Menschen in der Zeit: Beate Rudolf – Menschenrechtlerin
Wieder einmal stehen
die Menschenrechte im Blickpunkt unserer Sendung: diesmal haben wir Frau Professor
Dr. Beate Rudolf gebeten, uns über diesen facettenreichen Themenbereich etwas aufzuklären.
Beate Rudolf ist seit vier Jahren Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte.
Zuvor lehrte sie sechs Jahre als Professorin für Öffentliches Recht und Gleichstellungsrecht
an der Freien Universität Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Grund- und Menschenrechte
nach dem Völkerrecht. Ihre über zwanzigjährige Tätigkeit in Forschung und Lehre auf
diesen Gebieten ergänzte sie durch praktische Erfahrungen in der Menschenrechtsarbeit
im Direktorat für Menschenrechte des Europarates, als Vertreterin von Beschwerdeführern
vor dem Europäischen Gerichtshof sowie in langjähriger ehrenamtlicher Arbeit innerhalb
des Deutschen Juristinnenbundes. Das von Beate Rudolf geleitete Deutsche Institut
für Menschenrechte hat die Aufgabe dazu beizutragen, dass Deutschland die Menschenrechte
beachtet und fördert.
Frau Professor Rudolf, Sie sind eine reiche Quelle
an juristischen Erfahrungen, vor allem auf dem Gebiet der Menschenrechte, von denen
so oft die Rede ist. Es heißt - jeder Mensch kann sich auf die Menschenrechte berufen.
Also auf die Gleichheit, die Sicherheit, die Freiheit, die Existenzsicherung – deren
Anspruch in ihrer Gesamtheit auch als „menschliche Würde” bezeichnet werden. Würden
Sie diese Wertsetzungen noch einmal einzeln betrachten und definieren?
„Jeder
Mensch kann sich auf alle Menschenrechte berufen. Sie stehen ihm zu. Also jeder Mensch
kann in jedem Lebensbereich, sein Leben selbst bestimmen. Das bedeutet: dass der Staat
zum einen diese Freiheit schützen muss – er darf zum Beispiel die Meinungsfreiheit,
auch die Religionsfreiheit nicht einschränken – und es geht darum, dass der Staat
die Auslegung der Menschenrechte gewährleisten muss. Er muss zum Beispiel ein Bildungssystem
schaffen, damit das Recht auf Bildung verwirklicht werden kann. Und diese Rechte stehen
allen Menschen gleichermaßen zu, Die Gleichheit ist gewissermaßen die Schwester der
menschenrechtlichen Freiheit, denn nur, wenn alle die gleichen Rechte haben, dann
ist auch die gleiche Würde aller Menschen anerkannt. Das was die allgemeine Erklärung
der Menschenrechte schon früh formuliert hat, als sie in ihrem Artikel 1 sagte: alle
Menschen sind frei und gleich an Rechten und Würden geboren.”
Gelten die
Menschenrechte wirklich für alle Menschen auf der Welt? Das würde ja bedeuten, dass
die Menschenrechte von allen Menschen der Welt gleich aufgefasst und in gleicher Weise
anerkannt werden. Ist das nicht eine etwas zu gewagte, weltfremde Weltanschauung.
Was heißt Universalität der Menschenrechte?
„Nun, es gibt keinen Staat
der Welt, der nicht mindestens einen internationalen Menschenrechtsvertrag unterschrieben
hat und damit diese Menschenrechte auch für verbindlich erklärt hat. Und das bedeutet:
jeder Mensch kann sich auch auf diese verbrieften Rechte berufen. Sicherlich gibt
es Diskussionen über die Auslegung einzelner Rechte, das wäre auch seltsam, wenn das
nicht der Fall wäre. Aber wir erleben doch gerade auch in den Debatten in den Vereinten
Nationen, in den Entscheidungen der internationalen Gremien einen Konsens darüber,
was der Inhalt der Menschenrechte ist und dort, wo es Dissens gibt, geht es darum,
mit den besseren Argumenten sich durchzusetzen und die besseren Argumente sind die,
bei denen die Menschenrechte nicht ausgelegt werden im Hinblick auf eine ganz bestimmte
Ideologie, eine Weltanschauung, sondern dort, wo sie so ausgelegt werden, dass sie
eben für alle Menschen gelten, unabhängig davon, was vielleicht die Mehrheit im Staat
gerne als Lebensweise von Menschen etwa hätte. Und insofern sind diese Debatten ganz
normal, die Universalität der Menschenrechte ist aber anerkannt worden von allen Staaten
der Welt vor über 23 Jahren 1993 auf der Wiener Weltkonferenz für Menschenrechte,
wo gesagt und feierlich bekräftigt worden ist: die Menschenrechte sind universell,
sie gelten für alle Menschen, sie bedingen einander, man kann nicht nur ein Menschenrecht
herausgreifen und sagen: das ist das wichtigste Menschenrecht, das anerkenne ich als
Staat und andere Menschenrechte erkenne ich nicht an. Alle Menschenrechte gehören
zusammen, weil sie die verschiedenen Facetten der menschlichen Persönlichkeit schützen.”
