Bereich der Menschenrechte. Und das stärkt natürlich Legitimität, wenn man nicht nur etwas von anderen einfordert, wenn man sagt, dass man selbst eben auch gebunden ist. Also das erscheint mir als sehr positiv.”

Erst vor kurzem errichtete Papst Franziskus eine eigene Kommission zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch. Der Papst will damit deutlich machen, dass der Schutz von Minderjährigen nicht nur zu den Menschenrechten, sondern zu den vordringlichen Aufgaben der Kirche gehört. Welches Echo hat diese Entscheidung im allgemeinen juristischen Bereich Ihres Wirkungsfeldes ausgelöst?

„Ich finde sie sehr positiv, denn sie zeigt, dass die Kirche das aufgreift, was der Kinderrechtsausschuss im Frühjahr kritisiert hat. Es geht ja darum, sicher zu stellen, dass Missbrauch in der Zukunft nicht geschieht, es ist auch wichtig, Missbrauch in der Vergangenheit aufzuarbeiten und sich zu fragen, ob die Betroffenen eine angemessene Wiedergutmachung erhalten haben und daraus Lehren für die Zukunft ziehen und die Täter auch zur Verantwortung zu ziehen. Insofern ist es ein ganz wesentlicher Schritt, denn der Schutz der Menschenrechte fängt natürlich bei den Kindern an.”

(rv 12.10.2014 ap)








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