Gelten
Menschenrechte auch in Notsituationen bzw. in Kriegszeiten?
„Ja, das hat
der internationale Gerichtshof in Entscheidungen und Gutachten sehr deutlich gemacht:
es ist zum einen so, dass die Menschenrechtsverträge das ausdrücklich festhalten.
Sie machen sogar deutlich, dass bestimmte Menschenrechte auf keinen Fall im Kriegsfall
suspendiert werden können, d.h. ihre Geltung ausgesetzt werden kann. Das Diskriminierungsverbot
gilt auch in Kriegszeiten, das Recht auf Leben, das Folterverbot, das Sklavereiverbot,
auch die Religionsfreiheit. Also der Krieg ist nicht Rechtfertigung für die Aufhebung
dieser Rechte. Natürlich ist es so, dass die Menschenrechte im Krieg anderen Beschränkungen
unterliegen, denn das so genannte Kriegsvölkerrecht, heute spricht man vom humanitären
Völkerrecht, erlaubt ja die Tötung von Menschen, unter bestimmten Bedingungen. Also
Soldaten, die sich an das humanitäre Völkerrecht halten, werden ja nicht bestraft,
nach dem Krieg, dafür dass sie andere Soldaten oder auch Zivilpersonen getötet haben.
Also insofern ist das humanitäre Völkerrecht eine Einschränkung der Menschenrechte,
aber eben auch nur für einzelne Menschenrechte. Aber die Menschenrechte gelten insgesamt
weiter auch in Kriegszeiten. Die Frage ist natürlich, ob sie durchgesetzt werden,
das ist bei allen Menschenrechten, auch in Friedenszeiten, die große Herausforderung.”
Darf
ich nochmals zusammenfassen: Gewisse Menschenrechte, wie das Folterverbot oder das
Sklavereiverbot oder die Diskriminierung allein wegen der Rasse, der Hautfarbe, des
Geschlechts, der Sprache, der Religion oder der sozialen Herkunft gelten eben als
absolut, das heißt, sie können unter keinen Umständen, auch nicht in Notsituationen
eingeschränkt oder gar aufgehoben werden. De facto werden diese Rechte jedoch andauernd
und weltweit gebrochen. Das heißt einige Staaten, die die Konventionen unterschrieben
haben, scheren sich um diese Rechte. Stimmt das?
„Ja, das ist die zentrale
Herausforderung der Menschenrechte und des Einsatzes für Menschenrechte. Der Staat
ist derjenige, der durch die Menschenrechte verpflichtet ist, er ist aber auch der,
der die Machtmittel hat, Menschenrechte zu verletzen. Und das ist ja auch gerade die
Idee der Menschenrechte: dass sie die Macht des Staates begrenzen sollen, dass sie
die Willkür des Staates verhindern sollen, und deshalb kann man nicht erwarten, dass
Menschenrechte von heute auf morgen umgesetzt werden, sondern wir brauchen in den
Staaten der Welt eine Kultur der Menschenrechte, d.h. wir brauchen Staatsorgane, die
ihre Verpflichtungen anerkennen, also den Gesetzgeber, der die Gesetze macht, die
mit den Menschenrechten vereinbar sind. Wir brauchen eine Verwaltung, die diese Rechte
dann auch menschenrechtskonform anwendet und Gerichte, die das unabhängig überprüfen.
Und es braucht eine Bevölkerung, die diese Menschenrechte immer wieder einfordert,
und zwar nicht nur, wenn sie für einen selbst beschränkt sind, sondern es braucht
auch den solidarischen Einsatz für die anderen, deren Rechte vielleicht eingeschränkt
werden. Deshalb ist es wichtig, dass es in Gesellschaften große, starke Stimmen gibt,
ob das religiöse Gemeinschaften sind, ob das Nicht-Regierungs-Organisationen sind,
ob das Parteien sind, die sich eben auch auf die Menschenrechte berufen und vom Staat
die Beachtung der Menschenrechte verlangen. Das ist ein Prozess, der immer wieder
stattfindet, Menschenrechte sind eine unabgeschlossene Lerngeschichte, es muss immer
wieder gelernt und verstanden werden, was die Menschenrechte vom Staat verlangen und
der Staat und die Staatsorgane müssen das verstehen, dass das ihre zentrale Aufgabe
ist: der Schutz der Menschenrechte ist der zentrale Staatszweck.”
Menschenrechte
werden also überall auf der Welt verletzt, Haben die Menschenrechte überhaupt eine
Wirkung? Wer prüft denn, ob sich die einzelnen Vertragsstaaten an die Menschenrechte
halten? Lassen sich im Rahmen der Uno eigentlich Sanktionen gegen einen fahrlässigen
Staat und deren verantwortlichen Politiker ableiten?
„Ja, Menschenrechte
haben eine Auswirkung: sie verändern Politik in den einzelnen Staaten, aber das muss
natürlich eingefordert werden von den Akteuren, die ich eben genannt habe. Es gibt
internationale Kontrollen, etwa über die Vereinten Nationen. Aber es gibt wenig Sanktionen,
die international verhängt werden können. Wir haben keine Weltpolizei, keinen Weltgerichtsvollzieher,
der die Rechte durchsetzt. Aber die Staaten erleben den öffentlichen Druck, die Anprangerung
als negativ und es gibt viele Anreize, etwa in der Entwicklungszusammenarbeit als
Anreiz für Menschenrechtsschutz, es gibt aber auch die Anreize und Druck auf regionaler
Ebene, etwa in der Europäischen Union Kontrollmöglichkeiten, das sind verschiedene
Mechanismen, die zusammenwirken, aber letztlich kommt es darauf an, was im Staat selber
passiert, und dafür brauchen Menschen unsere Unterstützung, wenn in ihren Staaten
die Menschenrechte systematisch verletzt werden.“
Zwangsmittel, wie etwa
Boykotte oder gar militärische Aktionen, wie etwa jetzt im Irak, in Syrien, in der
Ukraine, im andauernden Kriegsherd im Nahen Osten, müssen vom UNO-Sicherheitsrat genehmigt
werden. Allerdings entscheiden hier nur selten die Menschenrechte als vielmehr jeweils
die Politik. Was kann man dazu sagen?
„Sie haben Recht, das ist eine große
Schwäche des internationalen Systems, wir haben aber auch kein besseres. Insofern
müssen wir uns alle, die wir uns für die Menschenrechte einsetzen, auch dafür einsetzen,
dass der Sicherheitsrat Menschrechte maßgeblich bei seinen Entscheidungen berücksichtigt,
und mir scheint - wenn ich mir die letzten 10 Jahre anschaue- dass der Sicherheitsrat
merkt, dass er Menschenrechte berücksichtigen muss, weil er sonst seine Legitimität
verliert. Und die Anerkennung auch der Schutzverantwortung der Vereinten Nationen
als letztes Mittel einzugreifen, das heißt nicht notwendigerweise militärisch, aber
einzugreifen, wenn schwerste Menschenrechtsverletzungen drohen und der jeweilige Staat
nichts tut, das ist ein großer Schritt nach vorne, der eben noch einmal unterstreicht,
dass die Legitimität von Staaten davon abhängt, dass sie die Menschenrechte beachten.”
Es
ist bekannt, dass der Vatikan sich seit eh und je grundsätzlich für die Menschenrechte
einsetzt. Er ist zwar nicht als Voll-Mitglied aber als Beobachter in allen internationalen
Gremien vertreten und lässt als solcher seine Stimme, manchmal sogar die Stimme des
Papstes selbst, zu Wort kommen. Wie schätzen Sie die Wirkung des Vatikan auf dem Gebiet
der Einhaltung der Menschenrechte bzw. des Friedens auf der Welt im Allgemeinen ein?
„Ich
glaube, dass der Vatikan eine sehr wichtige Rolle hat, dass der Einsatz für Menschenrechte
sowohl gegenüber Staaten als auch auf der Ebene der Vereinten Nationen ganz wichtig
ist, weil deutlich wird, dass neben den Staaten auch die Religionsgemeinschaften eine
wichtige Aufgabe haben für den Einsatz der Menschenrechte zu wirken. Der Vatikan hat
nun auf Grund seiner völkerrechtlichen Sonderstellung ja sogar einen Menschenrechtsvertrag
unterschrieben: die Kinderrechtskonvention, was ein sehr großer Schritt gewesen ist,
weil damit deutlich geworden ist, dass sich der Hl. Stuhl damit auch der internationalen
Kontrolle unterwirft im Bereich der Menschenrechte. Und das stärkt natürlich Legitimität,
wenn man nicht nur etwas von anderen einfordert, wenn man sagt, dass man selbst eben
auch gebunden ist. Also das erscheint mir als sehr positiv.”
Erst vor kurzem
errichtete Papst Franziskus eine eigene Kommission zum Schutz von Kindern und Jugendlichen
vor sexuellem Missbrauch. Der Papst will damit deutlich machen, dass der Schutz von
Minderjährigen nicht nur zu den Menschenrechten, sondern zu den vordringlichen Aufgaben
der Kirche gehört. Welches Echo hat diese Entscheidung im allgemeinen juristischen
Bereich Ihres Wirkungsfeldes ausgelöst?
„Ich finde sie sehr positiv, denn
sie zeigt, dass die Kirche das aufgreift, was der Kinderrechtsausschuss im Frühjahr
kritisiert hat. Es geht ja darum, sicher zu stellen, dass Missbrauch in der Zukunft
nicht geschieht, es ist auch wichtig, Missbrauch in der Vergangenheit aufzuarbeiten
und sich zu fragen, ob die Betroffenen eine angemessene Wiedergutmachung erhalten
haben und daraus Lehren für die Zukunft ziehen und die Täter auch zur Verantwortung
zu ziehen. Insofern ist es ein ganz wesentlicher Schritt, denn der Schutz der Menschenrechte
fängt natürlich bei den Kindern an.”